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Fleisch-Skandal„Im Schlachthof gibt es kein langes Wochenende, da wird durchmalocht“

Lesezeit 6 Minuten
Schlachterei Tönnies

Allein in Rheda-Wiedenbrück werden in der Woche 150.000 Schweine im Schichtbetrieb geschlachtet.

  1. Nach einem Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies sind mittlerweile 803 Neuinfektionen gemeldet worden.
  2. Szabolcs Sepsi kennt sich in der Branche aus. Er betreut Werkvertragsarbeiter aus Rumänien.
  3. Im Interview spricht er über die katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, die es sich nicht leisten können, krank zu werden.
  4. Und er erklärt, wieso Verbraucher dieses System nur bedingt stoppen können.

Nach dem Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies im Kreis Güterslohspricht ein rumänischer Arbeiter-Berater über die unhaltbaren Zustände im System.

Herr Sepsi, Sie stammen aus Rumänien und haben engen Kontakt zu den Arbeitern in der Tönnies-Großschlachterei. Wie geht es den Menschen nach dem Corona-Ausbruch?

Sie sitzen in ihren Unterkünften und machen sich Sorgen darüber, wie es jetzt weitergeht. In einigen Facebook-Gruppen regt sich inzwischen Widerstand. Viele der Arbeiter sind nicht mehr bereit, die unwürdigen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Die Wut ist groß.

Alles zum Thema Corona

Ministerpräsident Armin Laschet hatte gesagt, dass das Virus aus den Heimatländern der Arbeiter – Rumänien und Bulgarien – eingeschleppt worden sei. Die Aussage hat er inzwischen korrigiert. Was halten Sie von dieser These?

Ich habe mich darüber sehr geärgert. Es hieß ja, dass die Rumänen über das lange Wochenende nach Hause gefahren seien und das Virus dann mitgebracht hätten. In einer Großschlachterei gibt es kein langes Wochenende, da wird durchgearbeitet. Zudem waren vergangenes Wochenende in Rumänien noch die Quarantäne-Regeln in Kraft. Mit solchen Aussagen richtet man sehr viel Schaden an, da sie Fremdenfeindlichkeit befördern. Das bekamen zuletzt schon die Arbeiter von Westfleisch zu spüren, denen manche Arztpraxen sogar den Zugang verwehrt haben. Sie wurden gleichsam unter Generalverdacht gestellt.

Die Politik hat dem System mit den Werksvertragsarbeitern aus dem Ausland den Kampf angesagt. Immer häufiger fällt der Begriff der modernen Sklaverei. Wie bewerten Sie das Geschäftsmodell?

Ich mag den Begriff nicht, da er sehr abwertend ist. Aber natürlich ist das ganze System gnadenlos auf Ausbeutung angelegt. Bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind von 4000 Beschäftigten 3500 über Subunternehmer angestellt. Das Geflecht ist undurchsichtig, manche Arbeiter wissen nicht einmal genau, wer gerade ihr Arbeitgeber ist. Auch unter den Subunternehmern herrscht ein harter Konkurrenzkampf. Sie unterbieten sich gegenseitig, bei manchen endet das in der Insolvenz, weil sie den Preiskampf nicht mehr mitgehen können.

Zur Person

Szabolcs Sepsi (32) arbeitet bei der Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB in Dortmund und betreut in dieser Funktion seit sieben Jahren Werkvertragsarbeiter aus Rumänien, die in Großschlachtereien wie Westfleisch und Tönnies tätig sind.

Letztlich geht es darum, so viele Schweine wie möglich innerhalb kürzester Zeit zu verarbeiten. Stellen Sie sich vor: Jede Woche werden allein in Rheda im Schichtsystem 150.000 Schweine geschlachtet. Ein Schwein mit 100 Kilogramm Lebendgewicht kostet etwa 160 Euro. Nach dem es zerteilt, ausgebeint und verpackt wurde, sind es ungefähr 165,50 Euro. Wie Sie sehen, sind die Lohnkosten pro Schwein sehr niedrig angesetzt, die Margen entsprechend gering. Die Arbeiter werden nach Leistung bezahlt. Nur wer schnell ist, hat einen halbwegs sicheren Job. Der Druck ist enorm.

Was passiert mit denen, die nicht mithalten können?

Das System duldet niemanden, der sich beklagt. Man muss funktionieren. Die Arbeit ist hart: Monotone Fließbandarbeit, Schichtbetrieb, in den Hallen liegen die Temperaturen bei sechs Grad, es ist feucht. Manche merken schnell, dass sie dafür nicht gemacht sind und gehen zurück in die Heimat oder versuchen in der Logistikbranche Fuß zu fassen. Andere haben sich über die Jahre kaputt gearbeitet, haben starke Rückenschmerzen und werden dann einfach wie ein Ersatzteil ausgewechselt. Entsprechend hoch ist die Fluktuation in diesem Gewerbe. Allein im Kreis Gütersloh werden jede Woche etwa hundert Gesundheitszeugnisse beantragt.

Was passiert im Krankheitsfall?

Wer krank ist, wird unter Druck gesetzt, trotzdem zu arbeiten. Für die anderen Fälle haben sich die Subunternehmer perfide Methoden ausgedacht, um Lohnfortzahlungen und Kündigungsfristen auszuhebeln: Für jeden Krankheitstag wird beispielsweise kurzerhand die Miete in der Sammelunterkunft um zehn Euro erhöht. Wer länger ausfällt, muss damit rechnen, dass man ihn loswerden will.

Sobald der Arbeiter zurück am Band ist, lassen sie ihn ganz beiläufig ein Schriftstück unterzeichnen, in dem es angeblich nur um ein Einverständnis zum Arbeitsschutz oder von Hygieneregeln geht. Sie unterschreiben aus Angst oder weil sie es nicht besser wissen. In Wahrheit unterzeichnen sie ihre eigene Kündigung. Dann wird der Chip auf ihrer Einlasskarte abgeschaltet. Erst bei der nächsten Schicht merken sie dann, dass sie nicht mehr in den Betrieb kommen. Die Werksverträge sind auch keine Personal-, sondern Sachkosten. Das allein zeigt, was ein Mensch hier wert ist.

Welche Verantwortung haben denn Schlachtbetriebe wie Westfleisch oder Tönnies selbst?

Sie stellen im Grunde nur die Geräte zur Verfügung. Für alles andere sind die Subunternehmer verantwortlich, da sie als Arbeitgeber auftreten. Natürlich hat beispielsweise auch Tönnies einige Festangestellte, die auch besser bezahlt werden als die anderen. Das führt zu Hierarchien innerhalb des Betriebs. Ganz oben stehen die Festangestellten, danach kommen die Polen, die aufgrund der gestiegenen Lebenshaltung in ihrer Heimat mit mehr Respekt behandelt werden. Ganz unten rangieren Rumänen und Bulgaren, die meist aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammen und hoffen, durch die Arbeit in Deutschland ihren Familien eine höhere Lebensqualität zu verschaffen. Manchen macht das nichts aus, viele aber sehen sich als Menschen dritter Klasse.

Vor fünf Jahren hat die Fleischindustrie in einer Selbstverpflichtung erklärt, die Verhältnisse zu verbessern. Was wurde davon umgesetzt?

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes war sicher ein Fortschritt. Dadurch sind die Löhne vor allem in den untersten Lohngruppen gestiegen. Ansonsten können wir im Grunde keine Veränderungen feststellen. Die Arbeiter leben nach wie vor in äußert beengten Verhältnissen. In einer Dreizimmer-Wohnung mit 70 Quadratmetern wohnen zwischen sechs und neun Menschen, mit einem Klo und einem Badezimmer.

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Der Alltag ist recht chaotisch. Die einen gehen zur Schicht, die anderen kommen gerade zurück, manche schlafen. Ruhe kann man so kaum finden. Manche haben ihre Kinder nachgeholt, die dann mitunter ebenfalls in solchen Wohngemeinschaften leben und tagsüber Kita oder Schule besuchen.

Könnten sich diese Familien nicht separate Wohnungen suchen?

Nur wenige Privatvermieter wollen ihre Wohnung an Wanderarbeiter aus Rumänien vergeben. Und wenn doch, dann rufen sie für runtergekommene Bruchbuden auf dem Land Mieten auf wie in Berlin. Auch auf dieser Ebene werden die Arbeiter ausgebeutet. Obwohl sie in Deutschland leben, ihren Beitrag leisten, verwehrt man ihnen jede Möglichkeit der Integration.

Wir als Gewerkschaft bieten Sprachkurse und Sprachcafés an, damit die Menschen die deutsche Sprache erlenen können. Allerdings können die Arbeiter die Termine oft nicht einhalten, weil sie dann doch wieder Überstunden schieben müssen. Das Gleiche gilt für Elterngespräche in der Schule, an denen sie nicht teilnehmen können. Wer wegen solcher Termine um pünktlichen Feierabend bittet, bekommt nicht selten Antworten wie diese: Du kannst Dir gerne Deine Kündigung abholen, dann hast du genug Zeit, Deutsch zu lernen.

Es heißt, auch der Verbraucher hat es in der Hand, dieses System zu stoppen, wenn er bereit ist, mehr Geld für das Fleisch zu bezahlen.

Das ist nur bedingt richtig. Deutsches Fleisch aus der Massenschlachtung ist vor allem ein Exportprodukt. Den Preis reguliert der Weltmarkt. Man muss sich unter anderem gegen die Konkurrenz aus Spanien, Polen, Russland, China und USA behaupten. Selbst wenn deutsche Verbraucher bereit wären, mehr Geld zu bezahlen, wäre das moralisch ein wichtiges Signal, am Modell Billigfleisch insgesamt aber würde es vermutlich nicht viel ändern.