AboAbonnieren

Frust und WutNeues Schuljahr in NRW startet ohne mobile Luftfilter

Lesezeit 7 Minuten
Luftfilter Schule

Ein Luftfilter in einer Grundschulklasse

  1. Warum es trotz aufgelegter Förderprogramm noch Monate dauern wird, bis die Geräte in den Klassen stehen
  2. Was Eltern, Lehrerverbände und die Opposition dazu sagen
  3. Wie Wissenschaftler die Wirksamkeit der Geräte beurteilen
  4. Warum es nicht reicht, die mobilen Geräte einfach im Klassenraum aufzustellen

Werden am ersten Schultag nach den Ferien die Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet sein?

Nein. Wenn die Schülerinnen und Schüler aus den Ferien kommen, wird es im Verbreitungsgebiet nach jetzigem Stand am ersten Schultag allenfalls ein paar handverlesene Klassen geben, in denen mobile Luftfilter stehen. Die Stadt Köln hat in Eigenregie vor den Ferien 250 bis 300 mobile Geräte bestellen können. Mit diesen sollen die ersten Schulen nach Angaben der Stadt „noch vor den Herbstferien“ ausgestattet werden. Die geplante Anschaffung von weiteren 10.000 Geräten wird sich noch unbestimmte Zeit hinauszögern. Der Grund: Es gebe immer noch keine aktuelle Förderrichtlinie des Landes, so die Stadt. Zudem hat das Land die Auszahlung der Fördermittel an eine internationale Ausschreibung gebunden. Auch wenn mit verkürzten Fristen gearbeitet werde, werde dieses Verfahren „einige Wochen in Anspruch nehmen“.

Auch ist völlig unklar, in welchem Umfang und zu welchen Konditionen auf einem leer gefegten Markt Angebote eingereicht würden. Daher sei eine Prognose zu ersten Auslieferungen dieser geförderten mobilen Luftfiltergeräte derzeit nicht möglich, hieß es von Seiten der Stadt. Man setze auf erste Abrufe „voraussichtlich im Herbst“. Auch in den Leverkusener Schulen ist nach den Ferien erst mal nur Fensterlüftung angesagt. Man rechnet damit, die 650 bestellten Luftfilter erst nach den Herbstferien in Betrieb nehmen zu können.

Alles zum Thema Jochen Ott

Warum gibt es diese Verzögerung, obwohl doch schon lange klar war, dass im Herbst die Infektionszahlen massiv ansteigen würden?

Das Förderprogramm des Landes NRW kam viel zu spät. Noch vor den Ferien hatte die zuständige Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) gesagt, dass „die Schulen in Nordrhein-Westfalen sichere Orte für Kinder und Jugendliche sind“. Der Einsatz von mobilen Luftreinigern könne allenfalls ergänzend sinnvoll sein, wenn keine ausreichende Lüftung möglich sei. Mitten in den Sommerferien beschloss die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dann doch, ein weiteres Lüftungsprogramm für Schulen und Kindertagesbetreuung in einer Höhe von 90,4 Millionen Euro aufzulegen, um den Präsenzbetrieb von Schulen und der Kindertagesbetreuung nach den Sommerferien zusätzlich abzusichern. Vom Land sollen 48,2 Millionen Euro und aus Bundesmitteln 42,2 Millionen Euro bereitgestellt werden.

Die Landesregierung schiebt den schwarzen Peter weiter an das Bundesumweltamt. Das Amt hatte zunächst eine sehr kritische Meinung zu den Luftfiltern. An diese lehnten sich die Kulturminister der Länder – unter anderem aus Kostengründen - an. Nachdem das Umweltbundesamt seine Meinung zu den Luftfiltern geändert un präzisiert hat, wuchs der Druck auf die Politik, ihre Haltung zu ändern.

Warum dauert es für die Kommunen jetzt noch Monate, bis die Klassen ausgestattet sind?

Neben der viel zu späten Förderentscheidung, sorgen das komplizierte europäische Vergaberecht und die Vorgabe der europaweiten Ausschreibung dafür, dass der bürokratische Prozess extrem langwierig und kompliziert ist. Außerdem ist der Markt für mobile Luftfilter aufgrund der extrem hohen Nachfrage leer gefegt. Selbst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der schon weit vor den Sommerferien ein eigenes Förderprogramm aufgelegt hatte, um alle Kitas und Schulen in Bayern vor Schulbeginn auszustatten, musste zurückrudern, da die Geräte in dieser Stückzahl derzeit schlicht nicht zu bekommen sind. Ziel ist in Bayern nun, „ausreichend Geräte zu haben, wenn es kälter sein wird“.

Wenn dann alle bestellten Geräte da sind, wird es dann für alle Klassen mobile Luftfilter geben?

Nein, im Förderprogramm ist ausdrücklich die Rede davon, dass nur Lüftungsgeräte gefördert werden für Räume, in denen Kinder unter zwölf Jahren sitzen, da alle Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren die Möglichkeit haben, sich impfen zu lassen.

Was sagen Eltern, Lehrerverbände und die Opposition?

Frust und Wut sind groß. Der Sprecher der Elterninitiative Raumfilter, Franz-Josef Kahlen, wirft der Landesregierung „Verantwortungslosigkeit“ vor. Alle hätten gewusst, dass die Delta-Variante für die Schulen und Kitas im Herbst zur Gefahr werde. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet habe den Sinn für handfeste Probleme im eigenen Bundesland verloren. Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands in NRW, ärgert, dass andere Bundesländer wie Baden-Württemberg und Bayern bereits in Eigenregie viel früher tätig geworden sind und nun einen Vorsprung in Sachen Luftfilter hätten.

Auch die Opposition kritisiert die Landesregierung: Sigrid Beer, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, spricht von einem Déja-vu-Erlebnis: „Wie im letzten Jahr kommen Förderprogramme und Richtlinien erst in den Sommerferien.“ Der bildungspolitische Sprecher der SPD und stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion im Landtag, Jochen Ott, ist schlicht „wütend“, dass das Schulministerium wertvolle Monate vergeudet habe. Die SPD dränge seit Februar auf die Ausstattung mit Luftfiltern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Engpässe zum Schuljahresbeginn auf dem Luftfilter-Markt waren absehbar. Hätte die Politik – außer früherem Handeln – Optionen gehabt, das zu verhindern?

Ja, meint zumindest Jochen Ott. Ein Problem sei, dass die Förderrichtlinien des Landes nur eine einzige Art mobiler Anlagen förderten. Nämlich solche mit Hepa-Filtern. Andere Filterarten wie UVC-Filter, die Aerosole effizient beseitigen und in vielen außerschulischen Einrichtungen seit der Anfangsphase der Pandemie erfolgreich zum Einsatz kämen, würden nicht berücksichtigt. Die Landesregierung hätte nach Ansicht von Ott zwingend wissenschaftliche Expertise einholen und auch andere Filterarten untersuchen lassen müssen. Bei mehr Filtersystemen würde sich auch die Zahl der Anbieter deutlich erweitern. In Köln etwa gibt es eine große Firma für Lüftungstechnik, die auf Lüftungsanlagen mit UVC-Filter spezialisiert ist, nach eigenen Angaben in der Pandemie zahlreiche Einrichtungen ausgestattet hat und Lüftungsanlagen in großen Mengen liefern könnte.

Luftreinigungssysteme in Schulen sind nicht nur wegen der Kosten von bis zu 3000 Euro pro Stück, sondern auch bezüglich ihrer Wirksamkeit umstritten. Ist überhaupt sicher, dass sie auch wirksam Coronaviren aus dem Klassenraum vertreiben?

Das Problem ist, dass es bislang immer noch keine guten Studien gebe, die man übertragen könne auf Schulräume, erläutert Julia Hurraß, Expertin für Infektions- und Umwelthygiene beim Gesundheitsamt Köln und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Hygiene, Umwelt- und Präventivmedizin bei einer Experten-Veranstaltung des Science Media Centers. Ebenso wenig gebe es Studien dazu, wie viele Infektionen durch Luftreinigungsgeräte tatsächlich verhindert würden. Sicher sei dagegen, dass es weiter am wirkungsvollsten und wichtigsten sei, alle 20 Minuten für drei bis fünf Minuten querzulüften. Nur in bestimmten Fällen brauche man mobile Luftfilter zusätzlich. Forscher der Universität Stuttgart haben an zehn Schulen in Klassenzimmern gemessen, wie sich mobile Luftfilter auf den Aerosolgehalt der Luft auswirken. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Geräte sehr wirksam sind, dass sie aber auch dröhnen und Zugluft verursachen. Auch ihr Fazit lautete: Mobile Luftfilter können in erster Linie eine Ergänzung sein und ersetzen auf keinen Fall das Lüften.

Reicht es, die mobilen Geräte in der Klasse aufzustellen oder gibt es vor Ort noch bestimmte Anforderungen?

Das Aufstellen der Geräte muss zwingend vor Ort fachlich begleitet werden. „Wenn die Geräte irgendwo im Klassenraum stehen, wo sie mit ihrer Strömung gar nicht die ganze Klasse erfassen, nützen sie nichts“, betonte Hurraß. Auch Wartung und Filterwechsel müssten vorher geklärt und begleitet werden. „Sonst verzweifeln die Hausmeister vor Ort, wenn sie das alleine machen müssen und dann womöglich den Filter falsch einbauen.“ Außerdem müsse es klare Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Geräte geben, ebenso wie an die Schallemissionen. „Manche Geräte sind so laut, dass dann der Lärm für Schüler und Lehrer zu einem neuen Problem wird“. Entsprechende VDI-Normen gebe es aber leider noch nicht.

Was gibt es für Alternativen außer Lüften, um die Klassenräume sicherer zu machen?

Das Max-Planck-Institut für Chemie hat eine kostengünstige Alternative zum Selbst-Nachbauen entwickelt, die laut ersten Studienergebnissen wohl auch sehr wirksam ist. Dabei wird die regelmäßige Fensterlüftung durch Ventilatoren oder Abzugsrohren ergänzt, die die Luft nach draußen befördern. Mithilfe einer simulierten Messung haben die Forschenden die Anlage getestet und herausgefunden, dass die Anlage die Aerosole um bis zu 90 Prozent reduziert. Auch nur mit Ventilator schneidet die Konstruktion laut Max-Planck-Institut gleich gut oder besser ab als Luftfilteranlagen und sei um ein Vielfaches kostengünstiger. Eine Bauanleitung für die Low-Cost-Abzugsanlage stellt das Institut unter www.ventilation-mainz.de bereit.