Köln im März 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war ein einziges Trümmerfeld. Zigtausende aschgraue Menschen irrten in den Trümmern umher, auf der Suche nach Nahrung.
„Wie hungrige Wölfe suchten sie in den Ruinen nach etwas Ess- und Trinkbarem“, erinnert sich der spätere Stadtrat Peter Fröhlich, „wie Parasiten, die einen Kadaver fleddern“, schreibt der Brite Stephen Spender.
Ein US-Reporter schreibt: „Die Bürger hier sind die unangenehmsten, die wir bisher in Deutschland getroffen haben.” Und Bürgermeister Konrad Adenauer weigert sich, den Grüngürtel für den Winterbrand abholzen zu lassen – das hat Folgen.
Lesen Sie mit KStA PLUS unsere Serie über Köln nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Köln – Eine Fahrt durch Leere und Stille, so schildern US-Soldaten die „Stunde Null“. Menschenleere Stille und „toter, stumpfsinniger Schutt“, so schreibt ein US-Kriegsberichterstatter über das, was einmal die Stadt Köln war. 80.000 Kölner waren vor den letzten Luftangriffen geflohen, darunter NS-Gauleiter Josef Grohé und Oberbürgermeister Robert Brandes, nachdem sie hinter sich die Hohenzollernbrücke als letzte intakte Rheinquerung in die Luft gejagt hatten.
Am 6. März, so die Legende, soll der NS-Reichssender gemeldet haben: „Der Trümmerhaufen Köln wurde dem Feind überlassen.“ Tatsächlich sind 90 Prozent der Altstadt, 70 Prozent der gesamten Stadt zerstört, Straßenzüge nicht mehr erkennbar. Der Dom, schwer getroffen, steht immerhin. „Dat einzije, wat he noch stemme dät, wor die geografische Lage“, schreibt der spätere Stadtrat Peter Fröhlich.
Aschgraue Menschen steigen aus Kellern und Bunkern. Kriegsreporter George Orwell findet es „schwer vorstellbar, dass es sich um die gleichen Menschen handelt, die gerade noch den europäischen Kontinent beherrschten“. GI Francis Mitchel trifft auf hübsche Fräuleins, die zutraulich nach Schokolade und Zigaretten greifen, Bier und Brezeln auf die Straße bringen.
Das ist die Lage Anfang März 1945: 30.000 Kölner und Zwangsarbeiter leben in dieser Übergangsphase unter Bedingungen, so der Historiker Jürgen Heideking, „die man im philosophischen Sinne als »Naturzustand« beschreiben könnte: ohne Regierung, Polizei, Post oder Feuerwehr; ohne Wasser, Strom, Gas und Transportmittel“.
Immerhin: Das Kühlhaus Linde an der Severinstraße und das Proviantamt am Hafen sind voller Lebensmittel. Auf dem Bahnhof Nippes stehen zwei Güterzüge mit Verpflegung. Es kommt zu Plünderungen, Übergriffen, wohl auch zu Vergewaltigungen. Die zurückgelassenen Heeresbestände mildern zunächst die Lage, dann aber füllt sich die Stadt rasch mit Flüchtlingen, Evakuierten, ehemaligen Wehrmachtsangehörigen. Mit Sack und Pack und Rollwagen suchen sie erschöpft nach einer Bleibe. Bald sind es über 400.000 Menschen, die auf Lebensmittelkarten oft genug nur 800 Kalorien am Tag erhalten. „Wie hungrige Wölfe suchten sie in den Ruinen nach etwas Ess- und Trinkbarem“, erinnert sich Peter Fröhlich, „wie Parasiten, die einen Kadaver fleddern“, schreibt der Brite Stephen Spender. Diphterie und Fleckfieber grassieren. An Kontrollposten pusten US-Soldaten jedem DDT unter die verlauste Kleidung.
Befreier und Befreite mustern einander mit anklagenden Blicken: Was habt ihr getan! Den US-Soldaten stößt bitter auf: Die wenigsten Deutschen wollen von Kriegsgräueln und KZs wissen. Hitler sei am Krieg schuld. Reporterin Martha Gellhorn schreibt gallig: „Man fragt sich, wie die verabscheute Nazi-Regierung, der niemand Gefolgschaft leistete, es fertigbrachte, diesen Krieg fünfeinhalb Jahre lang durchzuhalten.“ Kollege Hal Boyle über die Kölner: „Die Bürger hier sind die unangenehmsten, die wir bisher in Deutschland getroffen haben. Wir hatten Schwierigkeiten mit vielen von denen, die in den besseren Vierteln Kölns wohnen, die bis jetzt nicht zu begreifen scheinen, dass sie besiegt sind.“ Ein Gefühl der politischen Befreiung sei nicht wahrnehmbar, statt dessen „Unterwürfigkeit, Heuchelei und Anbiederung“, so die US-Fotografin Lee Miller. Man denke nur „über das Überleben nach“, so Korrespondent Paul Holt. Für die Kölner heißt das praktisch: Schwarzmarkthandel mit Zigaretten als neuer Währung, Klüttenklau, Hunger.
Vom Rathaus stehen nur noch die ausgeglühten Wände des Hansasaales. Drei Tage nach dem Einmarsch übernimmt Oberst John K. Patterson die Amtsgeschäfte über Stadt und Regierungsbezirk. Er stellt fest: Keine Verwaltung, keine Diensträume, Akten, Büromaterial, Telefone. Patterson ist Bauingenieur, gilt als Organisationsprofi. Er zieht mit 75 Mitarbeitern in den nur leicht beschädigten Allianz-Bau am Kaiser-Wilhelm-Ring. Sie sorgen stundenweise für Wasser und Strom; Panzer schieben Schneisen durch Schuttberge. Im Mai steht auf Höhe der Bastei eine Pfahljochbrücke über den Rhein, der „Tausendfüßler“.
Die Amerikaner suchen politisch unbelastete Leute. Ihre „Weiße Liste“ führt Konrad Adenauer an. Doch der lehnt das Oberbürgermeister-Amt zunächst ab, denn noch ist Krieg, seine Söhne stehen im Feld. Er fürchtet die Rache der Nazis. Sein Schwager Willi Suth, vor 1933 Beigeordneter und Stadtkämmerer, leitet kommissarisch die Verwaltung bis Adenauer am 4. Mai übernimmt. Vor dem Krieg beschäftigt die Stadtverwaltung rund 20.000 Arbeiter, Angestellte und Beamte. Davon sind im März ’45 noch 289 vorhanden. „Die Amerikaner waren gezwungen, Personen einzustellen, die nicht die genügende Qualifikation für ihr Amt mitbrachten“, so Peter Fröhlich in seinen Erinnerungen.
Das Trümmeramt wird gegründet. Drei Millionen Kubikmeter Schutt müssen mit Lorenbahnen aus der Stadt, Sammelplätze sind auch am Neu- und Heumarkt. Vor der Stadt werden Kiesgruben verfüllt, auf Grünanlagen Halden wie der Monte Klamott aufgeschüttet. Adenauer weigert sich im Juni, dafür alle Kölner zur Zwangsarbeit einzuberufen. Sein Nachfolger Hermann Pünder wird im Sommer 1946 einen Ehrendienst einrichten, an dem sich 175.000 Kölner beteiligen.
Eine erste Maßnahme Adenauers: „Die Leute müssen wieder was zu lachen haben“. Auf seinen Wunsch nimmt das Millowitsch-Theater im Oktober 1945 den Spielbetrieb wieder auf, mit „Das Glücksmädel“. Die Universität nimmt unter dem Altphilologen Joseph Kroll den Lehrbetrieb auf. Ziel: „das antik-christliche Menschenbild heranzubilden“. Nur weil die abendländische Tradition aufgegeben wurde, sei es zur Nazi-Barbarei gekommen.
Bis zur Übernahme der Stadt durch die britische Militärregierung am 21. Juni ’45 setzen die Amerikaner große Teile des Abwassersystems in Stand, reparieren Strom- und Wasserleitungen. Von den unbeliebten Briten – die Kölner machen sie für die Luftangriffe verantwortlich – fühlen sich die Kölner wie von meckernden Aufsehern behandelt. Adenauer weigert sich, den Grüngürtel für den Winterbrand abholzen zu lassen. Am 6. Oktober wird er entlassen.
Er vermutet dahinter den SPD-Rivalen Robert Görlinger. Die beiden hatten sich schon bei der OB-Wahl 1929 als Konkurrenten gegenübergestanden. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem KZ prangert Görlinger die Benachteiligung der Linken durch Adenauer an. Die Briten verlangen, dass Adenauer auch Sozialdemokraten und Kommunisten einstellt. Tatsächlich misstrauen die Briten ihm wegen seiner separatistischen Tendenzen zugunsten eines nach Frankreich orientierten westdeutschen Rhein-Ruhr-Staates. Sie untersagen ihm deshalb jedwede Teilnahme am politischen Leben. Kritisch sehen sie auch seine Pläne für Köln: „Die Großstadt muss in Siedlungen aufgelöst werden, außerhalb der eigentlichen Stadt und mit etwa 15.000 Menschen in jeder Siedlung.“ Gegenüber seinem Nachfolger Pünder sagt er: „Natürlich wissen wir, dass die Altstadt mit ihren historischen Häusern nicht mehr wiedererstehen wird. Man wird ganze Häuserblöcke abreißen und aus zwei schmalen windigen Gassen einen breiten Boulevard schaffen.“ Adenauer will den schnellen Aufbau von Satellitenstädten, die Altstadt soll warten.
Bis 1946 gilt ein absolutes Bauverbot in der Altstadt. Ohne Permit der Militärregierung darf weder geräumt noch gebaut werden. Doch die Heimkehrer, so Pünder, wollen nicht „in einem ihnen fremden Außenbezirk angesiedelt werden, sondern gedachten genau an ihrer früheren Wohnstätte sich in Selbsthilfe wieder einzurichten“. Auf alten Parzellen wird wild gebaut, was stillschweigend geduldet wird.
Der erste Nachkriegsstadtrat tritt am 1. Oktober 1945 zusammen. Erst im November 1946 beruft Pünder den Architekten Rudolf Schwarz zum Generalstadtplaner. Viel Aufregung gibt es über Demontagepläne, die aber nicht wie befürchtet vorgenommen werden. Pünder und Schwarz sind enttäuscht: In der Stunde Null hätten sie die Industrie in Kalk an den Rand der Stadt, den Hauptbahnhof weg vom Dom auf den Güterbahnhof Gereon verlegen wollen. „Eine Schicksalsstunde Kölns“, schreibt Pünder, „war ungenutzt verstrichen.“