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Kohle-Ausstieg in NRWWarum Kumpel Jürgen Jakubeit im Seniorenheim auftritt

Lesezeit 4 Minuten
Jakubeit Steinmeier

Bergmann Jürgen Jakubeit überreicht Wolfgang Steinmeier das letzte Stück Kohle.

  1. Jürgen Jakubeit hat Frank-Walter Steinmeier das letzte in NRW geförderte Stück Kohle überreicht.
  2. 33 Jahre lang hat er als Bergmann in dritter Generation gearbeitet. Dann war plötzlich Schluss.
  3. Für Jakubeit eine harte Zeit. Er tritt in Altenheimen auf und zockt auf der Playstation. Heute hat er wieder einen Job, bei dem es ums Anpacken geht.

Oberhausen – Das Leben ist ihm einfach so weggebrochen. Von jetzt auf gleich. „Da konntest Du Dich nicht drauf vorbereiten“, sagt Jürgen Jakubeit, schlürft seinen Kaffee aus dem gelben Henkelpott mit dem „Glück auf“-Schriftzug, die von jahrzehntelanger Maloche unter Tage muskelbepackten Arme auf den Küchentisch gestützt. „Obwohl wir doch alle seit 2007 gewusst haben, dass 18 Ende ist. Wir haben das alle ein bisschen verdrängt.“

„Jacke“, wie sie ihn auf der Zeche alle genannt haben, ist Deutschlands bekanntester Kumpel. Am 21. Dezember 2018 hat er Frank-Walter Steinmeier das letzte Stück Steinkohle überreicht, das in Deutschland gefördert wurde. Bei einer Feierstunde auf dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop. „Es war gar nicht geplant, dass ich dem Bundespräsidenten die Hand gebe, aber der war so taff, der hat den siebeneinhalb Kilo schweren Brocken mit einer Hand gehalten.“

Immer wieder noch eine letzte Grubenfahrt

Über den ganzen Trubel, die vielen Monate zuvor, in denen die Kumpel ihr eigenes Revier zurückbauen mussten, und die vielen Abschiede, immer wieder noch eine letzte Grubenfahrt, hat „Jacke“ völlig vergessen, dass auch für ihn Schicht ist. Nach 33 Jahren im Bergbau. In dritter Generation.Mit 50 Jahren und topfit zum alten Eisen zu zählen. Hat er verdrängt. Anfang Januar sei das ganz plötzlich hochgekommen, sagt er. „Die Frau ist arbeiten. Du gehst mit dem Köter raus, holst Deine Zeitung, trinkst einen Kaffee, dann fegst Du einmal durch. Und dann kommt die Frage: Was machst Du jetzt? Der Hund ist versorgt und am pennen und Du sitzt da doof rum.“

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„Jackes“ Lebensgefährtin nickt. „Wir hatten in den ersten Wochen nur Palaver. Er hat sich irgendwann eine Playstation gekauft und acht bis zwölf Stunden am Tag nur gezockt. Ich habe in die Ecke gekotzt. Das war für uns hier zu Hause ganz schlimm. Aber ich habe in jeder Hinsicht hinter ihm gestanden.“

Wieder Tritt fassen. Irgendwie. Jürgen Jakubeit ist mit einem seiner Kumpel durch Zufall und mit ein paar Kontakten, die seine Marion durch ihren Job als Altenpflegerin hatte, in einem Seniorenheim aufgetreten. Zweimal. Einmal im Arbeitszeug, einmal im Bergmannskittel. „Wir hatten eine Anfrage aus einem Heim in Oberhausen-Holten. Dort leben viele alte Bergleute, von denen etliche dement sind. Und was gibt es Leichteres, als über seinen Beruf zu quasseln? Ich habe mir gedacht, wenn ich da mal sitze, kommt bestimmt keiner mehr, um mir was vom Bergbau zu erzählen.“

„Jacke“ setzt die Kaffeetasse ab, seine Stimme wird brüchig, als er das erzählt. „Natürlich haben wir am Schluss das Steigerlied gesungen. Da ist ein alter Opa aufgesprungen, der hatte vorher völlig regungslos dagesessen, und hat alle Strophen mitgesungen.“

Einmal Kumpel, immer Kumpel

Einmal Kumpel, immer Kumpel. Jürgen Jakubeit hat die Kurve gekriegt. Am letzten Wochenende hat er sich im Trainingsbergwerk in Recklinghausen vorgestellt, wird dort ehrenamtlich als Führer arbeiten und Besuchergruppen über seinen Job erzählen. „Das ist genau mein Ding“, sagt er. „Das ist so klasse gemacht, die haben alles da. Du gehst in den Berg rein, machst die Augen zu, wieder auf und denkst, du bist unter Tage. Schon allein der Geruch nach Diesel, nach Öl und Fetten. Die haben alles da, eine Walze, Strebpanzer, Brecher, die können das alles laufen lassen. Du hörst da Anlaufwarnungen, die können den Hobel bewegen. Auch wenn der an einer schwarz gestrichenen Betonwand entlangfährt und kein Krümel mehr gefördert wird.“

Jakubeit heute

Jürgen Jakubeit hat seine Zeche auf den Oberarm tätowiert.

Die Playstation ist Vergangenheit. „Jacke“ hat nach langem Suchen jetzt auch einen 450-Euro-Job gefunden, der genau sein Ding ist. Er arbeitet als Platzwart für einen Gerüstbauer. Zwei Tage die Woche. „Ich muss Material lagern, stapeln, sortieren, streichen, bündeln. Heute hab’ ich 1,6 Tonnen mit der Hand bewegt. Allein durch umpacken, hin- und herschleppen. Seitdem ich da bin, habe ich fünf, sechs Kilo abgenommen. Ich habe endlich wieder eine Aufgabe. Und Bewegung.“

Entscheidend sind die Geschichten

Plötzlich hat der Tag wieder Struktur, das Leben einen Sinn, die Hobbys machen wieder Spaß. „Wir sammeln Gruben-Lampen. Sind auf ganz vielen Börsen unterwegs. Allein in Deutschland gibt es 600 verschiedene Typen.“ Er selbst besitzt nur 24 – doch das macht nichts. Entscheidend sind die Geschichten, die er zu erzählen weiß. Einer seiner guten Freunde, Ernst Lausen, mittlerweile 84 Jahre, sei der Lampenpapst schlechthin. „Bei dem hat sogar Hannelore Kraft eine gekauft, um sie Papst Franziskus zu schenken. Und sie hat meinem Kumpel ein Dankesschreiben mit einem Foto von der Übergabe geschickt.“

Jakubeit ist wieder das, was er früher war. Ein Kumpel, dessen Leben immer vom Bergbau geprägt sein wird. Und der wieder mitten im Leben steht. Zum Sommerfest des Bundespräsidenten ist er eingeladen und wenn der mal nicht mehr im Amt ist, wird der letzte Kohlebrocken ins Haus der Geschichte nach Bonn wandern. „Wenn mir das einer vor 33 Jahren gesagt hätte, hätte ich geantwortet, nie im Leben. Ich habe alles richtig gemacht.“ Im März war er schon einmal zu Gast im Schloss Bellevue. „Super war’s. Wer kommt denn da schon rein in die Bude?“