AboAbonnieren

Brisantes GutachtenSchneller Kohleausstieg wäre ohne Umsiedlung offenbar günstiger

Lesezeit 3 Minuten
digas-107435668_MDS-EXP-2010-10-18-5402823.71-11954893

Tagebau Garzweiler

Düsseldorf/Berlin – Der vorzeitige Ausstieg Deutschlands aus der Braunkohle-Verstromung wäre auch ohne die Umsiedlung der fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath möglich, die alle im Bereich des Tagebau Garzweiler II liegen und nach den Plänen des Energiekonzerns RWE bis 2028 verschwunden sein müssen. Das geht aus einem Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, das im November 2019 erstellt, aber erst am Dienstag veröffentlicht wurde.

Die Gutachter der Forschungsinstitute BET und EY aus Aachen sollten im Auftrag des Ministeriums die Folgekosten des Kohleausstiegsszenarios abschätzen, das die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission empfohlen hatte. „Es gab lediglich drei Empfehlungen der Kommission, die wir als Grundlage hatten“, sagt Dominic Nailis, der maßgeblich an dem Gutachten mitgearbeitet hat. „Der Erhalt des Hambacher Forsts, ein stetiger Ausstiegspfad und die Sicherstellung der Energieversorgung.“ Auf dieser Grundlage habe man zwei Ausstiegsszenarien entwickelt, von denen die Variante 2, also die Verschiebung der Tagebaue, den Erhalt aller Dörfer möglich macht.

Kohleausstieg: 400 Millionen Euro günstiger ohne Umsiedlung?

Bei den Folgekosten ist sie mit 1,9 Milliarden Euro günstiger als Variante 1, bei der das Alter der Kraftwerke die Reihenfolge der Abschaltung bestimmt. Danach sollen die Kraftwerke bis 2038 möglichst linear abgeschaltet werden. Dieser Weg kostet rund 2,3 Milliarden Euro. Im Kohleausstiegsgesetz ist die Bundesregierung der Empfehlung der Kohlekommission in diesem Punkt nicht gefolgt. NRW geht in Vorleistung und wird bis Ende 2022 die erste Phase des Ausstiegs allein stemmen. Die ersten drei Gigawatt gehen ausschließlich im Rheinischen Revier vom Netz. Das ist etwa ein Drittel der Braunkohlekapazitäten von RWE. Bis Ende 2029 werden dann zwei Drittel im Rheinland stillgelegt sein. Der Konzern wird mit 2,6 Milliarden Euro entschädigt. „Das Gutachten kann bezüglich der jetzigen gesetzlichen Festlegung keine Aussage treffen“, sagt Nailis. „Das ist ja auch logisch, weil wir es zuvor erstellt haben.“

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe „ein Gutachten verschwinden lassen, das der Kohle-Lobby nicht gepasst hat“, sagt David Dresen von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ . Es müsse rechtlich geklärt werden, dass die Dörfer erhalten bleiben. „Bis dahin muss die Regierung unterbinden, dass die Kohlekonzerne durch Abrisse Fakten schaffen.“

Antje Grothus, Ex-Mitglied der Kohlekommission, die seit Jahren gegen den Braunkohletagebau kämpft, spricht von einem „handfesten Skandal“. Eine solche Politik sei „menschenverachtend gegenüber den Tagebaubetroffenen“. Das Kohleausstiegsgesetz müsse korrigiert und der Erhalt der Dörfer festgeschrieben werden.

Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, hatte vor Monaten vergeblich auf die Veröffentlichung des Gutachtens gedrängt. Via Twitter forderte er NRW-Ministerpräsident Laschet am Mittwoch auf, den Leitentscheid der Landesregierung zum Kohleausstieg zu korrigieren.Das Kohleausstiegsgesetz wurde am 3. Juli verabschiedet. Die Landesregierung arbeitet derzeit an einer neuen Leitentscheidung, die 2021 gefasst werden soll. Der bereits verabschiedete Entwurf macht den Betroffenen wenig Hoffnung. Die Umsiedlungen müssten fortgeführt werden, heißt es.

Das Bundeswirtschaftsministerium wehrt sich gegen die Vorwürfe, mit dem Zurückhalten von Informationen die Ausstiegsdebatte manipuliert zu haben. „Das Gutachten wurde nicht unter Verschluss gehalten, sondern transparent veröffentlicht. Der Abnahmeprozess hat aber Zeit in Anspruch genommen“, schreibt die Behörde. Zudem sei der Erhalt der Dörfer lediglich „eine Annahme der Gutachter, keinesfalls jedoch eine Aussage oder ein Ergebnis des Gutachtens“.