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Läden in Leichlingen und Burscheid geöffnetWenig Chaos und viele kreative Lösungen

Lesezeit 7 Minuten

Ute Hentschel freute sich, ihre Buchhandlung wieder öffnen zu können. Sie ist unzählige Touren zu den Kunden gefahren.

Leichlingen/Burscheid – Es fühlt sich fast wieder normal an. Seit Montag haben fast alle Geschäfte wieder geöffnet. Nach vier Wochen Zwangspause dürfen Einzelhändler mit Läden unter 800 Quadratmetern wieder Kunden empfangen. Diese Größe halten in den Innenstädten von Leichlingen und Burscheid nahezu alle Geschäfte ein. Überall sah man deshalb offene Türen und Jalousien, endlich wieder Auslagen und Blumentöpfe vor den Eingängen. Auf vielen Begrüßungsplakaten in den Schaufenstern freuten sich Inhaber und Verkaufspersonal, wieder Kunden bedienen zu dürfen.

Einweiser mit Mundschutz  am Leichlinger Wertstoffhof. 200 Meter weiter ist eine zweite Zufahrt geöffnet.

In den Einkaufsstraßen sah es am Montagmorgen also schon wieder fast normal aus – na sagen wir: ungefähr so normal wie mitten in den Sommerferien. Denn Menschenaufläufe warteten um 9 Uhr nicht gerade vor den Türen von Buchhandlungen, Juwelieren und Boutiquen. Die neue Phase der Corona-Krise begann für den Handel ruhig und diszipliniert, es gab kein Gedrängel. Die schon gewohnten langen Warteschlangen gab es nur vor Drogeriemärkten, Bäckereien und Postfilialen.

Andrang bei Wertstoffhöfen

Und jetzt auch wieder an den Wertstoffhöfen im Frese-Park und in Hilgen-Heide, die am ersten Annahme-Tag von Kolonnen aus Gartenbesitzern, Heimwerkern und Hausentrümplern bestürmt wurden. Das befürchtete ganz große Chaos blieb am Leichlinger Recyclinghof aber aus. Bis auf die Moltkestraße staute sich der Verkehr aus dem Gewerbegebiet nicht zurück.

Ein-und Ausgang getrennt: Im Leichlinger Spielwarengeschäft Kinderkiste ist mit Baustellenband ein Rundweg durch den Laden abgesperrt worden, um Kundenkontakte zu vermeiden.

Allerdings haben die Mitarbeiter das Tor auch schon 40 Minuten vor dem offiziellen Startschuss geöffnet, als immer mehr Autos ankamen. Außerdem wurde zusätzlich die hintere Zufahrt freigegeben, um die Warteschlange zu entzerren. Dort stand bereits vor dem Tor ein zusätzlicher Grünschnitt-Container, damit man schon beim Warten seinen Kofferraum entladen konnte.

Das Personal hatte der Bergische Abfallverband um zwei Mann aufgestockt, um den Einlass zu regeln und nicht mehr als ein halbes Dutzend Autos gleichzeitig auf den Hof zu lassen. Alle Kollegen trugen Schutzmasken, was man von den Anlieferern nicht behaupten konnte. Abgeladen wurden nicht nur Pflanzenabfälle, die sich in Gärten angestaut haben, sondern alles vom Sperrmüll bis zum Schrott.

Claudia Hagen vor ihrem Lädchen an der Oberen Hauptstraße. Trotz Dauerbaustelle und Corona hat sie den Optimismus nicht verloren.

An der Oberen Hauptstraße in Burscheid bildeten sich Schlangen beim Bäcker und beim Metzger. Dieses Bild war auch in den vergangenen Wochen seit dem Kontaktverbot für die Innenstadt beherrschend. Besonders bitter für den Einzelhandel ist, dass das Geschäft bedingt durch die Umbauarbeiten an der Hauptstraße sowieso schon 18 Monate lang äußerst mau war. Dann kam die Öffnung. „Es war gerade einmal drei, vier Tage so gelaufen, dass die Händler an der Hauptstraße wieder von normalen Verhältnissen beim Umsatz sprechen konnten, da kam das Kontaktverbot“, sagt Claudia Hagen, die ihr Lädchen öffnete. Dort freuten sich die Kunden vor allem wieder auf den Service des Paketshops. Aber Taschen oder Schmuck, das sind nach Erfahrung Hagens nicht die Dinge, die derzeit oberste Priorität haben. „Wenn die Leute nicht oder nur wenig rausgehen, dann kaufen die sich auch weniger hübsche Sachen. Denn Schmuck, der soll ja vor allem gesehen werden.“

Großer Lesehunger

Anders ist es in der Buchhandlung von Ute Hentschel. Dort gingen die Kunden am Montag zu maximal fünf Personen in den Laden und offenbar war der Lesehunger groß. Hentschel hat in den vergangenen Wochen unzählige Stunden im Auto verbracht, morgens Päckchen mit den online bestellten Büchern gepackt, die Rechnungen eingetütet und ist losgefahren. Zum Lesen sei sie nicht gekommen, aber ein Buch über Burscheid, das könnte sie nun wohl schreiben: „Ich bin von hüh nach hott gefahren.“

Appelle und Grüße stehen überall, hier bei „Enjoy“ in Leichlingen

Den Fahrdienst hält sie an einzelnen Tagen noch aufrecht, um die zu erreichen, die aufgrund von Corona nicht vor die Tür sollen. Rufen, Klingeln, vor die Türe stellen, das hat Hentschel nun intus. Sie überlege aber, ob es nicht sinnvoll sei, mit anderen Händlern aus Burscheid Fahrgemeinschaften bei den Botendiensten zu bilden. Tausend Rechnungen habe sie geschrieben und die Krise bislang ohne größeren Schaden überstanden. Aber wie sonst auch ist die Buchhändlerin auch äußerst kreativ, diesmal womöglich noch ein bisschen mehr. Es gibt Videos zu Buchtipps und in den Warenkörben waren viele Kinderbücher, Romane, Bildbände, Rätsel, Literatur zur Abi-Prüfung, Brettspiele „und Puzzles ohne Ende“. Hentschel und ihre Kolleginnen rechnen damit, dass die Leselust auch in den kommenden Monaten ungebrochen sein dürfte: „Die Leute richten es sich zu Hause schön ein. Da gehört das Schmökern dazu.“

Mundschutz und Trennscheiben

Die Freude, dass man wieder einkaufen darf, war gestern in der Buchhandlung zu spüren. Sich selbst alles anschauen, das Fachgespräch – das kann der Onlinehandel nicht ersetzen. Die Mitarbeiter tragen Mundschutz, an der Kasse gibt es einen Spuckschutz aus Plexiglas sowie Desinfektionsmittel in der Sprühflasche. „Die Leute sind vorsichtig und wissen, dass nicht alles vorbei ist“, sagt Hentschel.

Ähnlich sieht es an der Kasse der Buchhandlung Gilljohann am Leichlinger Marktplatz aus- Auch sie kann nun wieder vom täglichen Lieferservice, den treue Kunden in den vergangenen Wochen rege genutzt haben, auf persönliche Bedienung umstellen. Wenn es einen Titel gab, der bei Lisa Gilljohann während der Corona-Pause auffällig häufig bestellt wurde, dann war es tatsächlich Camus’ „Die Pest“! Gestern deckten sich die Kunden dann auch wieder mit Geburtstagskarten und Geschenken fürs normale Leben ein.

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Beschränkungen der Personenzahl, Hygiene- und Abstands-Regeln sind in allen Geschäften Standard. Wer zwei Türen nutzen kann, hat getrennte Ein- und Ausgänge markiert. Im Spielwarengeschäft Kinderkiste am Leichlinger Brunnen im Brückerfeld haben die Inhaberinnen mit rot-weißem Flatterband wie auf einer Baustelle einen regelrechten Rundlauf ausgewiesen – eine Einbahnstraße führt an allen Regalen vorbei.

Die Leichlinger Stadtbücherei gibt nun Einkaufskörbe wie im Supermarkt aus und hat ihren Hinterausgang zum sonnigen Stadtpark geöffnet. Dort entdeckt man so dank Corona nun ein Plätzchen, das man vorher nie betreten hat. Würde man auf der Treppenanlage hinter dem Rathaus mal fegen, könnte man auf der Terrasse glatt ein reizvolles Lesecafé einrichten, wenn die Epidemie vorbei ist.

Not macht erfinderisch: Uhren und Schmuck Höhn an der Marly-Brücke hatte am Morgen wie bei einem Straßenverkauf einen Tisch in die Eingangstüre gestellt, mit einem Tablett für die Geldübergabe, weil der Laden noch nicht betreten werden sollte, bevor ein Spuckschutz an der Theke installiert war.

Auf der Straßenseite gegenüber feiert Männermoden Schmidt den Festtag der Wiedereröffnung mit zehn Prozent Rabatt auf alles. Die Orthopädietechniker von Mergel und Sohn haben in ihre Glastüre eine Klingel eingebaut, mit der Kunden sich nun melden können und einzeln eintreten dürfen.

Räumungsverkauf eingeläutet

Andrang herrschte bei Elektro Busch in Burscheid, da das Traditionsgeschäft den Räumungsverkauf eingeläutet hat. Und bei Lederwaren Seifarth wirbt ein Schild im Schaufenster mit Nachlass auf Schulranzen.

Ausgedruckte oder selbst geschriebene Hinweise erinnern die Kunden, Abstand zu halten und immer nur einzeln oder je nach Größe des Ladens nur zu wenigen Personen einzutreten.

Nach Ansicht Claudia Hagens wäre es besser gewesen, vorsichtshalber noch zwei Wochen mit der Öffnung zu warten. Denn es sei ein „zartes Blümchen“, das bei einem Rückfall und Ansteigen der Corona-Zahlen wieder hinweggerafft sein könne. Seit wenigen Wochen ist Hagen Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. Der Wahlkampf sei vorerst einmal ausgesetzt. Doch in den sozialen Netzwerken stelle ihre Partei schon die Kandidaten vor und die Sitzungen seien online.

Phantasievolle Aushänge

Phantasie bewiesen viele Händler mit ihren Aushängen am Eingang. „Wir sind nicht unhöflich, wir sind umsichtig“, bittet Stefan Clemen in seinem Elektrogeschäft in Leichlingen um Verständnis. Mit dem Hinweis „Bitte erinnern Sie mich daran, dass ich meinen Mundschutz aufziehe“ trotzt das Team der Damenmode-Boutique Bach an der Brückenstraße den schlimmen Zeiten am Eingang ein Schmunzeln ab. Und die Zahnarztpraxis Zulauf, die Spielzeug und Illustrierte aus dem Wartezimmer verbannt hat, schreibt: „Wir begrüßen Sie mit einem Lächeln statt mit einem Händedruck“.

Die U-800-Kaufleute sind nun wieder etwas glücklicher. Aber Friseursalons, das Tattoostudio und die Reisebüros vom Brückerfeld bis zur Gartenstraße haben in der Leichlinger Innenstadt weiterhin zu und Trauerbotschaften an den Türen hängen. „Zusammen werden wir den Wahnsinn überstehen“ verbreitet der Salon Schnipp Schnapp an der Leichlinger Funchal-Brücke Mut.