Das Urteil einer Psychiaterin aus der Klinik Langenfeld und der Umgang mit dem Beschuldigten unmittelbar vor der Tat in Leichlingen stößt vor Gericht auf Unverständnis.
ProzessÄrzte hätten versuchte Vergewaltigung im Leichlinger Stadtpark wohl verhindern können
„Es entsteht der Eindruck, als hätte man ihn in der LVR-Klinik nicht haben wollen.“ Benjamin Roellenbleck, Vorsitzender Richter der 13. Großen Strafkammer am Kölner Landgericht, ist nach der Aussage von Chefärztin Florence Hellen spontan befremdet über den Umgang in Langenfeld mit dem Mann, dem eine Vielzahl auch an Sexualstraftaten vorgeworfen werden. Umso mehr, als der Beschuldigte allein dort 15 Mal stationär aufgenommen worden war. Im vorigen Jahr mehrfach kurz hintereinander, „wie bei einer Drehtür“, sagt der Richter.
Das schlimmste Vergehen ereignete sich am 13. Juni vorigen Jahres im Leichlinger Stadtpark. Dorthin verfolgte der 25 Jahre alte Mann eine 22-Jährige, fiel sie von hinten an, riss ihr die Leggings herunter und fasste zwischen ihre Beine: eine versuchte Vergewaltigung, aus der – nach allem, was man weiß – nur durch das beherzte Eingreifen einer Angestellten der Stadtbücherei und eines Bediensteten der Stadtverwaltung nichts noch Schlimmeres wurde. Am selben Tag war der Mann mit brasilianischen Wurzeln, der freilich den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht hat, aus dem Langenfelder Krankenhaus geworfen worden.
Ein hoffnungsloser Fall, urteilen die Ärzte
Denn nach kürzestem Aufenthalt sei man zu der Erkenntnis gekommen: „Er war in einem Zustand, der für ein psychiatrisches Krankenhaus nicht zu behandeln ist“, so die Chefärztin. Nachdem er schon mit Polizeigewalt eingeliefert wurde und nur mit einer Sieben-Punkt-Fixierung überhaupt auf der Station gehalten werden konnte, galt er den Ärzten als gefährlich. Schließlich habe er Pflegepersonal tätlich angegriffen, argumentierte die Ärztin. Dass der Patient diverse Straftaten begangen hat, ihm nach einem Gerichtsurteil aus Solingen die Abschiebung droht, er seit Jahren keine feste Bleibe mehr hat und auch nicht arbeiten darf – alles bekannt. Auch, dass er seit mindestens sechs Jahren in psychiatrischer Behandlung ist.
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Wie man dann auf die Idee kommt, den Patienten vor die Tür zu setzen, versteht Roellenbleck nicht: „Stellen Sie sich mal vor, der hätte jemanden umgebracht“, geht er die Ärztin an. Hellen bleibt dabei: Der Mann sei nicht behandelbar, jedenfalls in ihrer Klinik nicht. Die Mühe, den 25-Jährigen in eine forensische Klinik zu überweisen, scheute man in Langenfeld. Was gemacht wurde, so Hellen: Sie habe unter Missachtung ihrer ärztlichen Schweigepflicht die Kripo in Solingen informiert – „wir hofften auf eine Gefährder-Ansprache“, so die Medizinerin. „Als ob das etwas bringen würde. Sollen die den Mann durchgängig beschatten?“ Das fragt Verteidiger Thomas Kraaz. Er ist fassungslos: „Der Mann wird in die Klinik gebracht, weil er gewalttätig ist. Und die Klinik schmeißt ihn wieder raus, weil er gewalttätig ist.“
Ein wichtiger medizinischer Grund für den Umgang mit dem Patienten im vorigen Jahr sei eine neue Bewertung seines Krankheitsbildes gewesen, führt die Langenfelder Ärztin an: Viele Jahre wurde bei dem jungen Mann eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. In der Klinik des Landschaftsverbands sei man aber zu der Erkenntnis gekommen, er habe einfach eine schwere Persönlichkeitsstörung, erklärt Hellen. Eine Diagnose, die ihre Kollegin aus der Essener Forensik, in die der Täter im Juli überstellt wurde, überhaupt nicht teilt: „Absurd“, nennt sie diese Einschätzung.
Das hilft dem Psychiatrischen Gutachter in diesem Prozess. Sven-Uwe Kutscher hält den Mann klar für schizophren. Nach seiner Aussage hätten ihm Stimmen eingeflüstert, zum Beispiel die jungen Frauen zu belästigen. Mit Blick auf den Umgang in Langenfeld spricht Kutscher von „erheblichen Auffälligkeiten, was die Behandlung angeht“. Die letzten Aufenthalte dort seien viel zu kurz gewesen, um den draußen unter einem enormen Druck stehenden Mann irgendwie zu helfen. „Er war mit seiner Krankheit sich selbst überlassen.“
Der Mann, der sich selbst am liebsten als Kampfsportler betrachtet, brauche eine längere Behandlung, „um ihn zu stabilisieren“. Da ist Kutscher völlig sicher: Außerhalb einer Klinik nehme er seine Medikamente nicht, es fehle ihm jeder feste Rahmen. Die jungen Frauen, die er in Leichlingen und Solingen angefallen hatte, seien „Zufallsopfer“, der Beschuldigte sei unberechenbar, „solche Taten wären weiter zu erwarten“.