2 Stunden in RheindorfSeltsamer Bunker und Hundeeis, von dem man nicht bellen muss
Leverkusen – Mein Dartpfeil ist auf einem eigenartigen Gebäude gelandet. Rund, aus Backsteinen, die unter den vielen Graffitis und Schmierereien kaum noch zu sehen sind. An einer der schweren, verschlossenen Stahltüren hängt ein Schild: Hochspannung, Lebensgefahr! Was ist das? „Ich habe keine Ahnung! Aber ich habe mich das auch schon gefragt“, sagt Ursula Hornum, die an der danebengelegenen Bushaltestelle Feldtorstraße in Rheindorf steht und auf den Bus nach Hitdorf wartet.
Zum Einkaufen aus Hitdorf
Da wohnt die 83-Jährige und das äußerst gerne: „Hitdorf ist wirklich noch ein Dorf, sehr gemütlich und familiär“. Dennoch verschlägt es sie häufiger hier nach Rheindorf, heute zum Orthopäden. „Die Auswahl an Ärzten ist hier größer“, sagt die Seniorin. Und seit die Hitdorfer Straße wegen Bauarbeiten gesperrt ist und sie dort lange Laufwege in Kauf nehmen müsste, kommt sie auch zum Einkaufen nach Rheindorf zum Edeka. Der hat eine Bushaltestelle vor der Tür, außerdem eine Fleischtheke, und auch ein Drogeriemarkt fehlt ihr in Hitdorf. Gute Nahversorgung sieht anders aus. Aber zum Glück gibt es den Bus.
Auch ein weiterer Passant kann mir nicht bei der Klärung der Bunker-Frage helfen: „Wat wollen se von dem hässlichen Ding?“, fragt er, steigt aber schon auf sein Fahrrad, bevor ich Zeit zum Antworten habe. So muss später eine Anfrage bei der Stadtverwaltung das Rätsel lösen: Es handelt sich um ein Pumpwerk der Technischen Betriebe Leverkusen. Ich hoffe, Frau Hornum liest das.
Urlaubsgefühl mit Palmen und Eis
Ein Spaziergang entlang der Feldtorstraße endet an der Käthe-Kollwitz-Schule. Wo es aus Gründen der Ferien menschenleer und aus Gründen der Zupflasterung in der aufsteigenden Mittagshitze viel zu heiß ist. Die Hitze zieht mich – natürlich, zu den Palmen. Seit 2004 läuft das über Spenden und Sponsoren initiierte Projekt „Rheindorfer Palmen“, es soll sich gar um die größte straßenbegleitende Palmenpflanzung Mitteleuropas handeln. Das gefällt nicht jedem, aber dazu später mehr.
Passend zum Urlaubsgefühl lande ich in der Eisdiele „Albino“ die laut Markisenaufschrift seit 1960 hier beheimatet ist: Da muss es doch was zu erzählen geben. Vor mir bestellt eine Kundin Eis: „Heute nicht nur Fruchteis, ich habe meine Tage, da brauche ich auch was fettiges!“ Die blonde Frau hinter der Theke lacht und toppt den Eisteller mit einer großen Kugel Snickers-Eis. Mich begrüßt sie strahlend mit: „Und, haben Sie auch ihre Tage?“ Nein, ich möchte nur etwas über die lustige Frau hinter der Theke und ihren Laden erfahren. Katja Geromel ist die Enkelin von Albino Geromel, dem Namensgeber, und Tochter von Giancarlo und Fernanda, die den Laden lange geführt haben, bis sie übernahm.
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An einer Wand hängen Schwarzweiß-Fotos der Familie und des Eiscafés bis ins Jahr 1962 zurück. Italien trägt sie nah am Herzen, in Form einer goldenen Kette mit einem Anhänger in der Stiefelform der Landeskonturen. Aber auch wenn ihre Familie häufig sagt, sie solle doch auch nach Venetien ziehen, bleibt sie Rheindorf treu. „Ich will nicht weg. Das ist meine Heimat. Rheindorf ist keine Großstadt, aber auch kein Dörfchen. Es gibt alles, aber es ist nicht anonym. Man kennt sich hier.“ Und erzählt dann eben auch ungeniert von der Periode.
Hundeeis für Zwei- und Vierbeiner
Das Eis macht Geromel selbst und kreiert auch immer wieder Neues. Aktuell ist Kräuter-Zitrus im Angebot. „Normalerweise mache ich um diese Zeit auch Lavendel-Eis, bin ich aber noch nicht dazu gekommen.“ Und dann gibt es noch: Hundeeis. Ja, tatsächlich: Für Hunde. Da ist kein Zucker drin, den Hunde nicht vertragen, dafür aber Möhren, Frischkäse, Kokos und Bananen. Und es gibt tatsächlich Leute, die für ihren Hund einen Eisbecher bestellen? „Ja sicher!“, sagt Katja Geromel. „Hier haben wir Becher in allen Größen. Gibt halt nur keinen Löffel dazu.“ Und nicht nur Vierbeiner mögen das Eis. Auch Menschen, die keinen Zucker essen dürfen oder wollen, bestellen es. „Das ist bedenkenlos möglich! Danach muss man hinterher nicht bellen oder so.“
Es ist so nett im Albino, dass ich nun natürlich auch ein Eis möchte, aber lieber doch eins mit Zucker. Als ich eine Kugel Wassermeloneneis bestelle, lacht Katja Geromel nur. So leicht komme ich ihr nicht davon, beladen mit einer riesigen Waffel mit bunten Kugeln aller Geschmacksrichtungen verlasse ich das Eiscafé.
Spaß mit Oma und Churchill
Zuerst laufe ich Richtung Rhein, wie man das so macht mit Eis in der Hand. Aber auf dem Weg gibt es zwar wunderhübsche Fachwerkhäuser und die weniger hübsche Denso-Fabrik – aber keine Menschen zum Ansprechen. Da meine zwei Stunden in Rheindorf sich dem Ende zu neigen, mache ich mich auf den Weg zurück zum Bunker. Ach nein: Pumpwerk.
Zur Serie
In unserer Serie „2 Stunden...“ werfen die Autorinnen und Autoren mit einem Dartpfeil auf eine Landkarte von Leverkusen. Wo auch immer der Pfeil landet, verbringen sie zwei Stunden. Sie erkunden den Zufallsort, treffen auf fremde Menschen, erleben Ungewohntes, Schönes und Skurriles – und erzählen davon.
Wenige Meter davor sehe ich Gisela Wangemann und ihre Enkelin Edda auf einer Bank sitzen und Eis essen – natürlich von Albino. „Der Vater ist früher mit seinem Eiswagen rumgefahren, da haben wir als Kinder die Kugel für 5 Pfennig gekauft“, erzählt Wangemann. Die Zeiten sind vorbei. Für die vier Kugeln für Oma und Enkelin hat sie sechs Euro bezahlt. Geht nicht anders, hat mir Katja Geromel vorhin schon geklagt, die gestiegenen Einkaufspreise und die viele Energie für das Kühlen – sie denke jetzt über eine Solaranlage nach, um überhaupt noch klar zu kommen.
Aber zurück zu Edda. Die Siebenjährige aus Münster hat das erste Schuljahr hinter sich gebracht und verbringt gerade ihre ersten richtigen Sommerferien in Rheindorf. Was ihr hier gefällt: „Dass meine Oma hier ist – und mein bester Freund.“ Das ist Churchill, der Old English Bulldog, der im Schatten unter der Bank liegt. Mit den beiden könne sie viel Quatsch machen, bei Oma darf man auch mehr als zu Hause. Oma nickt: „So soll es doch auch sein!“
Gisela Wangemann ist in Rheindorf geboren und nur einmal kurz nach Köln abgewandert. Die Chance, hier ein Haus zu beziehen, hat sie nach Rheindorf zurück gebracht. Sie ist nicht von allem begeistert. Das soziale Gefüge habe sich geändert und auch die Stellung von Verkehr und Industrie in der Stadt stört sie. „Leverkusen wird ausgebeutet, was Verkehrspolitik angeht“, klagt die Rheindorferin. Und gegen die 30-jährige Genehmigung zur Wasserentnahme der Currenta habe sie eine Eingabe eingereicht. „Das geht so nicht.“
Kritik an Verkehr, Currenta und Palmen
Aber was ihr gefällt, sind die vielen grünen Zufluchtsorte, die sie von hier aus schnell erreicht. „Das hat man in Köln so nicht.“ Und die Palmen – sage ich. „Ja, das ist natürlich ein großer Streitpunkt. Eigentlich gehören die ja nicht hierher“, entgegnet Wangemann. Aber mittlerweile habe sie sich daran gewöhnt. „Und mit dem Klimawandel sind die wahrscheinlich die, die noch am längsten Leben.“ Tatsächlich fühlt sich dieser Tag in Rheindorf ein wenig nach Süditalien an. Aber es ist Zeit für die Heimreise.