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InterviewCovestros Betriebsratschefin in Leverkusen: „Ich hätte uns auch gekauft“

Lesezeit 6 Minuten
Irena Kuestner, Vorsitzende des Covestro-Konzernbetriebsrats und der Arbeitnehmervertretung am Standort Leverkusen

Irena Kuestner ist Vorsitzende des Covestro-Konzernbetriebsrats und der Arbeitnehmervertretung am Standort Leverkusen.

Irena Kuestner über den Übergang zur Abu Dhabi National Oil Company, Araber im Aufsichtsrat, deutsche Vorstände und Betriebsvereinbarungen.

Frau Kuestner, der Verkauf von Covestro an Adnoc verläuft planmäßig. Die Aktionäre geben sogar schneller ihre Anteile ab als kalkuliert. Beruhigt das die Vertreter der Beschäftigten?

Kuestner: In der jetzigen Krisenzeit, wo große Autohersteller, Stahl und generell die energieintensiven Geschäfte in Unsicherheiten fallen, ja. Auch viele Kolleginnen und Kollegen haben Aktien von Covestro, die sie in dem Prozess bereits angedient haben. Das zeigt uns Arbeitnehmervertretern, dass ein hohes Vertrauen in unsere Arbeit und unsere Vereinbarung vorhanden ist. Die Kolleginnen und Kollegen sind es gewohnt, dass wir immer in ihrem Sinne und zur bestmöglichen Arbeitsplatzabsicherung handeln.

Sehr viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben selbst Covestro-Aktien. Haben Sie ihnen empfohlen, die Offerte anzunehmen?

Der Vorstand und Aufsichtsrat einschließlich der Arbeitnehmer-Vertreter haben die Annahme empfohlen. Und ich habe es persönlich natürlich auch empfohlen, es handelt sich hier um eine friedliche Übernahme, was auch den entscheidenden Unterschied zu anderen Übernahmen macht. Eine friedliche Übernahme bedeutet, dass nicht nur die Interessen der Anteilseigner und des Unternehmens, sondern insbesondere die Interessen der Mitarbeitenden Berücksichtigung finden.

Der Vorstand hat sich recht viel Zeit gelassen mit den Verhandlungen. Lag das auch am Betriebsrat?

Generell ist es wichtig, sich Zeit zu lassen und nicht kopflos zu agieren. Alle Beteiligten müssen sich am Ende wiederfinden, nur so kann eine anständige und zukunftsfähige Übernahme gelingen.

Ein Ölkonzern aus Abu Dhabi wird sicher fremdeln mit deutscher Mitbestimmung. Glauben Sie, dass die neuen Eigentümer die Regeln ausreichend verinnerlicht haben?

Da es eine Vereinbarung ohne die Möglichkeit einer einseitigen Kündigung zwischen der Gewerkschaft und Abu Dhabi zu diesem Thema gibt, glaube ich nicht nur daran, sondern es ist vertraglich festgeschrieben.

Bei Covestro werden derzeit in einigen Bereichen Stellen abgebaut; die Geschäfte könnten insgesamt besser laufen. Müssen Sie befürchten, dass der Umgang unter den neuen Eigentümern rauer wird?

Das ist eine interessante Frage. Da es bis jetzt keine feindlichen Zeichen gab, ist jetzt auch keine Zeit für Schwarzmalerei. Wir werden, wie auch in der Vergangenheit, mutig nach vorne blicken und die Zukunft mitgestalten.

Es gibt diverse Betriebsvereinbarungen und andere Sicherungsmechanismen für die Beschäftigten. Wie lange laufen die wichtigsten?

Es ist wichtig zu wissen, dass alle Vereinbarungen weiter gelten und dass neue Vereinbarungen vereinbart werden können. Das ist auch ein wichtiger Sicherheitsbaustein für unsere Zukunft. Ein weiterer Baustein, der bereits existiert, ist unsere Gesamtbetriebsvereinbarung „Transformation“, die bis Ende 2032 läuft. Hier sind wichtige Eckpunkte mit dem Unternehmen vereinbart worden. In erster Linie, und das ist für alle ein wichtiges Sicherheitsnetz, ist das der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2032, und dass etwaiger Personalabbau sozialverträglich mit entsprechenden Instrumenten begleitet wird.

In unserer Gesamtbetriebsvereinbarung „Transformation“ sind wichtige Eckpunkte vereinbart worden
Irena Kuestner über sichere Arbeitsplätze

Aber auch zukunftsgerichtete Themen, wie beispielsweise die Mitgestaltung und konstruktive Begleitung von Digitalisierungsthemen einschließlich der Nutzung von Künstlicher Intelligenz ist fixiert. Auf dem Weg, den Wandel zu gestalten, müssen wir auch die Kolleginnen und Kollegen über Qualifizierungen stärken – auch das haben wir fest vereinbart. Das, nur um einen kleinen Eindruck zu geben: Denn wir haben darüber hinaus im laufenden Jahr 15 weitere Vereinbarungen mit dem Unternehmen abschließen können.

Und wie sehen Sie die Chancen, dass man in, sagen wir, fünf Jahren noch so konstruktiv mit der Arbeitgeberseite verhandeln kann wie bisher?

Wir sind ein großartiges Unternehmen mit einer sehr starken Innovationskraft in Leverkusen, die, so ist es in der Vereinbarung zur Transformation festgeschrieben, ganz neue Blockbuster hervorbringen wird. Die Digitalisierung und die Chemie mit der Künstlichen Intelligenz zu verheiraten, ist für uns in Leverkusen ein großes Ziel und auch kein Hexenwerk. Ich hätte uns auch gekauft! Wir haben diese Innovation immer maßgeblich und konstruktiv nach vorne getragen.

Das Covestro-Hauptquartier an der B 8

Covestro wird arabisch. Die Betriebsrätin Irena Kuestner sieht die Belegschaft des Kunststoff-Konzerns gut und langfristig abgesichert.

Außerdem verfügen wir auch über Werte, wie beispielsweise die gelebte Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und uns Arbeitnehmervertretern, mit der wir immer geschafft haben, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Die werden wir auch weiter hochhalten. Ich sehe nicht, warum man nicht auch zukünftig gut mit uns zusammenarbeiten will.

Adnoc hat auch zugesichert, dass der Vorstand um Markus Steilemann am Ruder bleiben kann, und der will das offenbar auch. Denken Sie, dass das hilft?

Es hilft immer, wenn jemand von innen, der das Geschäft und die damit innovative chemische Komplexität beherrscht, im Unternehmen ist. Wir haben mit Torsten Dreier und unserem Vorstandsvorsitzenden Markus Steilemann zwei Vorstandsmitglieder, die mit der internen Komplexität in unserem Unternehmen groß geworden sind. Und dies ist besonders wichtig, um künftig die Chemie mit der Technologie und der IT zu verknüpfen.

Im Zuge des Verkaufs fließen Covestro gut 1,1 Milliarden Euro zusätzlich zu. Es heißt, mit dem Geld soll der Konzernumbau Richtung Klimaneutralität und – was wohl schwieriger ist – Kreislaufwirtschaft beschleunigt werden. Haben davon auch Ihre Kolleginnen und Kollegen etwas?

Natürlich, wir haben darauf geachtet, dass die Investitionen auch in Deutschland erfolgen, um die Standorte in Deutschland zu stärken und somit auch eine Vielzahl an Arbeitsplätzen zu sichern.

Im Aufsichtsrat wird die Arbeitnehmerseite bald direkt auf Vertreter von Adnoc treffen. Das könnte spannend werden. Was erwarten Sie?

Wir sind bereits auf Vertreter von Adnoc getroffen und es gab ein persönliches Kennenlernen. Es war gar nicht so spannend, wie man es vielleicht im Vorfeld denkt. Die Erfahrungen im Tagesgeschäft werden sich noch einstellen.

Lanxess hat vor einigen Jahren seine Synthese-Kautschuk-Sparte komplett an Saudi Aramco abgegeben. Ist das für Sie vergleichbar? Und hören Sie etwas von den Betriebsräten bei Arlanxeo? Gab es vielleicht Tipps?

Man kann beide Fälle nicht miteinander vergleichen. Und ohnehin schauen wir auf uns und nicht auf andere. Was macht mich und meine Firma, in der ich seit 40 Jahren bin, aus? Das sollte die Frage sein. Wir schauen nach vorn, verschieben Grenzen, sind mutig und setzen neue Maßstäbe. Jeden Tag die beste Version von sich selbst zu sein, ist unser Treiber – der Treiber von all meinen Kolleginnen und Kollegen.

Vielerorts wird der Verkauf einer früheren Bayer-Sparte als Sinnbild des Ausverkaufs und auch des Niedergangs der deutschen Industrie gelesen. Können Sie das nachvollziehen?

Dass der Verkauf ein Sinnbild des Ausverkaufs und auch des Niedergangs der deutschen Industrie sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich ist es besorgniserregend zu sehen, dass viele Unternehmen schließen oder aufgrund von Kostendruck Teile ins Ausland verlagern. Aber man muss hier auch klar feststellen, dass die Wirtschaftskrise, die Pandemie und der Ukraine-Krieg nicht gerade zum Wirtschaftswachstum beigetragen haben.

Anstelle von Ausverkauf zu reden, muss sich wieder mehr auf die eigenen Stärken besonnen werden. Mehr Miteinander, auch in der Politik. Es müssen mehr Fachgespräche geführt werden und Lösungsansätze gefunden werden, und zwar gemeinsam. Am Ende sitzen alle im selben Boot! Das hat selbst ein reiches Land wie die Vereinigten Arabischen Emirate erkannt. Warum erkennen wir dies nicht? Deutschland hat eine Zukunft, wenn wir den gesunden Menschenverstand wieder einschalten und Alternativen für ölbasierte Rohstoffe entwickeln.


Irena Kuestner ist Betriebsratsvorsitzende am Standort Leverkusen, Konzernbetriebsratsvorsitzende und stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Covestro.