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Dartpfeil-Reportage LeverkusenEin Wohngebiet wie eine gemischte süße Tüte

Lesezeit 6 Minuten
Mann in Kiosk

Markus Willms in dem Kiosk, den er mit seiner Frau Heike betreibt.

Die Dartpfeil-Reihe führt uns ins südliche Schlebusch zwischen Arbeitersiedlung und einer ehemaligen BMX-Strecke im Wald.

Der Pfeil ist im deutsch-französischen Grenzgebiet gelandet. Eher nördlich von der Straßburger Straße im süddeutschen Teil zwischen Freiburg und Ulm. Hier stehen langgezogene, fünfstöckige Mehrparteienhäuser mit bunten Balkonen zwischen gepflegten Rasenflächen. Auf der französischen Seite zwischen Colmar und Mülhausen sind es eher kleinere Reihen- und Doppelhäuser mit Bobbycars in blühenden Vorgärten. Es ist ein gut durchmischtes Wohngebiet im äußersten Schlebuscher Süden zwischen der einförmig traditionellen Bebauung der Waldsiedlung und der einförmig modernen Bebauung der Bullenwiese.

Dartpfeil auf Stadtkarte

An der Freiburger Straße Nummer 2 ist der Dartpfeil gelandet.

Ziemlich genau auf dem Punkt, den der Dartpfeil in die Stadtkarte gebohrt hat, steht im realen Leben Gerhard Ludwig, der genau hier hingehört. „Ich wohne seit 40 Jahren hier, und mein Elternhaus ist nur zwei Straßen weiter“, erzählt der 67-Jährige. In Schlebusch ist er zur Schule gegangen, dann hat er 50 Jahre „beim Bayer“ gearbeitet, wie viele, die hier wohnen. „Die Häuser wurden in den 60er Jahren ja auch für Bayer-Arbeiter gebaut“, erzählt er.

Er möchte nirgends anders sein. „Ich lebe sehr gerne hier. Wenn man in die eine Richtung geht, hat man alle Geschäfte, die man braucht. Und in die andere Richtung ist man direkt in der Natur. Hier bin ich aufgewachsen, und hier werde ich wohl auch sterben.“ Aber noch nicht so bald, denn Ludwig wird noch gebraucht: Obwohl er längst in Rente ist, fährt er nebenbei Patienten der Tagespflege – morgens hin, nachmittags wieder nach Hause. „Das hält fit und bringt etwas Struktur in den Tag“, sagt der 67-Jährige. Nur Zuhause rumhängen, das ist nichts für ihn.

Mann vor Wohnhaus

Gerhard Ludwig auf dem Punkt im echten Schlebusch, auf dem der Dartpfeil gelandet ist.

Also steigt Ludwig in sein Dienstfahrzeug und ich gehe in Richtung Natur, wie es mir der Einheimische empfohlen hat. An der Endhaltestelle der Linie 4 wird fleißig gearbeitet, Bagger rollen, der neue Bahnsteig der Haltestelle „Schlebusch, Stadtbahn“ ist schon gut zu erkennen. Voraussichtlich noch bis November wird die Haltestelle „zur Erweiterung der Kapazitäten vollständig renoviert und für den Betrieb von Zügen mit einer Länge von 70 Metern ertüchtigt“, wie ein Schild an der Haltestelle für die Schienenersatzbusse verrät. „Das funktioniert gut“, sagt eine Frau noch, bevor sie in den Bus springt. „Aber ich bin froh, wenn die KVB wieder fährt, die ist schneller.“

Wo einst ein BMX-Track war, rennen heute zwei Geschwister

Aus dem angrenzenden Wald schallt Kinderlachen. Es sind Caro und Frederik, die hier das leicht hügelige Gelände auf und ab rennen. Papa Mark kommt gerne mit den beiden hier her. „Hier kann man sich toll austoben, das Hügelige motiviert die Kinder irgendwie mehr als plattes Land“, erzählt der Schlebuscher. Frederik ist sehr interessiert, als das Gespräch auf den BMX-Parcours kommt, der hier einmal von Jugendlichen angelegt und im Jahr 2021 vom Kölner Forstamt platt gemacht wurde. „Aber warum haben die das weg gemacht?“, fragt der Siebenjährige. Weil man nicht einfach ohne Erlaubnis im Wald Hindernisse aufbauen darf, erklärt der Papa. „Versicherungstechnische Gründe“, führte die Stadt damals an. Aber obwohl einiges eingeebnet wurde, hügelig ist das Gelände immer noch und einige Radspuren verraten, dass hier auch immer noch Zweiräder unterwegs sind.

Kinder im Wald

Die Geschwister Frederik und Caro mögen das hügelige Gelände an der Stadtgrenze zu Dünnwald.

Meine Hoffnung auf ein kühles Getränk in der Stadtgrenz-Schänke erfüllt sich nicht. Der letzte Biergarten vor der Kölner Stadtgrenze hat geschlossen. Ruhetag, Nachmittagspause, Sommerferien? Ich erfahre es nicht und gehe wieder Richtung Ausgangspunkt. Auch die Telegrafen-Klause hat zu. Aber nebenan steht die Tür von „Heike's Kiosk und Stehcafé“ offen. Eine Glocke klingelt beim Betreten, „Einen Moment!“, ruft es aus einem Hinterzimmer. Wer dann zum Vorschein kommt, ist aber eindeutig nicht Heike. „Nee, das ist meine Frau“, sagt Markus Willms lachend. „Markus’ Kiosk, wie hätte das denn geklungen? Den haben wir lieber nach ihr benannt!“ Seit 17 Jahren betreibt das Paar den Laden an der Straßburger Straße. Ein zunehmend schwieriges Geschäft.

Heikes Kioski in Schlebusch.

Heikes Kioski in Schlebusch.

Markus Willms hatte vorher 21 Jahre lang bei der Metro gearbeitet. „Ein Kollege sagte mir da: Wenn du einen Kiosk aufmachst, musst du dir im Sommer überlegen, welchen Mercedes du fährst und im Winter, unter welcher Brücke du schläfst.“ Da sei was dran, sagt Willms, obwohl es heute auch im Sommer nicht mehr für eine Auswahl an Luxusautos reicht.

Eis und Getränke, die gehen gut, aber nur, wenn es draußen warm ist. Und mit Getränken meint er die im Kühlschrank, nicht das Hochprozentige. „Einige von den Flaschen stehen seit der Eröffnung da“, sagt Willms. Seine Kundschaft komme fast ausschließlich aus der Nachbarschaft. „Und die fahren lieber zur Tankstelle und zahlen fünf Euro mehr für einen Jägermeister als ihn bei mir zu kaufen, wo man sich kennt.“ Ganz verstehen kann er das nicht: „Ich lebe doch davon, dass ich schweige und mir ist auch egal, wer sich was hinter die Binde kippt.“

„Ey du“ gibt es bei Willms nicht

Nicht egal ist ihm dagegen die Umgangsform, das wird schnell klar. Zwei Jungs in Fußballtrikots kaufen Kratzeis für 70 Cent. Gefrorenes Wasser mit Zucker und Farbstoff. Wie der Name schon sagt, braucht man dafür einen Löffel zum Abkratzen. Die hat Willms hinter der Theke. „Und ...?“ setzt einer der Jungs an und zeigt auf das Eis. Wilms schaut ihn scharf an: „Wie sagt man?“ „Kann ich bitte noch einen Löffel haben?“, antwortet der Junge brav.

Wenig später kauft die kleine Linda eine Kinderzeitschrift mit eingeschweißtem Plastikspielzeug. Sie will schon ohne ihr Wechselgeld wegrennen, dreht auf Willms' Ruf aber nochmal um und streckt ihm Daumen und Zeigefinger im Pinzettengriff entgegen. „Neenee, wie hab’ ich dir das beigebracht?“, fragt Willms. Und Linda streckt die flache Hand aus. Sonst kullert das Kleingeld immer durch den ganzen Laden, erklärt der erprobte Kioskbetreiber.

Mittlerweile wird ein Kiosk ja auch direkt in die Schmuddelecke gestellt
Markus Willms, Kioskbetreiber

Die Art von Höflichkeit, die er noch von seiner Mutter beigebracht bekommen hat, sei heute nur noch selten bei Kindern anzutreffen, sagt Willms. Aber durchgehen lassen will er das nicht. „Letztens kam ein Pimpf rein und sagt: 'Ey du, machst du mir gemischte Tüte'. Den habe ich erst mal gefragt, ob wir zusammen im Sandkasten waren.“

Unhöfliche Kinder sind aber nicht sein größtes Problem. „Den Teil des Berufs mache ich gerne: Verkaufen, mit Leuten quatschen.“ Aber in den letzten Jahren sei so viel dazu gekommen, was ihm den Spaß an der Arbeit vermiest: ständig steigende Auflagen, Papierkram, Bürokratie, Besuche von Finanz- und Ordnungsamt. „Das ist ein Alptraum. Mittlerweile wird ein Kiosk ja auch direkt in die Schmuddelecke gestellt.“

Nein, schmuddelig ist es hier nicht, im deutsch-französischen Grenzgebiet im südlichen Schlebusch. Aber bunt gemischt, wie die Tüte, die in Heikes Kiosk bekommt, wer „Bitte“ und „Danke“ beherrscht.