Wer sind die Frauen, die von ihren Männern misshandelt werden? Zum Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am Freitag, 25. November, stellt die Opladener Frauenberatungsstelle drei Biografien vor.
Hilfe in Leverkusen Wie Frau M. sich von ihrem gewalttätigen Partner freigekämpft hat
Bei Frau M. kam der Stein mit einem Polizeieinsatz ins Rollen. Die 45-Jährige kommt aus Tunesien (alle persönlichen Angaben verfremdet, Anm. d. Red.), spricht kaum Deutsch. Als ihr Mann mal wieder einen seiner cholerischen Anfälle hat, Gegenstände nach ihr wirft und im Beisein ihrer vier Kinder droht, sie umzubringen, kommt die Polizei. Bereits in der Vergangenheit soll er seine Frau an den Haaren durch die Wohnung geschleift haben. Zehn Tage lang darf er die gemeinsame Wohnung nicht betreten, der Countdown läuft. Wie im Großteil der Fälle vermittelt die Polizei den Kontakt zu dem Team in der Birkenbergstraße. „Wir versuchen zuerst, die Frauen zu beruhigen, dass sie sich willkommen fühlen“, erklärt Judith Stohr.
Frau M. gewinnt Zeit
Dann geht es sofort um die Frage, wie es weitergeht. Sie schauten nicht so sehr danach, was in der Vergangenheit passiert sei, sagt Stohr, sie seien keine Therapeutinnen, sondern versuchten, praktische Hilfe zu geben. Der 45-Jährigen wird der Kontakt zu einer Anwältin vermittelt, sie setzt durch, dass die „Wegweisung“, dass der Ehemann nicht mehr in die Wohnung darf, auf sechs Monate verlängert wird. So hat Frau M. Zeit gewonnen. Der Mann zieht zunächst zu Verwandten in eine andere Stadt, kommt aber irgendwann zurück nach Leverkusen, er steht damals permanent vor dem Fenster und haut gegen das Fenster, erzählt Stohr. Die Frau muss immer wieder die Polizei rufen.
Als der Mann eine eigene Wohnung findet, kehrt Ruhe ein. Mittlerweile ist die Scheidung durch, Frau M., die zuvor von Leistungen vom Staat gelebt hatte, habe nun einen kleinen Teilzeitjob und lerne Deutsch, erzählt die Diplom-Pädagogin.
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Auch Akademikerinnen wie Frau A. trifft es
Gewalt gegen Frauen ziehe sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und sei auch keine Frage der Nationalität, diese Botschaft wird das Team der Frauenberatungsstelle nicht müde, zu betonen. Wie auch bei Frau A. 38 Jahre alt ist die Deutsche. Sie ist beruflich erfolgreich, arbeitet als Führungskraft in einem Unternehmen. Ihren Ehemann hat sie im Studium kennengelernt, seit 15 Jahren sind sie zusammen und haben eine gemeinsame Tochter. Die Schwierigkeiten fangen an, als der Nachwuchs auf die Welt kommt, die Tochter schreit viel, der Mann muss arbeiten, schläft kaum und ist genervt.
Bald darauf diskutiert das Leverkusener Paar, ob die Frau überhaupt wieder arbeiten gehen soll. Immer wieder kommt es zu Streits, zu verbalen Anfeindungen des Mannes und auch zu Schubsereien. Frau A. setzt sich durch. Doch der Druck auf der Arbeit wächst: Als ihr Mann sich wiederholt nicht an die Absprachen hält, die Tochter mehrfach nicht von der Kita abholt, signalisiert ihr Arbeitgeber, dass es so nicht weitergeht. Frau A. kündigt und ist frustriert, die Streits häufen sich von nun an. Irgendwann bricht es aus der 38-Jährigen heraus, als sie ihre Tochter von der Grundschule abholte. „Es gibt häufig Frauen, die das Bild nach außen aufrechterhalten wollen, es sieht dann von außen betrachtet wie eine vorbildliche Ehe aus“, hat Alexandra Engel aus dem Vorstand der Frauenberatung beobachtet.
Frau A. sucht eigenständig Hilfe in Opladen, am Tag des vereinbarten Termins steht sie in Tränen aufgelöst vor dem Büro, ihr Mann hat den Termin entdeckt und ist ausgeflippt. Wenn sie sich trenne, nehme er ihr das Kind weg, soll er gesagt haben, sie geschubst und auf den Boden geworfen haben. Wutentbrannt packt er seine Sachen und verlässt die Wohnung. Frau A. stellt eine Strafanzeige, auch sie ist mittlerweile geschieden, sie konnte sogar bei ihrem alten Arbeitgeber wieder einsteigen.
Frau B. wehrt sich gegen die Verwandtschaft
Frau B. ist seit 30 Jahren verheiratet, die beiden erwachsenen Kinder sind längst aus dem Haus. Die 55-Jährige aus Afrika ist Hausfrau, hat nur mal zwischendurch als Reinigungskraft gearbeitet. Ihr Mann ist gewalttätig, als er irgendwann mit dem Messer auf sie losgeht, sucht sie Hilfe. Nachdem der Mann aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen wird, setzt ihr die Verwandtschaft zu und redet auf sie ein. „Oft heißt es dann: ,Du kannst dich doch nicht trennen.' Eine Scheidung ist teils ein Ehrverlust – auch für die Familien“, sagt Judith Stohr. Ihr Team hilft der 55-Jährigen, in einem Frauenhaus in einer anderen Stadt unterzukommen. Wie die Geschichte ausgegangen ist, weiß das Team nicht, da es keine Rückmeldungen vom Frauenhaus erhält. Doch auch Frau B. hat den ersten Schritt gemacht.
701 Frauen wurden im Jahr 2021 in der Birkenbergstraße beraten. Die Zahl der Beratungen steige kontinuierlich in den vergangenen Jahren, erklären Alexandra Engel und Judith Stohr. Die beiden bilden mit zwei anderen Kolleginnen das Team der Frauenberatungsstelle. Laut einer EU-Studie erfahre jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt, betont Sozialpädagogin Stohr. Der Aktionstag sei wichtig, um das Thema politisch aufzugreifen. „Es ist nach wie vor ein Tabu“, kritisiert Engel.
Die Spendenaktion „1-Kubikmeter-Freiraum-für-Frauen“, die seit knapp einem Jahr läuft, ist zu Ende gegangen. Knapp 12.000 Euro seien zusammengekommen, freuen sich Engel und Stohr. Mit dem Geld sollen die Räumlichkeiten in Opladen umgebaut werden. Eine eingezogene Wand soll einen zweiten Beratungsraum ermöglichen, bislang wird bei gleichzeitigen Terminen nur mit einem Paravent für Privatsphäre gesorgt. Im Frühjahr soll der Umbau fertig sein.