Leverkusen – Gäbe es einen Preis der Parteien im Wahlkampf 2021, wer die größte Aufmerksamkeit in der Wiesdorfer Fußgängerzone erregt, am Samstag hätten ihn die Grünen ganz sicher verdient: Für die Öko-Partei zieht eine gebuchte Mini-Loveparade mehrmals kreuz und quer durch die City, inszeniert vom Künstlerkollektiv „Dance Parader“.
Sie machen mit lauter Musik mächtig was her. Den einen gefällt die Aktion, Videos werden gedreht, andere finden's aufdringlich, manche vermuten gar Wahlkampf-Sabotage: „Sind das wirklich die Grünen? Sowas Peinliches hätte ich höchstens der FDP zugetraut“, sagt einer.
Falsch gedacht: Für die gelbe Partei verteilt Uwe Bartels Faltblätter, Feuerzeuge und Süßigkeiten und diskutiert – ganz alte Wahlkampf-Schule – über Politik. Auch mit einem Impfverweigerer von „Die Basis“, der ist zwar etwas dick, sieht sich dennoch nicht gefährdet. Einige lokale Grüne, wie Claudia Wiese, grooven bei der Parade mit, auch die kommende Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik macht sich zu einem kurzen Tanzvergnügen locker.
Sie kann wirklich entspannt sein, denn von allen Leverkusener Direktkandidaten dürfte alleine ihr Sitz wegen eines guten Listenplatzes im kommenden Bundestag jetzt schon so sicher sein wie das Amen in der Kirche.
Andere müssen sich da noch ganz anders ins Zeug legen. Karl Lauterbach zum Beispiel. Ihm hat die SPD mit dem aussichtslosen Landes-Listenplatz 23 in einen politisch-existenziellen Kampf geschickt: Er muss die Mehrheit der Erststimmen holen, andernfalls droht ihm der Ausstieg aus dem Abgeordnetenleben. Lauterbach macht Selfies, diskutiert, nimmt Lob und Tadel entgegen. Parteikollegen verteilen Faltblätter und Kugelschreiber.
„Ich kann keine angekündigten Wahlstände mehr machen“, sagt Lauterbach, der abgekämpft wirkt. Für ihn ist dieser der vielleicht anstrengendste Wahlkampf, er ist nicht mehr frei, stets stehen links und rechts Personenschützer neben ihm, die konzentriert die Umgebung beobachten. Zwei uniformierte Polizisten halten sich zusätzlich die ganze Zeit über in Lauterbachs Nähe bereit. Der Grund: Impfgegner belagern ihn, sobald sie wissen, wo er ist.
Auch am Samstag in Wiesdorf steht bald ein pöbelnder Mann, der filmt mit dem Handy und kommentiert seine Aufnahme: „Schluss mit dem Impfzwang, da sieht man den größten Panikmacher!“.
Die Personenschützer sind sprungbereit, der Mann versucht gar nicht, näher an den SPD-Kandidaten heranzukommen. Seine Aufnahmen werde er in die „asozialen Netzwerke“ stellen, sagt er. Er wirkt innerlich aufgewühlt, zittert sogar. Der altgediente SPD-Genosse Manfred Kleinbreuer am Stand sagt dazu: „Das sind so Psychos, vielleicht gefährlich, wie bei der Frau Reker. Gut, dass die Bodyguards immer da sind.“
Bei Lauterbach scheint eine gewisse Gewöhnung eingetreten: „Bei so welchen bin ich robust, da erlebe ich ganz anderes, das mich deutlich stärker mitnimmt.“
Gitarre mit Gesang
Die CDU ist an diesem Nachmittag nicht in Wiesdorf präsent. Christer Cremer und Mitstreiter von der AfD verteilen Faltblätter, werden dabei nicht gestört. Das war nicht immer so; früher wurden die Rechten am Wahlstand gerne mal gestört. „Es läuft gut“, sagt der Kölner jetzt.
Am Stand der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) greift der Kandidat Jonathan Meier selbst zur Klampfe, Aktivistin Ulja Held singt mit klarer Stimme Kampflieder.
„Bist Du ein Rebell“ und „Bella Ciao“ klingt es zwischen ausgiebigen politischen Reden. Erstmal richtiger Sozialismus, später dann Kommunismus, so lautet der Plan der Frauen am Stand. Das unterscheide sie übrigens von der DKP, die auch die DDR oder das chinesische System gut fänden.Alles spielt sich dicht beieinander auf dem Platz vor P&C ab.
„Die kommunistischen Reden nerven ganz schön“, sagt der Mann am FDP-Stand, „aber die Frau singt gut“. Wahlkampf ist nicht mehr wie früher, aber Musik überwindet anscheinend noch die höchsten Schranken.