„Fühlte mich fehl am Platz“Schlebuscherin gründet Selbsthilfegruppe für Hochsensible
Leverkusen – „Ich fühlte mich immer fehl am Platz.“ Schon als Kind war Renate Terlisten die Welt viel zu laut. „Stell dich nicht so an“, das habe ihre Oma immer gesagt. Seit ihrer Kindheit kann die Schlebuscherin „Stimmungen gut wahrnehmen“, sich in andere Menschen hineinversetzen. Sie beschreibt sich im Vergleich zu ihren zwei kleinen Geschwistern – ein Bruder, eine Schwester – im Nachhinein als deutlich sensibler, auch aufmerksamer und emphatischer, dafür wurde sie „oft schräg angeguckt.“
Heute geht es Terlisten nicht viel anders. Sie nimmt Dinge intensiv wahr. Gerüche, Geräusche, Bilder, Blicke, alles, so Terlisten, wird bewusst verarbeitet und sortiert. Ein Unterschied zu damals besteht allerdings, die 39-Jährige hat einen Namen für ihre Sicht auf die Welt: Hochsensibilität.
Amerikanische Forschungen
Der Begriff geht zurück auf amerikanische Forschungen der späten 90er-Jahre. Er bezeichnet nicht etwa eine Krankheit, sondern eine „Persönlichkeitsdisposition“, bei der Betroffene empfänglicher für subtile Reize sind – und dadurch schneller überfordert werden. Terlisten hat erst „vor fünf oder vier Jahren davon gelesen“ und sich endlich verstanden gefühlt, davor habe sich das Gefühl aus der Kindheit nicht wirklich verändert.
Ein umstrittener Begriff
Wie viele Menschen vom Phänomen „Hochsensibilität“ betroffen sind, ist unklar – Forschungsergebnisse schwanken zwischen drei und 20 Prozent der Bevölkerung. Wissenschaftlich ist der Begriff nicht unumstritten, er wird häufig als zu unscharf definiert kritisiert und in diesem Zusammenhang mit Borderline oder Burnout verglichen. Die Psychologin Dr. Sandra Konrad hat verschiedene Studien zum Thema durchgeführt – und definiert verschiedene Indikatoren für Hochsensibilität folgendermaßen: Niedrige Reizschwelle, überdurchschnittliche Handlungsreflexion und schnelle Verhaltenshemmung. (pg)
Jahrelang hat Terlisten in einem Großraumbüro gearbeitet. Eine Reizüberflutung, die zur Überforderung wurde. Mittlerweile erledigt sie alles im Homeoffice, „das ist super“. Die 39-Jährige kann nun alles von zuhause aus erledigen. Weniger Umgebungsrauschen, mehr Konzentration. Ein besseres Lebensgefühl. Aber auch dort gibt es Dinge, die sie kaum ertragen kann: Wenn morgens die Töchter schreien und der Mann das Radio anmacht, „mache ich es so schnell ich kann wieder aus.“ Sie habe oft das Bedürfnis, sich zurückzuziehen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Auch ihre beiden Töchter, vier und sechs Jahre alt, zeigen laut Terlisten hochsensibles Verhalten – allerdings auf völlig verschiedene Arten. Während die Ältere „bedacht, vorsichtig und reflektiert“ mit anderen Menschen umgeht und dabei ständig die eigene Wirkung hinterfragt, „schreit“ die Jüngere ihre Überforderung „einfach raus, manchmal zehn Minuten lang.“ Terlisten findet das okay: „Wer hat das Recht, ihr zu sagen, wann es reicht?“ Beide Verhaltensweisen kennt die Mutter von sich. Ob Hochsensibilität übertragbar ist? „Das glaube ich schon.“
Schlimm finde sie das nicht, denn die Auswirkungen sind nicht nur negativ: „Ich spüre besser als meine Eltern früher, was den Kindern fehlt.“ Auch ihre Kinder, da ist Terlisten sicher, sind nicht nur hochsensibel, sondern auch hochempathisch. Sie wüssten heute besser als Terlisten vor gut 30 Jahren, wie sie mit dem hohen Geräuschpegel der Schule umzugehen haben.
Es geht um Austausch
Auch aus diesen Gründen gefällt der zweifachen Mutter der Begriff „Selbsthilfegruppe“ für den von ihr ins Leben gerufenen Treff nicht wirklich: „Es geht um gegenseitigen Austausch, um die Frage: Wie kann ich meine Hochsensibilität nutzen?“ Möglich also, dass der Treff einen anderen Namen bekommt.
Am 10. Januar sind in der großräumigen Villa Wuppermann alle eingeladen, die sich über Hochsensibilität unterhalten wollen. Weil sie sich „oft fehl am Platz fühlen, schnell überfordert sind“ oder Symptome bei den eigenen Kindern wiedererkennen. Nicht, um die Welt leiser zu machen, sondern um ihre Lautstärke besser zu verstehen.
Das erste Treffen der neuen Selbsthilfegruppe für hochsensible Erwachsene und Eltern von hochsensiblen Kindern startet am Freitag, dem 10. Januar 2020, um 19 Uhr in der Villa Wuppermann (1.Etage) in Leverkusen-Schlebusch. Die Teilnahme ist ohne Anmeldung möglich und kostenlos. Informationen sind vorab bei der Initiatorin Renate Terlisten per E-Mail an kontakt@hochsensibel-lev.de oder telefonisch im Selbsthilfe-Büro Leverkusen unter 02171 /94 94 95 erhältlich.