Karl LauterbachIm Leverkusener Eiscafé wird klar, wie sich sein Leben verändert hat
Leverkusen – „Ich habe mich nicht verändert. Ich bin ganz der Alte“, sagt Karl Lauterbach. Sein Leben aber hat sich verändert. Das zeigt sich am Samstagnachmittag auf der Terrasse des Eiscafés Portofino in Leverkusen-Steinbüchel bei einem der wenigen Besuche im Wahlkreis seit er Bundesgesundheitsminister ist.
Lauterbach macht hier Wahlkampf für seine Parteifreundin Ariane Koepke, Kandidatin der Leverkusener SPD bei der Landtagswahl am 15. Mai. Sein Kommen durfte nicht öffentlich angekündigt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass gewaltbereite politische Gegner einen Ortsbesuch des Ministers dazu nutzen, ihn anzugreifen.
Die Bedrohungen kennt Karl Lauterbach längst
Bedrohungen und Personenschutz kennt er spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie. Doch erst vor eineinhalb Wochen wird bekannt, dass Extremisten planten, Karl Lauterbach zu entführen. Seitdem ist sein Personenschutz weiter verstärkt worden.
Auch in Leverkusen betreiben die Polizisten des Bundeskriminalamts einen großen Aufwand, den Besuch Lauterbachs in seinem Heimatwahlkreis zu ermöglichen. Hier hat er bei der Bundestagswahl 45 Prozent der Erststimmen geholt, hier ist er ein sicheres Zugpferd für die politisch noch unverbrauchte, aber auch wenig profilierte SPD-Kandidatin Koepke. Bevor Lauterbach eintrifft, sichern die Polizisten das Steinbücheler Eiscafé akribisch, weisen Ordner der SPD an, Taschenkontrollen bei Besucherinnen und Besuchern durchzuführen, stellen Absperrgitter auf, beobachten Jeden und Jede genau. Etwa 50 Menschen sind gekommen, viele aus der Partei, einige Jusos, ein paar Schaulustige bleiben in einiger Entfernung stehen. Lauterbach selbst kommt ein wenig verspätet um 16.15 Uhr in der Erich-Ollenhauer-Straße an, begleitet von mehreren Personenschützern. Er hat noch in Wiesdorf Halt gemacht, um die SPD im Straßenwahlkampf zu unterstützen. Zudem wird sein Fahrzeug umgeleitet, nachdem ein alkoholisierter Autofahrer in Steinbüchel mehrere Menschen schwer verletzt hat.
Lauterbach: „Ich habe etwas mehr Arbeit als früher“
Nachdem er versichert hat, er sei immer noch der Alte, erzählt er auch, was sich verändert hat. „Ich habe etwas mehr Arbeit als früher. Aber ich mache sie gerne.“ Er arbeite weiter an der Bewältigung der Corona-Pandemie, treibe Reformen im Gesundheitswesen voran und, klar, auch die lokalen Themen kämen nicht zu kurz.
„Es ist richtig, dass ich ein paar Sicherheitsprobleme habe“, sagt Lauterbach ins Mikrofon. „Aber wir machen weiter, was richtig ist.“ Dabei lasse er sich auch nicht von ein paar „gewaltbereiten Querulanten“ aufhalten, „die nicht für die Gesellschaft sprechen“.
Ariane Koepke schätze er, der Mediziner, sowohl als Kollegin – sie ist angestellte Zahnärztin – als auch als Politikerin, sagt Lauterbach noch, bevor es ans Eingemachte geht. Autobahn-Ausbau, Ukraine-Krieg, Embargo für russisches Gas, öffentlicher Nahverkehr, Inflation, Pflegenotstand, Krankenhausfinanzierung, Bildung, elektronische Patientenakte, Bürgerversicherung – die Anwesenden haben viele Fragen und vor allem Lauterbach liefert Antworten. Die sind manchmal sehr komplex und nehmen mitunter gedankliche Umwege, sodass eine Sozialdemokratin ihm sagt, „Darum geht es doch gar nicht“, aber der Gesundheitsminister rückt nicht davon ab, geduldig seine Linie zu vermitteln.
Die Linie der Bundesregierung wird infrage gestellt
Die Linie der Bundesregierung wiederum wird infrage gestellt, als ein älterer Genosse bemerkt, dass Lauterbach und die anderen SPD-Kabinettsmitglieder die in Einzelfragen widerspenstige FDP gewähren und Gesetzesvorhaben verhindern ließen. „Es kommt zu wenig rüber, wo ihr auf den Tisch haut“, sagt der Mann, den Karl Lauterbach als Wolfgang anspricht. „Da wedelt der Schwanz mit dem Hund. Warum macht ihr nicht deutlich, wer das Sagen hat?“
Zwei Dinge, antwortet Lauterbach, seien nicht gelungen, das gibt er unumwunden zu, aber das seien sicher keine Erfolge der FDP gewesen. Eine Maskenpflicht im Infektionsschutzgesetz sei rechtlich einfach nicht mehr zu implementieren gewesen, weil das Gesundheitssystem in Deutschland nicht mehr gefährdet gewesen sei. Das hätte er auch nicht im Alleingang umdeuten können, sagt Lauterbach. „Der Laie denkt natürlich, die SPD ist eingeknickt.“ Und die gescheiterte allgemeine Impfpflicht sei keine wirkliche Niederlage. Und selbst wenn: „Es ist besser, auf der richtigen Seite eine Niederlage hinzunehmen, als auf der falschen Seite einen Sieg.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Gut eineinhalb Stunden nimmt sich Lauterbach Zeit, um auf Sorgen und Vorschläge der Anwesenden zu reagieren. Gleich zu Beginn wurden ihm ein Wasser und ein Kaffee hingestellt. Das Wasser rührt er kaum an, so sehr ist er im Redefluss, und den Kaffee kippt er erst in einem großen Schluck hinunter, als der schon längst kalt sein muss. Und trotzdem, an diesem Samstag in ihm wohlgesonnener Gesellschaft, wirkt Lauterbach in wenigen Augenblicken sogar gelassen.
Dass seine Beliebtheit abgenommen hat, stört ihn nicht
„Ich bin immer wieder gerne hier“, sagt Lauterbach im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ anschließend. Dass seine Beliebtheit im Land abgenommen habe, störe ihn nicht. „Im Gespräch mit den Bürgern empfinde ich nach wie vor sehr viel Zustimmung“, bekennt er. Und ein Minister solle auch nicht Politik machen, um beliebt zu sein. „Wenn er bei guter Politik auch beliebt ist, ist das richtig. Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist nicht, was aus uns wird.“
Aus Karl Lauterbach, dem Gesundheitsexperten seiner Partei, dessen Markenzeichen eine Fliege war, ist der nimmermüde scheinende Bundesgesundheitsminister geworden. Ein Mann der großen Politik, der in Jeans, Pullover und Sakko auf einer zugigen Terrasse eines Eiscafés steht, umringt von Personenschützern, die ihn jetzt auch weiter begleiten, wenn dieser Wahlkampftermin längst vorbei ist.
Er habe sich an die Bedrohungslage gewöhnt, sagt Lauterbach. „Ich selbst bin kein ängstlicher Mensch.“ Ihn bedrücke aber, dass seine Familie ebenfalls gefährdet sei. „Ich komme mit solchen Gefahren persönlich ganz gut klar, wenn es nur mich gefährdet. Aber insbesondere für meine Kinder ist es eine Bedrohung, die ich nicht ignorieren kann und die mir nahe geht.“