Über Jahrzehnte hinweg waren Bayers Hauptversammlungen Treffpunkt von Kritikern. Mit Corona wurden sie virtuell. Das soll so bleiben.
HauptversammlungBayer-Vorstand in Leverkusen will Aktionäre nicht mehr persönlich treffen
Corona ist vorbei, Ansteckungsgefahr bei großen Menschenansammlungen kein Thema mehr. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Dax-Konzernen will Bayer nicht zu herkömmlichen Hauptversammlungen zurückkehren. Nicht nur die am Freitag, auf der Vorstandschef Werner Baumann sich ein letztes Mal an die Anteilseigner wendet, soll wiederum über Video und ohne Publikum ablaufen, sondern auch zukünftige Aktionärstreffen. Das unter dem Eindruck der Pandemie modifizierte Aktienrecht gibt das her.
Kurios dabei: Die Aktionäre müssen selbst beschließen, dass sie nur noch am Bildschirm mit Vorstand und Aufsichtsrat ins Gespräch kommen. Und dieser Beschluss – er soll am Freitag gefällt werden – gilt auch nur für zwei Jahre.
Rederecht in der Versammlung
Schon die nächste Veranstaltung soll sich aber deutlich von den virtuellen Hauptversammlungen der vergangenen drei Jahre unterscheiden, beteuert der Bayer-Vorstand. Dass die Konzernspitze lediglich auf vorher eingereichte Fragen antwortet und manches auch um einer zügigeren Abwicklung willen zusammenfasst, solle nicht so bleiben, steht in der Tagesordnung für Freitag. Die Regeln des virtuellen Aktionärstreffens 2.0 entsprächen „nun weitestgehend den Aktionärsrechten in der Präsenzhauptversammlung“.
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Die neue Form sehe „in Annäherung an Präsenzhauptversammlungen etwa den direkten Austausch zwischen Aktionären und Verwaltung im Wege der Videokommunikation vor“, schreibt Bayer. Fast noch wichtiger: Während der virtuellen Versammlung haben die Aktionäre ein Antrags- und Wahlvorschlags- sowie ein Rederecht.
Dazu kommt: Virtuelle Aktionärstreffen sind ein Kann, nicht ein Muss. Der Vorstand könne jeweils beschließen, die Aktionäre auch persönlich einzuladen, so wie es Jahrzehnte lang üblich war.
Immer ein Ort lebhafter Auseinandersetzungen
Bayers Hauptversammlungen zählten immer zu den lebhaftesten in ganzen Land. Das unternehmerische Handeln des Agrochemie- und Pharmakonzerns steht unter permanenter Beobachtung. Kritiker meldeten sich nicht nur im Saal zu Wort und sprachen auf die Weise mehrere Tausend Aktionäre an – schon vorher suchten sie den Kontakt zum Publikum: Die Plätze vor den von Bayer genutzten Veranstaltungshallen boten immer auch Raum für Aktionen. Manche davon konnten den Bayer-Oberen nicht gefallen.
2017 zeigte sich, wie wichtig der Debattenplatz vor den Hauptversammlungen ist: Gegen Bayers Beschluss, die Aktionäre nicht mehr in die Kölner Messehallen, sondern ins viel kleinere Bonner World Conference Center einzuladen, wurde sogar – am Ende erfolglos – geklagt. Vor allem, weil das Unternehmen große Teile des Vorplatzes für sich reklamierte. Raum, der den Protestlern fehlte.
Die Idee, für mehr Ruhe am Eingang zu sorgen und die Aktionäre nicht von Kritikern behelligen zu lassen, war allerdings schon damals nicht neu: 2014 hatte Bayer versucht, den großen Platz vor den Nordhallen der Kölner Messe absperren zu lassen. Mit dem Argument, das Gelände befinde sich im Besitz der Messegesellschaft, sei also Privatgrundstück. Das Kölner Verwaltungsgericht sah das anders und räumte dem Demonstrationsrecht Vorrang ein.
Es durfte weiter protestiert und agitiert werden, obwohl die Sache ein Jahr davor ziemlich aus dem Ruder gelaufen war: Aktivisten von Greenpeace hatten sich über die Ausläufer der Zoobrücke angeschlichen, das Dach der Nordhallen erklommen und sich mit einem großen Transparent von dort abgeseilt. Aufschrift: „Pestizide töten Bienen“ – neben dem Bayer-Logo.
Vor diesem Hintergrund stößt auch Bayers neuer Plan, Treffen in Präsenz abzuschaffen, auf scharfe Kritik, die sich in einem der Gegenanträge zur Hauptversammlung am Freitag niederschlägt. Der veränderte Paragraf 118 des Aktiengesetzes „erlaubt es dem Vorstand nun, sich UmweltschützerInnen, Gentechnik-GegnerInnen, Klimaschutz-AktivistInnen vom Leib zu halten und den Geschädigten von Bayer-Produkten nicht mehr direkt ins Auge sehen zu müssen. Auch ist es den KritikerInnen nun genommen, Flugblätter an die AktionärInnen zu verteilen und mit ihnen in einen Dialog zu treten“, schreibt die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“. Eine solche Gesprächsverweigerung könne man nur ablehnen.