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Rückführung nahm absurde WendungGuineer droht Abschiebung – trotz Erfolg in der Ausbildung

Lesezeit 5 Minuten
Drei Leute stehen auf einem Rasen.

Sekou Sidibe und Sabine und Bruno Hentschel.

Der Dachdeckerlehrling Sekou Sidibe lebt seit sechs Jahren in Leverkusen. Nun entscheidet sich sein Schicksal.

Sekou Sidibe sitzt am Freitag auf der Terrasse von Bruno und Sabine Hentschel in Langenfeld-Berghausen. Während er erzählt, atmet er immer mal wieder tief durch. Manchmal fährt er sich mit den Händen durchs Gesicht. Er hat schlecht geschlafen in den vergangenen Nächten. „Es geht mir nicht so gut wegen der ganzen Situation“, sagt er.

Die „Situation“ ist eine unter abenteuerlichen Umständen gescheiterte Abschiebung des Dachdeckerlehrlings in das Land seiner Geburt, Guinea in Westafrika. Vor genau einer Woche saß er im Flugzeug von Frankfurt über Istanbul und Ouagadougou nach Conakry, der Hauptstadt von Guinea in Westafrika. Ein Linienflug mit Turkish Airlines, in seiner Begleitung vier Bundespolizisten und ein Arzt. Ein Mediziner ist Vorschrift bei Abschiebeflügen. Zweieinhalb Tage zuvor war der 24-jährige Sidibe ins Ausländeramt der Stadt gekommen, um seine „Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt“ zu verlängern. Doch dazu kam es nicht. „Die Mitarbeiter haben die Tür abgeschlossen und die Polizei angerufen. Die Polizei hat mir dann Handschellen angelegt und mich zum Gericht nach Opladen gebracht.“

Leverkusen: In Handschellen nach Opladen

Ein Richter bestätigt, dass Sidibes Abschiebung nach Guinea rechtlich nichts entgegensteht. Er kommt in das Abschiebehafthaus nach Büren. Und am frühen Freitagmorgen, 31. August, beginnt dann die Reise nach Westafrika. Dort bekommt die Abschiebung eine absurde Wendung. Der Außenminister des Landes ist in Begleitung von Beamten am Flughafen, als Sidibe in Conakry ankommt. Er lässt sich persönlich den Namen des jungen Mannes geben, hält kurz Rücksprache mit seinem Tross und erklärt dann, dass Sidibe nicht ins Land einreisen darf. Mehr noch: Er lässt kurzerhand ein Rückflugticket für Sidibe ausstellen. Zwei Tage und eine Hotelübernachtung in Istanbul später, am Sonntagabend, 2. September, ist die kleine Abschiebereisegruppe wieder in Frankfurt.

Nun wartet der junge Guineer. Laut Ausländergesetz gilt für ihn nach einer gescheiterten Abschiebung eine Frist von einer Woche, nach der die Behörden erneut entscheiden müssen, wie es weitergeht. Sabine und Bruno Hentschel unterstützen ihn dabei, so gut es geht. Bruno Hentschel lernte Sekou Sidibe vor sechs Jahren kennen, als dieser sich das Fahrrad von Henschels verstorbenem Vater abholte. Die beiden fanden Gefallen aneinander. Und seitdem hilft ihm das Ehepaar, wo es nötig ist. „Wir fühlen uns schon so ein bisschen verantwortlich für ihn. Wenn er Probleme hat, kommt er immer direkt zu uns“, sagt Sabine Hentschel. Die Hentschels wollen jetzt Aufmerksamkeit für Sekou schaffen. Auch der WDR hat in der „Lokalzeit“ schon berichtet.

Asylantrag wurde Mitte 2020 abgelehnt

Rechtlich betrachtet ist Sidibes größtes Problem sein Mitte 2020 abgelehnter Asylantrag. Seitdem galt er – bis Ende Januar 2024 – in Deutschland lediglich als „geduldet“. Zunächst fehlen Ausweispapiere, die eine Ausweisung möglich gemacht hätten. Sidibe, der in der städtischen Geflüchtetenunterkunft an der Sandstraße untergebracht ist, beantragt 2021 einen Pass bei der guineischen Botschaft. Denn erhält er zwar nicht, dafür aber im Herbst 2023 einen „titre de voyage“, eine Art Passersatzpapier.

Duldung hin oder her, Sekou Sidibe erkennt die Chancen, die in einem Schulabschluss und einer Berufsausbildung in Deutschland für ihn liegen könnten. Er besucht einen Sprachkurs, schließt die B1-Prüfung Anfang 2020 erfolgreich ab, will seinen Hauptschulabschluss nachholen und besucht dafür die Tages- und Abendschule in Köln-Ehrenfeld. Mit seiner sympathischen, offenen Art hat er es nicht schwer, Freunde in Leverkusen und Langenfeld zu finden. Als im Juli 2021 die Unwetterkatastrophe über das Ahrtal hereinbricht, fährt Sidibe mit einer Gruppe Gleichgesinnter dorthin und hilft auf dem Weingut Walbröl in Dernau beim Aufräumen.

Das Wichtigste aber: Mit Zustimmung der Ausländerbehörde in Leverkusen beginnt er dann im August 2022 bei Dachdeckermeister Abbas Süren in Langenfeld die Ausbildung zum Dachdecker.

Sekou Sidibe bei der Arbeit auf einem Dach.

Sekou Sidibe bei der Arbeit auf einem Dach.

Süren ist voll des Lobes für Sekou Sidibe: „Er ist pünktlich, zuverlässig, fleißig. Wir verstehen das auch nicht, warum er jetzt abgeschoben wurde. Nächstes Jahr im Frühling hat er seine Gesellenprüfung.“ Wenn sein Lehrling aus Guinea die Prüfung besteht, will er ihn als Geselle übernehmen. Wer auch immer im schulischen und beruflichen Feld mit Sidibe zu tun hat, äußert sich ähnlich. Ein Lehrer des Berufskollegs Solingen schreibt Süren: „Herr Sidibe zeichnet sich durch hohes Engagement im Unterricht aus und ist stets zuverlässig bei der Sache. Trotz Deutsch als Fremdsprache ist er seinen muttersprachlichen Klassenkameraden in fachlichen Dingen oft voraus.“

Die Genehmigung zur Beschäftigung läuft mit dem Ende der Duldung im Januar 2024 zwar eigentlich aus. Seine Ausbildung darf Sidibe mit Wissen der Ausländerbehörde aber trotzdem fortsetzen.

Trotz Deutsch als Fremdsprache ist er seinen muttersprachlichen Klassenkameraden in fachlichen Dingen oft voraus.
Ein Berufsschullehrer über Sekou Sidibe

Im Rathaus betont man auf Anfrage, rechtlich mit Blick auf die Abschiebung alles richtig gemacht zu haben. Die „seitens der Ausländerbehörde getroffene Entscheidung“ sei „im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens überprüft und bestätigt“ worden, teilt die Stadtverwaltung auf Anfrage des „Leverkusener Anzeiger“ mit.

„Zugleich hat er (Sekou Sidibe, Red.) die Möglichkeit nicht wahrgenommen, durch seine freiwillige Ausreise in Verbindung mit einem Ausbildungsplatzangebot, nach Durchführung eines Visumverfahrens und dann ggf. mit einem entsprechendem Visum nach Deutschland (wieder)einzureisen“, heißt es im Weiteren. Warum der junge Guineer erst ausreisen, dann einen Ausbildungsplatz suchen und ein Visum beantragen soll, um dann – vielleicht – wieder einzureisen, wo er doch behördlich genehmigt einen Ausbildungsplatz hat und seine Ausbildung erfolgreich absolviert, ist offenbar eine der Merkwürdigkeiten des deutschen Ausländerrechtes.

Sekou Sidibe habe bis „zum Ablauf der Frist“ die Möglichkeit, freiwillig auszureisen und damit das mit der „Abschiebung verbundene 30-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot in Deutschland zu vermeiden. Sollte er dem nicht nachkommen, droht ihm erneut die Abschiebung“, heißt es am Ende der städtischen Stellungnahme unmissverständlich.

Sekou Sidibe ist zutiefst verunsichert durch das, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Im Gespräch blickt er manchmal fragend in die Runde: „Was wird passieren am Montag?“ Sabine und Bruno Hentschel haben für Montagnachmittag Freunde und Kollegen benachrichtigt, zum Rathaus in Wiesdorf zu kommen, um für ein Bleiberecht des Dachdeckerazubi zu demonstrieren.