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DrogenprozessLange Haftstrafen für Marihuana-Großdealer und Helfer aus Leverkusen

Lesezeit 4 Minuten
Ein behandschuhter Ermittler zeigt eine Plastiktüte mit Marihuana.

Mit 522 Kilogramm Marihuana handelte eine Bande zwischen November 2020 und Mai 2021 eine vierköpfige Bande. Die Kommunikation lief über verschlüsselte Handys. 

Verschlüsselte Chats spielten beim Urteil eine Rolle. Die Richterinnen beriefen sich nicht nur auf die Geständnisse. Die Zeichen stehen damit auf Revision.

Mit Spannung wurden am Mittwoch nicht nur die Urteile erwartet: Insgesamt verhängte die 25. Große Strafkammer über 22 Jahre Haft. Es ging aber auch um ihre Begründung: Würden sich die Richter auf die Kommunikation via Encrochat und Anom-Chat berufen, die vom französischen Geheimdienst und vom FBI geknackt, ausgelesen und den deutschen Ermittlern angedient wurden? Für die Verteidiger Sören Gemmerich und Philipp Thiée wäre das ein Grund, in Revision zu gehen.

Denn aus Sicht der Anwälte ist es nicht geklärt, ob die Daten vor Gericht überhaupt als Beweis benutzt werden dürfen. In Sachen Encrochat könnte das nach diversen Gerichtsbeschlüssen vielleicht noch angehen. Bei Anom-Chat ist das aber weitaus strittiger, weil man nicht weiß, in welchem Land die Daten ausgelesen wurden. Das FBI, in dessen Haus das Programm gebaut wurde, um es mutmaßlichen Kriminellen über Vermittler anzudienen, hüllt sich in Schweigen. Dort spricht man von lediglich von einem europäischen Staat. Das wäre dann ein Rechtsstaat. Und darauf kommt es dem Gericht an. 

Für die Richterinnen der 25. Strafkammer ist es entscheidend, dass auch die Anom-Chat-Daten unter juristisch sauberen Bedingungen ausgelesen wurden. Für Zweifel daran gebe es keine Anhaltspunkte, auch wenn sich der Bundesgerichtshof zu Anom-Chat noch nicht explizit geäußert hat, hieß es am Mittwoch im Kölner Landgericht. Allerdings zu Encrochat. Und da ist die Sache aus deutscher Sicht geklärt: Die Daten dürfen vor Gericht benutzt werden.

Die Geständnisse reichen eigentlich

Komplett entscheidend seien die Chat-Daten in dem Verfahren um 522 Kilogramm Marihuana, die über Spanien ihren Weg zu den Abnehmern fanden, ja ohnehin nicht: Alle Beschuldigten hatten den Drogenhandel im großen Stil eingeräumt.

Dabei hatten alle vier unterschiedliche Beiträge geleistet. Der Fahrer und Abpacker hatte zwar mit rund 300 Kilogramm, also mehr als der Hälfte des Stoffs zu tun. Trotzdem war der Familienvater nach Überzeugung des Gerichts nur Helfer, er habe „nichts eigenverantwortlich entscheiden können“. Aber: Die schiere Menge des meist in einem Lastwagen mit doppeltem Tank nach Deutschland gebrachten Stoffes habe aus seiner Tätigkeit „fast einen Vollzeitjob“ gemacht. Deshalb bekommt er vier Jahre Gefängnisstrafe.

Mit einem halben Jahr mehr muss der jüngere Bruder des Haupttäters leben. Er war auf Anregung des Älteren im Dezember 2020 nach Spanien gereist und hatte rund 40 Kilogramm Marihuana aufgekauft. Einen Teil des Stoffs bekam er, um selbst damit zu dealen; die Reisespesen wurden ihm mit pauschal 2000 Euro vergütet, ergibt sich aus den ausgelesenen Chats. Weil er sein duales Studium wieder aufnehmen kann, bleibt der heute 26-Jährige auf freiem Fuß, bis er die Haftstrafe antritt.

Der junge Vater muss seinen Pass abgeben

Ein bisschen enger wird es für den Leverkusener, der vor wenigen Wochen erstmals Vater geworden ist. Er musste noch im Gericht seinen Pass abgeben, damit er nicht türmt. Immerhin stehen fünf Jahre Haft an. Das liegt daran, dass er einschlägig vorbestraft ist und bei dem im Juni 2020 anlaufenden, groß angelegten Marihuana-Geschäft noch unter Bewährung stand. Ein gewisses Verständnis gab es für ihn in der 25. Großen Strafkammer. Der Mann hatte aus früheren Drogengeschäften noch Schulden, das machte die Schwelle niedriger, schon bald wieder anzufangen.

Zu neun Jahren Freiheitsstrafe wurde der heute 33-Jährige verurteilt, der mit einem weiteren Komplizen, dem noch der Prozess gemacht wird, die ganze Sache angeschoben und insgesamt fast ein Jahr am Laufen gehalten hat. Außerdem muss er von seinem Bruttogewinn aus dem Handel mit 522 Kilo Marihuana 578.000 Euro an die Staatskasse überweisen.

Entziehungskur statt Gefängnis

Den Mann, der eindeutige Anzeichen von Größenwahn erkennen ließ, in den Chats als Wikinger-Herrscher Ragnar Lodbrok auftrat und davon schrieb, „ein Imperium aufbauen“ zu wollen, sehen die Richterinnen allerdings eher in eine Entziehungskur als im Gefängnis. Für ihn war es mit dem gedealten Marihuana nicht getan; Kokain, dazu Cannabis, diverse Tranquilizer und Schmerzmittel: Das war laut eigener Aussage die Mixtur, mit der er sich auf der Höhe hielt. Bis heute sei er abhängig von Drogen. Deshalb ist es dem Gericht wichtig, ihn einigermaßen schnell von diesem Trip herunterzubringen. In vier Monaten soll er einen Platz in einer Drogentherapie haben.

Weil der psychiatrische Gutachter Kurt Herold bei ihm zusätzlich eine schwere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat, wird mit einer Behandlung von rund vier Jahren gerechnet. Dann hätte er die Hälfte seiner Strafe hinter sich. Wenn es gut läuft, müsste er dann nicht mehr ins Gefängnis. Ob dieser Plan des Gerichts aufgeht, hängt allerdings davon ab, dass die Verteidiger auf eine Revision verzichten. Das wird sich bis Aschermittwoch herausstellen.