Wie Speerwerferin Steffi Nerius und Judoka Karl-Richard Frey ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen erlebt haben.
Bronze nach fesselnder RedeLeverkusener Sportler sprechen über ihre emotionalsten Olympia-Momente
In Paris werden am Freitag die Olympischen Spiele eröffnet. Für mehr als 10.000 Athletinnen und Athleten – 427 davon aus Deutschland – beginnt damit eine der wichtigsten Phasen ihrer Sportkarriere, wenn nicht sogar ihres Lebens. „Es ist etwas, was du für immer in dir trägst und bei dir hast“, sagt Steffi Nerius, viermalige Olympionikin aus Leverkusen. Gemeinsam mit TSV-Judoka Karl-Richard Frey, Bronzemedaillengewinner aus Tokio, blickt die ehemalige Speerwerferin auf die beeindruckendsten Momente ihrer Karriere zurück.
Was überrascht: Als Aktive verpasste Steffi Nerius besagte Eröffnungszeremonie, die bei der diesjährigen Ausgabe für ein Novum sorgen soll. Anders als bei den vorangegangenen Spielen werden die Sportlerinnen und Sportler nicht in ein Stadion einziehen, sondern sich den Zuschauenden von Booten aus auf einer sechs Kilometer langen Paradestrecke auf der Seine präsentieren.
Judoka Karl-Richard Frey: Vom Einzelsportler zum Team-Kapitän
Gerne dabei gewesen wäre auch Karl-Richard Frey. Schon 2016 und 2021 marschierte der Leverkusener Judokämpfer als Teil des deutschen Teams in die Arenen von Rio und Tokio mit ein. „Das ist schon ein besonderer Moment, den man nicht alle Tage erlebt“, sagt der 33-Jährige. Doch es hat in diesem Olympia-Zyklus nicht sollen sein. Schließlich entschied er sich, sich auf die berufliche Karriere als Trainer zu konzentrieren.
Seine Olympia-Erfolge können sich trotzdem sehen lassen: Bei seinem Debüt 2016 in Rio de Janeiro wurde der Halbschwergewichtler auf Anhieb fünfter, bei den Corona-Spielen in Tokio landete er im Einzelwettkampf auf dem siebten Rang. Sein eigentliches Olympia-Highlight folgte aber zwei Tage später. Am 31. Juli 2021 feierte der Mixed-Team-Wettbewerb im Judo olympische Premiere – und da entwickelte sich aus dem Einzelsportler Frey der Kapitän einer deutschen Judo-Equipe.
„Irgendwie habe ich mich dazu berufen gefühlt, das in die Hand zu nehmen. Ich dachte mir, der einzige, der das Zeug dazu hat, das bin ich“, erzählt Frey. Einen Tag vor dem Wettkampf habe er die Truppe in seinem Zimmer im deutschen Haus versammelt. „Und dort habe ich dann eine Motivationsrede gehalten.“ Den Stil habe er sich von seinem ehemaligen Bundestrainer Detlef Ultsch abgeguckt.
Der sei authentisch gewesen und so, dass man ihm jedes Wort abkaufte. „Ich habe den anderen erklärt, was ich mir vorgenommen habe: Für das Team einzustehen und mit allem, was ich habe, für uns zu kämpfen. Und ich habe jeden einzelnen mit Namen angesprochen, sodass jeder wusste, wie wichtig er oder sie für das Team ist.“ Scheinbar zeigte es Wirkung, die deutsche Judomannschaft gewann vollkommen überraschend Bronze.
Mit dem Bruder zur Bronzemedaille
Das Krönchen setzte dem ganzen wohl noch die Tatsache auf, dass er diesen Moment gemeinsam mit seinem Bruder Johannes Frey feiern konnte. Der war nämlich ebenfalls Teil der Bronzemannschaft. „Erst im Nachhinein merkt man, wie unfassbar und verrückt das ist, was wir beide da geschafft haben“, sagt der ehemalige Sportsoldat. Die Geschichte dahinter ist tatsächlich eine Beeindruckende: Sein sechs Jahre jüngerer Bruder kämpfte nämlich eigentlich im gleichen Kilolimit wie er selbst – doch pro Nation und Gewichtsklasse darf nur ein Athlet bei den Olympischen Spielen starten. Johannes und Karl-Richard Frey wären direkte Konkurrenten um den Olympiastartplatz gewesen.
Um das Familienduell zu verhindern, wechselte der jüngere Bruder während des vierjährigen Zyklus ins Schwergewicht – und schaffte tatsächlich die Qualifikation. „Er hat sich da mit Mut hingestellt, ständig gegen körperlich überlegene Gegner gekämpft und sich letztendlich durchgebissen. Das hat meinen größten Respekt verdient“, sagt Frey.
Ist „dabei sein“ wirklich alles?
Mit der Medaille habe er sich einen großen Traum erfüllt. Denn das gern verwendete olympische Motto „Dabei sein ist alles“ gelte nicht wirklich. „Nur dabei sein, das lohnt sich einfach nicht.“ Diesen Aufwand betreibe man nicht, um das Ganze nur mal so miterlebt zu haben.
In dieser Hinsicht sind sich Karl-Richard Frey und Steffi Nerius einig. Sich zu qualifizieren, sei vielleicht der erste Schritt. „Aber wenn man ein gewisses Niveau erreicht hat, will man nicht nur dabei sein. Dann will man auch Olympiasieger werden“, sagt Nerius. Bei vier Olympiateilnahmen gelang ihr der eine Siegeswurf zwar nie. Doch die Silbermedaille in Athen 2004, die fühle sich fast wie Gold an.
Bis zum letzten Durchgang des olympischen Speerwurffinales lag die Leverkusener Leichtathletik-Legende damals auf dem vierten Rang. „Die führende Kubanerin war eh weit weg, ich wusste, die kann ich nicht mehr einholen.“ Doch mit persönlicher Bestleistung – 64,84 Meter waren das – erzielte sie im letzten Versuch die zweitbeste Weite des Tages und rutschte von Platz vier auf den Silberrang. „Für mich war das ein gefühlter Goldwurf, weil ich einfach alles in dem Wettkampf herausgeholt habe, was an diesem Tag möglich war.“
Steffi Nerius: Acht Olympische Spiele – als Athletin und als Trainerin
Emotionale Olympia-Momente erlebte sie aber nicht nur als Aktive in Atlanta, Sydney, Athen und Peking, sondern knüpft als Trainerin im Parasport seit 2012 nahtlos an ihre Erfolgsgeschichte an. Bei den Paralympics in London genoss sie zum ersten Mal das Erlebnis Eröffnungsfeier – als Coach von Weitsprung-Weltmeister Markus Rehm.
Da die Wettkämpfe der Leichtathletinnen und Leichtathleten bei den Olympischen Spielen immer erst in der zweiten Woche beginnen und Nerius zum Zeitpunkt der Zeremonien meist noch im Trainingslager war, blieb ihr dieser Moment bis dato verwehrt. Als Trainerin könne man es aber fast noch mehr genießen, findet sie. Auch stimmungstechnisch seien die Spiele in der britischen Hauptstadt die absolute Krönung gewesen. „Das war gelebte Inklusion, da wurde ein Markus Rehm genauso gefeiert wie ein Usain Bolt.“
Bevor sie Ende August mit ihren Athleten zu den Paralympics nach Paris aufbricht, fiebert die Weltmeisterin von 2009 bei den Olympischen Spielen jetzt erst einmal vor dem Fernseher mit. Auf einen Termin freue sie sich außerdem besonders: Für das Speerwurffinale der Männer wurde sie zum Olympiafestival nach Tschechien eingeladen.
Dort wird sie den erwarteten Medaillenkampf zwischen dem Deutschen Julian Weber und dem Tschechen Jakub Vadlejch gemeinsam mit ihrer ehemaligen Rivalin Barbora Špotáková verfolgen. Denn auch das gehöre zum Olympischen Gedanken: Zusammengehörigkeitsgefühl und Freundschaften, die über die Grenzen hinaus verbinden.