Leverkusen – „Ich bin halt Nordrheinwestfale, war deutscher Bundesliga- und togolesischer Nationalspieler, aber all das zusammen ist eben leider für manche zu krass zu verstehen, für diejenigen, die nur den Standarddeutschen kennen. Klischee fertig.“ Das schreibt der 34-jährige Assimiou Touré in seinem Buch „Erst Heim, dann Heimat. Mein Leben als Deutscher“. Er hat nicht nur eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen, sondern auch das Ziel, interkulturelle Bildung, Aufklärung und Toleranz zu vermitteln. Heute arbeitet er als Integrationshelfer bei Bayer 04 Leverkusen und hilft dabei, Zugewanderte zu unterstützen.
Das neue Leben in Deutschland
1988 wurde Assimiou Touré in Sokodé, Togo, geboren. Mit fünf Jahren kam er als kleiner Junge nach Deutschland. Seine Mutter und weitere Familienmitglieder waren bereits hier. „In Togo war meine Großmutter meine Ansprechpartnerin. Sie hat sich um mich gekümmert. In der togolesischen Kultur ist es gewöhnlich, dass Großeltern viel Verantwortung übernehmen“, sagt Touré beim Treffen im Lindner Hotel an der Bayarena.
Als er damals im November 1993 im nasskalten Deutschland ankam, sei so vieles anders gewesen als in der alten Heimat. „Mir ist aufgefallen, dass es nie ruhig war. In Großstädten gehen auch nachts die Lichter nicht aus.“ Das Asylbewerberheim, in dem Toure zwölf Jahre lang mit seiner Mutter und später auch seiner kleinen Schwester lebte, sei kein fröhlicher Ort gewesen.
„Man lebte mit wechselnden Einzelkämpfern zusammen und jeder wollte das Abwarten auf den Asylantrag überbrücken. Meine Mutter war enormem Druck ausgesetzt. Als Kind macht man sich über solche Dinge keine Gedanken, doch im Nachhinein ist einem bewusst geworden, wie stark Eltern sein müssen“, betont Assimiou Touré. „Meine Mutter durfte nicht arbeiten, und es gab einen Radius um das Heim, aus dem wir uns nicht bewegen durften. Ich war damals noch nie in Köln, weil uns nicht erlaubt wurde so weit zu fahren.“
Mit anderen Kindern im Heim habe er nicht viel gespielt. „In Togo waren wir eine große Gruppe an Nachbarschaftskindern, die täglich zusammen waren“, sagt Touré. Doch die kulturellen und sprachlichen Unterschiede im Heim hätten die Kommunikation und das gemeinsame Zusammenleben erschwert. „Jeder war für sich.“
Fußball als Anker im Leben
Die Welt des Fußballs sei damals ein Anker in seinem Leben gewesen. „Fußball hat mir Kraft gegeben. Auf dem Spielfeld konnte ich mich aus der Enge des Asylheims befreien“, sagt Touré und lächelt. Kurz nach der Ankunft in Deutschland stellt ein Bergneustädter Sozialarbeiter, Touré nennt ihn Herrn Köster, fest, dass der kleine Assimiou großen Spaß an Fußball hat. Er wird an die Familie Falkenberg vermittelt, die im SSV Bergneustadt verankert war. Er wird zum Training eingeladen und findet dort schnell Anschluss. „Familie Falkenberg ist eine zweite Familie für mich geworden. Ihr Sohn Kim war im selben Alter. Wir haben uns direkt verstanden und sind bis heute sehr gut befreundet“, sagt Touré.
Früher Kontakt mit Bayer 04
Schon in der F-Jugend wird Bayer 04 Leverkusen auf ihn aufmerksam. Ein Jahr später wechselt Touré zur Werkself. „Leverkusen ist circa 50 Kilometer von Bergneustadt entfernt. Das Pendeln hat viel Zeit in Anspruch genommen. Anfangs haben wir mit Familie Falkenberg und anderen Eltern Fahrgemeinschaften gegründet. Später wurde uns ein Shuttle-Bus zur Verfügung gestellt“, sagt Assimiou Touré.
Drei- bis viermal die Woche sei er nach der Schule und am Wochenende nach Leverkusen gefahren. „Um sich selbst entwickeln zu können, muss man investieren und Disziplin zeigen. Man zahlt dafür auch oft einen bestimmten Preis“, so Touré. Heute sei es schwieriger, die Schule und den Fußball unter einen Hut zu bekommen, sagt der 34-jährige.
Die Fußballvereine in Bergneustadt und Leverkusen geben Touré Halt und Sicherheit. „Bayer 04 hat meine Familie und mich unterstützt und mit uns nach Wohnungen gesucht. Nach zwölf Jahren im Heim sind wir schließlich in ein Mehrfamilienhaus nach Leverkusen gezogen und dann haben wir auch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen und wenig später hielt ich meinen deutschen Pass in den Händen.“
Den afrikanischen Wurzeln näherkommen
Mit 18 Jahren wird Assimiou Touré in die Nationalmannschaft Togos eingeladen. Und soll gleich beim größtmöglichen Turnier antreten: der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. „Ich war mir unsicher, ob ich das machen soll. Es war über zehn Jahre her, dass ich in Togo war. Ich war in Deutschland aufgewachsen und hatte kaum einen Bezug zu dem Ort, an dem ich geboren wurde“, erklärt der 34-jährige.
Doch Rudi Völler habe ihn überzeugt, diese Chance wahrzunehmen. „Vertrau mir, Jung“, habe Völler gesagt. „Es gibt so viele Weltklasse-Fußballspieler, die alles gewonnen haben und gewinnen können und dennoch gerne mit dir tauschen würden, um einmal an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.“ Auch wenn der Schritt beängstigend gewesen sei und Überwindung gekostet habe, sei Touré Völler heute dankbar.
„Ich hatte die Chance näher an meine Wurzeln zu kommen“, betont Touré. Diese Erfahrung habe ihm gezeigt, wie unterschiedlich Fußball in verschiedenen Mannschaften gewesen sei. „Die Lebensfreude der Spieler war riesig. Auch wenn sie weniger verdient haben im Vergleich zu anderen Nationalmannschaften. Wir haben im Bus laut gesungen. Es war so ein unbeschreibliches Gefühl, wie stolz die togolesischen Spieler auf ihr Vaterland sind“, beschreibt Assimiou Touré.
Terroranschlag beim Afrika-Cup überlebt
Beim Afrika-Cup 2010 steht Touré erneut im Kader der Nationalmannschaft. Er kehrt zum ersten Mail seit seinem Abschied im Jahr 1993 nach Afrika zurück. Zwei Tage vor Turnierbeginn, am 8. Januar 2010, auf dem Weg nach Cabinda in Angola, schießen Rebellen auf den Bus, in dem Touré mit der Mannschaft sitzt – ein Terroranschlag. 20 Minuten kauern die Businsassen unter den Sitzen. Drei Mitglieder aus dem Betreuungsstab sterben. Zurück bleibt eine traumatisierte Mannschaft, die nicht mehr zum Turnier antreten wird. An die umgehende Rückkehr nach Togo erinnert sich Touré lebhaft.: „Als wir am Flughafen ankamen, waren so viele Menschen dort, um uns zu begrüßen. Ein Radius von bestimmt zwei Kilometern war voll mit Menschen, die uns zugejubelt, geweint und uns gezeigt haben, dass sie hinter uns stehen. Das werde ich nie vergessen.“
Eine Welt mit und neben dem Fußball
Während seiner Fußballkarriere spielt Touré zeitweise auch für den VfL Osnabrück, Arminia Bielefeld und Babelsberg 03, doch sein „kölsches Häätz“, wie er sagt, bringt Touré wieder zurück in die Heimat, Nordrhein-Westfalen, nach Leverkusen. 2016 beendet Touré seine Karriere, auf dem Konto hat er zwei Bundesligaspiele und 18 in der 2. Bundesliga, über 160 sind es in dritten und vierten Ligen. Danach arbeitet er beim Paketdienst UPS: „Ich brauchte einen Job, bei dem ich körperlich aktiv bin. Es war einfach und warum sollte ich es nicht machen, habe ich gedacht“, erzählt der 34-Jährige.
Doch es geht wieder zurück in den Fußball, als Co-Trainer bei Viktoria Köln, dann in der Jugendarbeit, und schließlich wird Bayer 04 auf ihn aufmerksam. Touré wird für das Jugend-Talentscouting verpflichtet. „Es ging darum, Talente zu entdecken. Man hat Spieler aus Mannschaften der Region, wie dem SV Schlebusch und Bergfried zum Probetraining bei Bayer 04 eingeladen“, erklärt Assimiou Touré. Er beweist schon damals ein besonderes Gespür für Kinder mit Migrationshintergrund. Heute ist er Integrationshelfer für Bayer 04. „Ich bin dafür da, um die Jungs speziell zu unterstützen. Oft kommen sie mit Problemen und Fragen, die sie dem Trainer nicht sagen wollen, auf mich zu“, so Touré. So begleitet er nach dem Treffen mit der Reporterin einen Jungen zum Sozialamt, um ihn dort anzumelden.
„Eins habe ich mir vorgenommen“, sagt Touré. „Ich möchte für die Spieler, egal aus welcher Nation, welcher Kultur oder Konfession, mein Herzblut reinstecken und sie so unterstützen und fördern, dass sie vielleicht auch irgendwann mal hier im Stadion stehen und stolz auf sich sind.“
Diskriminierung durch Mannschaftssport verringern
Oft hätten die Menschen Angst vor Neuem. Angst vor Veränderung. Daraus entstehe Ablehnung und Feindlichkeit, sagt Touré. „Wie sagt man so schön: Wissen ist Macht. Ich bin der Meinung, dass es keine dummen Menschen gibt. Es kommt darauf an, wie man bildet und aufklärt.“ Trotzdem müsse man andere Kulturen tolerieren. „Westeuropäer können nicht alles verbessern. Manchmal muss man leben und leben lassen. Viele Menschen fühlen sich in ihrer Kultur wohl und sind nicht bereit unsere Standards zu übernehmen“, sagt Assimiou Touré.
„Gerade in Deutschland, wo so viele Ethnien, Konfessionen und Kulturen zusammenleben, ist das friedliche Miteinander essenziell“, sagt er. Mannschaftssport sei das beste Aushängeschild für gemeinsamen Zusammenhalt. „Der Trainer gibt Regeln vor und an die hält man sich, denn die Mannschaft hat ein gemeinsames Ziel, auf das sie hinarbeitet“, vergleicht Touré. „Das würde ich mir manchmal auch mehr von der Gesellschaft wünschen, in der wir leben.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Seit einigen Jahren reist Touré jährlich nach Westafrika, um sich dort zu engagieren. Dort habe er bis heute circa 30 Brunnen bauen lassen, zu denen möglichst viele Menschen Zugang hätten, erzählt er. „Die Hilfe zur Selbsthilfe ist wichtig. Nicht nur den Menschen, die die Brunnen nutzen können, hilft man, sondern auch denen, die mit Arbeit beauftragt sind, den Brunnen zu bauen.“