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ProzessFriseur soll von Leverkusener Clan „wie ein Sklave“ behandelt worden sein

Lesezeit 6 Minuten
Razzia LEV1

Polizisten bewachen ein Haus in Rheindorf, das im Juni 2021 durchsucht wurde und einem Clan gehören soll.

  1. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Mitglieder des Leverkusener Clans Al Zein erhoben.
  2. Die Vorwürfe gegen die Familienmitglieder reichen von Betrug über Geiselnahme und Zwangsarbeit bis Menschenraub.
  3. Der Prozess läuft seit dem 15. Juni – alles rund um die Vorwürfe, Verstrickungen und das Familiensyndikat.

Düsseldorf – Er wollte nicht mehr. Nicht mehr bis zu 14 Stunden am Stück im Oud Barber Shop in Leverkusen-Rheindorf die Kunden frisieren. Auf Geheiß der Besitzer durfte Samir L. (Name geändert) nur 15 Minuten Pause machen, ansonsten sollte er an sechs Tagen in der Woche voll durcharbeiten. Kameras überwachten sein Tun, die Einnahmen – selbst das Trinkgeld - flossen in die Taschen seiner Arbeitgeber. Für einen Monat harter Arbeit erhielt der Friseur gerade einmal 1000 Euro; macht knapp drei Euro pro Arbeitsstunde. Als L. im Dezember 2020 an Corona erkrankte, blieb der Lohn aus. Er wollte kündigen. Doch da lernte L. seine Arbeitgeber erst richtig kennen.

Spätestens Anfang Januar 2021 soll Badia Al Zein, genannt Buddy, mit drei seiner Söhne im Barber Shop aufgetaucht sein. Unmissverständlich machte der Chef des kurdisch-libanesischen Al Zein-Clans in Leverkusen dem Coiffeur klar, dass er nicht einfach aussteigen könne. Und wenn, dann müsse er 26.000 Euro zahlen, die bereits in den Barber Shop investiert worden seien.

Mit Folter gedroht

Sollte er sich weiterhin den Befehlen der Familie widersetzen, dann würde man ihn in einen Keller stecken. Was ihm dort blühen würde, verdeutlichte der Clan-Chef mit einem Handy-Video. Dort soll zu sehen gewesen sein, wie die Al Zeins einen anderen Mann in einem Musikstudio im Untergeschoss gefoltert haben. Eingeschüchtert arbeitete Samir L. weiter. Seinerzeit sei er sich wie ein Sklave der Familie Al Zein vorgekommen, gab der Friseur später bei der Polizei zu Protokoll. Die ständige Überwachung und Kontrolle durch Clanmitglieder habe ihn gar an Selbstmord denken lassen.

So steht es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Anklage der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Demnach befinden die Ankläger, dass Samir L. Opfer einer ausbeuterischen Beschäftigung geworden sei. Und zwar durch ein „rücksichtsloses Gewinnstreben“ der Al Zein-Familie. Folglich besteht der Verdacht der Zwangsarbeit in drei schweren Fällen. Die Höchststrafe beträgt zehn Jahre.

Bewährungsstrafen schon als Jugendliche

All das bildet nur ein Kapitel, das vom kommenden Mittwoch an in einem der spektakulärsten Clan-Prozesse in NRW in Düsseldorf behandelt wird. Angeklagt sind neben dem inhaftierten Chef der Leverkusener Großfamilie seine Frau, drei seiner Söhne und zwei ihrer Partnerinnen. Einer der Nachkommen, Merhen El Zein, wurde nach Informationen dieser Zeitung bereits als Jugendlicher wegen räuberischer Erpressung zu eine Bewährungsstrafe verurteilt.

Obschon er wenig später mit einer Freundin nach einem Streit im Leverkusener Neulandpark einen Gegner bewusstlos schlug, den Wehrlosen beinahe zu Tode prügelte, kam er im Alter von 16 Jahren mit einem milden Urteil davon.

Das Landgericht Köln verhängte 2012 eine Bewährungsstrafe wegen versuchten Totschlags. Dabei hatte Merhen laut Urteil den Tod seines Widersachers billigend in Kauf genommen. Das Opfer erlitt Lungenquetschungen, schwebte in Lebensgefahr und lag tagelang im künstlichen Koma. Sechs Jahre später kam der damals 22-Jährige Merhen erneut mit Bewährung wegen Drogendelikten davon.

Vorwürfe reichen von Betrug bis Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung

Inzwischen sitzt er wie sein Vater aufgrund neuer Verdachtsmomente in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten lauten Banden- und gewerbsmäßiger Betrug, Geldwäsche, Geiselnahme, erpresserischer Menschenraub, bis hin zu gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung und andere Delikte. Wolf Bonn, Verteidiger des Clan-Chefs, will sich auf Anfrage zu den Vorwürfen nicht detailliert äußern. Zum Prozessauftakt kündigt der Düsseldorfer Anwalt an, dass „sein Mandant am ersten Verhandlungstag schweigen wird.“

Damit auch zu einem weiteren Hauptanklagepunkt: dem gewerbsmäßigen Sozialleistungsbetrug in Höhe von knapp einer halben Million Euro. Mit den Hartz-IV-Leistungen finanzierte der Clan über einen der mitangeklagten Söhne sogar den Großteil der Kredite für den Erwerb der Familien-Villa in Leverkusen-Rheindorf. Den Wert des Anwesens, das derzeit unter staatlicher Aufsicht steht, schätzen die Ankläger auf eine Million Euro. Dass es um die finanzielle Lage der Sozialleistungsempfänger nicht wirklich schlecht bestellt war, beweist der Umstand, dass sich bei der Razzia und den Festnahmen im Juni 2021 im Haus gut 343.000 Euro in bar sowie Luxus-Uhren fanden.

Rechtsordnung wird von Clan missachtet

Mit etwa 3000 geschätzten Mitgliedern zählt der Al Zein-Clan zu den führenden Großfamilien im Land. Das Syndikat verachtet die hiesige Rechtsordnung. In Konfliktfällen entscheiden intern eigene Friedensrichter. Im NRW-Clan-Lagebild rangiert der Al Zein-Clan, dessen Protagonisten etwa unter diversen Alias-Namen wie El Zein firmieren, mit 431 Ermittlungen auf Rang Zwei hinter dem Omeirat-Clan, der aus dem Ruhrgebiet heraus operiert.

Nachdem der oberste Chef Mahmut Ucar, bekannt als „El Presidente“, vor einer drohenden Abschiebung in die Türkei floh, stieg sein Cousin Badia laut Staatsanwaltschaft zur Führungsfigur auf. Ermittlern zufolge regelt er Streitigkeiten. Auch soll er seine Finger im Spiel gehabt haben, wenn es darum ging, Belastungszeugen in Strafprozessen zu bestechen oder zu bedrohen, damit sie ihre Aussagen änderten.

Gewinne aus illegalen Geschäften investiert

Wie diese Zeitung erfuhr, laufen gegen den angeklagten Chef der Al Zeins zwei weitere Geldwäscheermittlungsverfahren. So soll der Hartz-IV-Empfänger im Mai 2021 mit einem Partner zusammen ein Grundstück für den Bau eines Hotels im türkischen Badeort Izmir erworben haben. Kostenpunkt: 3,5 Millionen Euro. Sein ältester Sohn, ebenfalls Bezieher staatlicher Hilfe, soll eine 160 Quadratmeter große Penthouse-Wohnung in der Türkei gekauft haben.

Ferner soll die Familie laut Staatsanwaltschaft die Gewinne aus illegalen Geschäften in diversen Unternehmen investiert haben, darunter 350.000 Euro in eine Immobiliengesellschaft. Im Gegenzug soll die Firma dem Clan einen Range Rover finanziert und Kick-Back-Zahlungen von bis zu 10.000 Euro pro Monat organisiert haben.

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Der Clan-Prozess wird auch den Strafparagrafen 232 behandeln, in dem es um Zwangsarbeit geht. Höchststrafe hierfür sind zehn Jahre. Friseur Samir L. soll als einer der Kronzeugen der Anklage aussagen. Er soll erzählen, wie seine Peiniger ihn damals immer wieder mit Drohungen zum Weitermachen zwangen. Wie er nicht mehr weiter wusste und vor lauter Panik Ende März 2021 zu seinem Cousin nach München flüchtete. Aber seine Arbeitgeber hätten ihm nachgestellt: Wenn Samir L. nicht seinen Anweisungen folge, werde er ihn in zwei Hälften teilen. Zudem habe der Clan-Chef mit seinen guten Kontakten zur Rocker-Gang Hells Angels geprahlt.

Beamte stießen auf 14.300 Euro in bar

Samir L. kapitulierte. Erneut kehrte er zurück und arbeitete bis zu jenem Tag für den Clan, an dem ein Spezialeinsatzkommando den Chef nach langer durchzockter Nacht aus einem Duisburger Café herauskommen sah und ihn in seinem Wagen festsetzte. Dabei stießen die Beamten auf drei Umschläge mit 14.300 Euro in bar.

Wie es scheint, zog Badia Al Zein nächtelang um die Häuser. Häufig ließ er in den Hinterzimmern von Cafés und Wettbüros in Düsseldorf, Moers oder Oberhausen die Würfel rollen. Barbut, nennt sich das illegale Glückspiel, das aus dem Nahen Osten stammt. Bei dem Spiel treten zwei Männer mit je zwei Würfeln gegeneinander an. Um zu gewinnen, müssen bestimmte Kombinationen erzielt werden.

Die Einsätze brachten dem Vernehmen nach selbst den abgebrühten Clan-Chef an seine Grenzen. Allzu oft verspielte er hohe fünfstellige Beträge. Ende Oktober 2020 räumte er in einem abgehörten Telefonat ein, wohl spielsüchtig zu sein. Zuletzt habe er seine Uhr im Wert von 23.000 Euro verzockt.