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„Pate von Köln“ zieht die FädenPolizei betritt Straßen teils nur mit Großaufgebot

Lesezeit 8 Minuten
Kriminalität Clans 1

Schießerei Gaststätte 'No Name' in Köln Nippes im November 2015

  1. Ein Text aus unserem Archiv. Dieser Artikel wurde zuerst im Juni 2022 veröffentlicht.

Köln, rechtsrheinisch. Schüsse fallen, die Fenster eines Cafés zerbersten, Menschen werfen sich zu Boden, auf der Zoobrücke feuern Mitglieder der Bandidos auf einen vermeintlichen Rivalen der Hells Angels. Der Rockerkrieg zwischen den beiden kriminellen Motorcycle-Gangs in den Jahren 2018/2019 um die Macht in Köln scheint mittlerweile entschieden. Inzwischen, so heißt es in Kölner Polizeikreisen, geben die sechs Charters der Höllengel in der Rheinmetropole wieder den Ton an.Dabei scheint immer noch eine schillernde Figur im Hintergrund die Fäden zu ziehen: die türkische Unterweltgröße Neco A.. Als „Pate von Köln“ beherrschte er Ende der 1990er Jahren die Rotlicht- und Türsteherszene insbesondere in den einschlägigen Clubs auf den Kölner Ringen. A. wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, verbüßte die Hälfte der Strafe, dann schob man ihn in seine Heimat ab, wo er zum Chef der türkischen Hells Angels avancierte.

Hells Angels kontrollieren die Kölner Türsteher-Szene

Von Izmir aus soll A. europaweit ein kriminelles Netzwerk aufgebaut haben. Etliche Kölner Hells Angels flohen etwa nach einem Mord in der Kölner Kneipe „No Name“ zu A. in den türkischen Badeort. „In Köln verfügt der abgeschobene Hells-Angels-Boss immer noch über großen Einfluss“, berichtet Peter Kikulski, Leiter der Abteilung für Organisierte Kriminalität (OK) im Kölner Polizeipräsidium. Die Hells Angels kontrollierten nach wie vor die Türsteher-Szene auf den Ringen. „Wer die Tür hält, bestimmt, wer die Drogen hineinschaffen darf.“

Neco A. neu

Neco A., der „Pate von Köln“

Nur selten lässt sich die Polizei in die Karten schauen, wenn es um den Kampf gegen das Organisierte Verbrechen geht. Und auch in Köln ist das nicht anders. Die Gegenseite soll nicht allzu viel darüber erfahren, was die Ermittler wissen. Beim Blick hinter die Kulissen der kriminellen Player in Köln werden die großen Strukturen sichtbar: Türkisch-arabische Clans, italienische Mafia, Schutzgelderpresser des kurdischen Netzwerks Bahoz, betrügerische Roma-Familien, albanische Drogen-Connections, algerische Klaubanden. Es gibt Massenkriminalität wie Taschendiebstahl, gesteuert durch Großfamilien aus Südosteuropa. Und es gibt organisierte Geldwäsche, die über Immobiliengeschäfte oder über das altorientalische Hawala-Banking-System läuft, bei dem Milliarden Euro teils auch über Juweliere in der Kölner Keupstraße verschoben werden.

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Mord und Totschlag durch Messerattacken

Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Sicherheits- und Justizkreisen sowie bei Dienststellen der Kölner Polizei aber zeigen wachsende Probleme und Herausforderungen für die Verbrechensbekämpfung. In den Problembezirken Kalk, Mülheim und Chorweiler häufen sich Messerattacken. Meist greifen junge Männer bei Konflikten zu Stichwaffen. Allein im Jahr 2020 handelte es sich bei 14 von 29 Mord- und Totschlagsfällen um Messerattacken. Insgesamt zählte die Polizei 547 Messerdelikte mit 630 Opfern.

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Inzwischen, so ist aus dem Präsidium zu hören, gibt es besonders im Rechtsrheinischen Straßenzüge, die die Polizei nur mit großem Aufgebot betritt. „Was dort wirklich läuft, erfahren wir nur selten“, bekennt ein Beamter, der namentlich nicht genannt werden will.

Schlag gegen iranisch-afghanische Drogenbande

Was indes auf dem Kölner Neumarkt geschieht, passiert vor aller Augen. Donnerstagmittag dieser Woche. Ein arabisch sprechender Mann winkt in gebrochenem Deutsch eine junge Frau im dunklen Jogginganzug heran. „Komm, komm.“ Gegen 20 Euro gibt er ihr ein in Folie gewickeltes, fingerspitzengroßes Kügelchen. Ein Drogengeschäft wie jeden Tag, unverhohlen, mitten am helllichten Tag, mutmaßlich gelenkt durch organisierte Strukturen.

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Zivilfahnder nehmen am Kölner Neumarkt einen mutmaßlichen Dealer fest.

Für die Polizei gleicht das Vorgehen gegen diese Szene einem Kampf gegen Windmühlen. Die meisten Dealer sind selbst abhängig und haben nur Kleinstmengen dabei. Die Behauptung, es handele sich lediglich um den Eigenbedarf, ist nach einer Festnahme oft schwer zu entkräften. Allzu selten gelingt ein Schlag gegen die Hintermänner, wie vor einem Jahr: Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei konnte in der Kölner Innenstadt die Drahtzieher einer iranisch-afghanischen Bande festnehmen, die Heroin für die Drogenszene auf dem Neumarkt beschafft hat.

Albanische Drogendealer auf der Kalk-Mülheimer-Straße

Der lukrative „Hotspot“ im Stadtzentrum, an dem täglich auch Kokain und Tabletten angeboten werden, ist heiß umkämpft. In den vergangenen fünf Jahren wurden dort etwa 1700 Tatverdächtigen festgenommen: 1000 Deutsche, 200 Iraner, 100 Syrer sowie „400 weitere Personen, die rund 40 Nationalitäten zuzuordnen sind“, berichtet ein Fahnder

Nach Polizei-Erkenntnissen gilt die Kalk-Mülheimer-Straße als Eldorado albanischer Drogendealer. Zahlreiche Objekte gehören dort teils über Strohmänner den Bossen vom Balkan. Im Auto, im Versteck eines Lokals oder einer Wohnung horten die Banden den Stoff. „Auf der Straße stehen beinahe alle zwei Meter Aufpasser, die einen Polizisten auch in Zivil schon von weitem riechen können und Alarm schlagen. Da kommt man nur schwer ran“, berichtet ein Drogenfahnder.

50 islamistische Gefährder

Die Kölner Staatsschützer müssen viele weitere Gefahrenfelder im Blick behalten: Allein 50 islamistische Gefährder zählen dazu, aber auch Reichsbürger, Neo-Nazis, kurdische Ableger der verbotenen Arbeiterpartei PKK und türkische Rechtsextremisten der „Grauen Wölfe“ – beide Organisationen unterhalten in Mülheim ihre Hauptquartiere

Vor allem im digital koordinierten Drogenmilieu konnten Ermittler jüngst einen Coup landen: Nachdem französische Polizeitechniker die Encrochat-Handysoftware entschlüsselten, haben bundesweit alle großen Kripo-Dienststellen Unmengen von Drogenverfahren auf dem Tisch. Über das so genannte „Gangster WhatsApp“ verschoben Großdealer auch in Köln tonnenweise synthetische Drogen, Kokain, Marihuana und Haschisch. Da der Messengerdienst Encrochat lange Zeit als nicht decodierbar galt, sprachen die Schieber ganz offen über ihre kriminellen Projekte. Inzwischen sind allein in Köln 150 Verfahren mit 85 Beschuldigten anhängig. Ohne Zweifel ein Erfolg, doch die Tat-Komplexe fordern auch erhebliches Personal. Selbst wenn die Beschuldigten offen im Chat schrieben oder sprachen, agierten sie meist unter einem Aliaskürzel. „Folglich braucht es hohes kriminalistisches Geschick, die Person hinter dem Kürzel zu identifizieren“, sagt Kriminaldirektor Kikulski.

Berufseinbrecher aus Großfamilien

Eine weitere Herausforderung für die OK-Ermittler sind südosteuropäische Großfamilien, die von Köln aus in der ganzen Republik Senioren mit verschiedenen Betrugsmaschen ausnehmen. Laut Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer stehen allein in einem Komplex 31 Mitglieder der Familie J. auf der Beschuldigtenliste, 140.000 Euro wurden eingezogen, erste Urteile verhängt. In einem zweiten Großverfahren gegen einen Roma-Clan geht es um Menschenhandel, Bildung einer kriminellen Vereinigung, schweren Bandendiebstahl und Betrug. Obwohl teils als Sozialleistungsempfänger registriert, sollen Familienangehörige etliche Immobilien in rechtsrheinischen Kölner Vierteln sowie teure Autos und Schmuck erworben haben.

Razzia LEV1

Polizisten bewachen ein Haus in Rheindorf, das im Juni 2021 durchsucht wurde und einem Clan gehören soll.

Bei Durchsuchungen wurden hohe Bargeldbeträge sichergestellt. Die Häuser und andere Vermögenswerte hat die Justiz bis zu einem endgültigen Richterspruch eingezogen. Eine häufige Betrugsform läuft über Call-Center aus Polen; mit der Enkel-Trick-Masche werden auch in Köln alte Menschen beredt überzeugt, angeblich in Not geratenen Enkeln oder Neffen finanziell zu helfen. Ein Geldabholer vor Ort begleitet mitunter die gutgläubigen Senioren bis zur Barabhebung bei der Bank und verschwindet anschließend mit dem Geld.

Taschendiebstahl hat wieder Konjunktur

Auch Taschendiebstahl hat wieder Konjunktur in Köln: Nachdem die Quote Corona-bedingt längere Zeit sank, zeigt die Kurve laut Polizei derzeit nach oben. Oft stehen die Taten auch in Verbindung mit Familien aus Südosteuropa. Manche Täter sind Minderjährige, unter 14 Jahren gehen sie straffrei aus. „Am nächsten Tag siehst du sie wieder beim Portemonnaie-Ziehen auf der Straße oder im Geschäft“, berichtete ein hochrangiger Ex-Ermittler.

Laut Lagebild des Landeskriminalamts NRW zu kriminellen Zweigen kurdisch-libanesischer Clans rangiert Köln auf Rang sieben auf der Hotspot-Skala. Da ist zum einen die Al Zein-Großfamilie aus Leverkusen. Das Oberhaupt Badia Al Zein gilt als führender Kopf des bundesweit auf 3000 Mitglieder geschätzten kurdisch-libanesischen Clans. Inzwischen wurde der inhaftierte Boss wegen Sozialleistungsbetrug in Höhe von 450.000 Euro, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, schwere räuberische Erpressung und Entführung angeklagt. Prozessbeginn ist kommende Woche.

Kurdisch-libanesische Verbrecherbanden

Neben dem Al Zein-Clan sind noch etliche weitere Großfamilien in Köln aktenkundig. Meist aber agieren sie vom Rhein aus in den Ruhrmetropolen. „Wir wissen viel, was sich in der Stadt tut, aber nicht alles ist beweisbar“, bekennt Kriminaldirektor Kikulski. Zumal das übliche Instrumentarium wie Telefonüberwachung oder Wanzen im Auto längst nichts mehr bringen. Staatstrojaner oder Quellen-TKÜ, aufgespielt auf Computern der Verdächtigen, funktionieren meist nicht.

Ein weiteres Manko: Die Gegenseite bespricht viele kriminelle Geschäfte nur noch bei persönlichen Treffen. Tagelange Observationen oder Informationen durch Verbindungsleute der Polizei oder verdeckte Ermittler zeitigen derzeit mehr Erfolg. Trotzdem bekennt OK-Leiter Kikulski: „Auch dann kratzen wir oft nur an der Oberfläche.“

Italienische Mafia scheffelt Millionen mit Schwarzarbeiterkolonnen

Ähnlich verhält es sich mit rheinischen Filialen der italienischen Mafia. „Früher galt Köln als Hochburg der sizilianischen Cosa Nostra, heute agieren hier alle vier großen Organisationen“, erläutert Kriminaldirektor Kikulski. Dazu zählt die sizilianischen Cosa Nostra, die Camorra aus Neapel, die Sacra Corona Unita aus Apulien und die kalabrische 'Ndrangheta. Neben dem Geschäft mit Schwarzarbeiterkolonnen auf dem Bau kümmern sich die Syndikate vor allem um den Kokainhandel aus Südamerika. Die heiße Ware landet in Containern an den großen Seehäfen in den Niederlanden und Belgien an und wird über die Rheinschiene meist weiter nach Italien transferiert.

„Allen voran agiert hier die kalabrische 'Ndrangheta“, so Kikulski. Oft dienen Lokale und Eisdielen als Tarnadressen. Zuletzt offenbarte ein Mammut-Mafia-Prozess in Duisburg, wie eine weitverzweigte Drogen-Gang über Rösrath und den Erftkreis ihre Koks-Schiebereien inszenierte. In Pulheim organisierte der Besitzer einer Pizzeria den Handel mit 1,8 Tonnen Stoff. Wenn es an Geld mangelte, setzten die Mafiosi ein Lokal in Brand und kassierten die Versicherung. OK-Chef Kikulski ist sich sicher, dass „in Köln zahlreiche Pizzerien einzig der Geldwäsche der Mafia dienen“.