Düsseldorf – Er wolle handeln, bevor es Tote gibt, betont der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU). Schließlich sei es „pures Glück“, dass noch niemand bei einer Sprengung von Geldautomaten oder den rücksichtlosen und halsbrecherischen Fluchtfahrten der Täter verletzt oder ums Leben gekommen sei. In 400-PS-Limousinen - bevorzugt der Marke Audi - könnten die Täter leicht auf Tempo 270 beschleunigen. Mit Störsendern blockierten sie während der Taten den Mobilfunk in der Umgebung, um eine schnelle Alarmierung der Polizei durch Zeugen zu verhindern.
Um den Druck auf die „skrupellosen Bombenleger“ zu erhöhen, habe er eine zusätzliche Sonderkommission im Innenministerium initiiert, erläuterte Reul am Mittwoch in Düsseldorf. Ziel der Soko „BEGAS“ (Bekämpfung und Ermittlung von Geldausgabeautomaten-Sprengungen) sei es, die bisherigen Fahndungs- und Präventionsansätze zu analysieren und neue Standards zu setzen. „Die Soko ermittelt nicht selbst, sondern prüft, ob das, was wir machen gut genug ist, wo wir besser werden können, was wir ändern müssen“, so Reul.
Spurensuche wie bei Mordfällen
Eine erste Erkenntnis sei, dass die Spurensicherung am Tatort künftig nur noch von speziell geschulten Fachleuten durchgeführt wird. Oft hinterlassen die Täter ein Trümmerfeld, das demnächst genauso akribisch wie Mord-Tatorte von Spezialisten untersucht werde. „Experten aus allen Disziplinen werden sich über jeden Geldautomaten beugen, der gesprengt worden ist“, sagte Reul.
Seit Jahresbeginn hat die Zahl der Anschläge in NRW deutlich zugenommen. „Das Thema fliegt uns wortwörtlich um die Ohren“, räumte Reul ein. Die Sprengattacken hätten sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht. Stand Mittwoch zählten die Ermittler 73 Taten im Vergleich zu 20 im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres, in dem insgesamt 152 Geldautomaten gesprengt wurden. Die Taten würden immer gefährlicher, weil die Täter zunehmend zu Sprengstoff statt Gas griffen, um die immer besser gesicherten Automaten zu knacken. Dies habe das Ausmaß der Schäden enorm erhöht.
Festnahme auch von Bombenleger in Köln
Deshalb würden alle 11.000 Geldautomaten in NRW derzeit einer Gefahrenbewertung unterzogen, in Rede steht zudem, die Sicherheitsmaßnahmen zu verbessern, aber auch Geräte an besonders gefährdeten Standorten abzubauen. Bereits seit Anfang Februar sei die Polizei nachts landesweit „mit allen verfügbaren Kräften auf der Straße“, wodurch es bei drei Aktionen zu sieben Festnahmen gekommen sei, auch eines mutmaßlichen niederländischen Serientäters, der im Mai 2021 einen Geldautomaten in Köln gesprengt haben soll.
Wenngleich es auch deutsche „Sprenger“ gibt, sollen die meisten Experten zufolge aus den Niederlanden stammen. Das Gros stammt demnach aus sozialen Brennpunkten in Utrecht, Rotterdam und Amsterdam. Die Männer kommen über die Grenze, weil der bargeldlose Zahlungsverkehr in Deutschland nicht so gebräuchlich ist wie in den Beneluxstaaten. Alleine in NRW gibt es dem Landeskriminalamt zufolge fünfmal mehr Geldautomaten als in den Niederlanden.
Banken werden zum Trümmerfeld
Um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu intensivieren, habe er im April ein Prozedere mit der niederländischen Justizministerin vereinbart, so Reul. Gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben Experten schon mehrfach beklagt, dass der Kampf gegen die Geldautomatensprenger im Nachbarland vernachlässigt werde, weil die dortigen Fallzahlen in den letzten Jahren stark zurückgegangen sind.
Das geraubte Geld jedenfalls ist der eine Teil, die Verluste der Geldinstitute in NRW durch Gebäudeschäden aber liegen vermutlich noch um ein Vielfaches höher. Beispielsweise musste die Volksbank-Filiale im Kölner Stadtteil Brück, die am 28. Dezember attackiert wurde, anschließend vier Monate geschlossen, in den Rohbauzustand versetzt und komplett neu aufgebaut werden, heißt es in der Pressestelle. Etwa 400.000 Euro hätten die Arbeiten gekostet.
Schwarzmarkt auch für gefärbte Geldscheine
Auch der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, Michael Breuer, hatte vor wenigen Tagen bei der Jahresbilanz von steigenden Sachschäden durch die Panzerknacker berichtet. Die Schäden bei einer Sprengattacke seien heute doppelt so hoch wie noch vor fünf Jahren. „Je mehr wir aufrüsten, desto stärker sind die Schäden“, hatte Breuer beklagt.
Die hiesige Finanzindustrie indes investiere noch zu wenig, um die kriminellen Sprengungen zu verhindern, sagen Ermittler. Sicherheits-DNA beispielsweise, die Geldscheine bei einer Explosion einfärbt, werde nur selten genutzt.
Eine Lösung des Problems aber sei auch die Einfärbe-Technik nicht, halten die Banken dagegen. Denn es gebe auch einen Schwarzmarkt für verschmutzte Geldscheine.
SPD spricht von Aktionismus
Der SPD-Fraktionsvize Sven Wolf im Düsseldorfer Landtag kritisierte, die CDU-geführte Landesregierung bekomme die hohe Zahl der Geldautomatensprengungen nicht in den Griff. Reul habe bei den Machenschaften krimineller Banden bislang weggeschaut. „Kurzfristiger Aktionismus“ vor der Landtagswahl könne nicht über monatelange Versäumnisse hinwegtäuschen. Reul entgegnete, wegen des Wahltermins stelle er die Arbeit nicht ein.