Leverkusen – An diesem Freitagvormittag wimmelt der Platz vorm Rathaus von Kindern und Jugendlichen, die in Kleingruppen zusammenstehen und sich angeregt austauschen. Um 10.40 Uhr beginnt Michael Jacksons „They Don’t Really Care About Us“, aus zwei großen Boxen zu tönen. Wir sind ihnen eigentlich egal, das ist der Aufschrei der circa 170 Schüler, die an diesem Freitag vor der Europawahl zusammengekommen sind, um zu protestieren. Denn obwohl die meisten von ihnen unter 18 sind und noch nicht wählen dürfen, lassen sie sich nicht den Mund verbieten.
Oft unterschätzt
Charlotte Sammet ergreift das Mikrofon. Sie organisiert nun schon zum dritten Mal mit ihrem Team die Fridays For Future-Demo in Leverkusen, heute haben sie insbesondere anlässlich der Europawahl zum globalen Streik aufgerufen. Charlotte kann am Sonntag wählen und sieht ihre Stimme als stellvertretend für die vielen engagierten Schüler.
„Wir werden von den Erwachsenen oft unterschätzt“, sagt sie, und ist dafür, das Wahlalter herunterzusetzen. Charlotte Sammet freut sich, dass sich immer noch so viele für die Themen der Aktion interessieren.
Auf einem in die Höhe gehaltenen Banner steht „Wir streiken nicht, wir kämpfen“ – gegen den Kohleabbau, gegen Atomkraft; für eine bessere Klimapolitik und für die Zukunft. Denn die gehört ihnen, der Generation, die am wenigsten Mitspracherecht hat, was die Gestaltung dieser Zukunft angeht. Einige von ihnen streiken und gehen deshalb nicht in die Schule.
So auch die beiden Neuntklässlerinnen Nina Willms und Lina Pietsch. Streik kann begrifflich nur an Arbeitstagen stattfinden, aber zu Kundgebungen an freien Tagen gehen die Schülerinnen auch. Nina ist schon zum dritten Mal dabei und weiß genau, was sie will. Der Kohleausstieg dränge, die Massentierhaltung dürfe nicht mehr vom Staat unterstützt werden: Der Umweltschutz sollte das wichtigste von allen politischen Themen sein!
Projekt gegen Kinderarbeit
Ihre Klasse am Landrat-Lucas-Gymnasium hat ein Projekt gegen Kinderarbeit in der Schokoladenherstellung ins Leben gerufen. Gemeinsam demonstriert heute auch die ganze Klasse. Am stärksten, sagen die meisten, stimmten sie dem Programm der Grünen zu. Und die Partei habe eine reale Chance, auch in Europa Einfluss zu nehmen.
Um ein Meinungsbild ihrer Generation zu erstellen, haben die Schülerinnen an einer Juniorwahl teilgenommen; in Zukunft wollen sie ihr Projekt gegen schmutzige Schokolade stadtweit bekanntmachen.
Im Klassenverband dabei
Viele sind heute offiziell mit der Schule hergekommen: Einige Klassen der Realschule Am Stadtpark haben sich mit ihren Lehrern auf den Weg gemacht. Schon Fünftklässler halten selbstgemalte Plakate hoch, von denen eine blaue Erde strahlt.
Natürlich nutzen auch Parteien die vor der Rathausgalerie entstandene Plattform, um ihre Forderungen vorzustellen. Die Grünen mit einem rollbaren Stand, die Jungsozialen mit einer Juso-Flagge. Die MLPD ergreift sogar das Mikrofon und plädiert für einen überparteilichen, antifaschistischen Widerstand. Es werden Flyer gegen die AfD verteilt. „So lange sie uns nicht instrumentalisieren, ist das okay“, sagt der Pressesprecher der Fridays For Future-Organisatoren, Falko Schröder.
Dann setzt sich die Menge schnellen Schrittes in Bewegung. Die Organisatoren an der Spitze geben die Richtung an, per Megafon erschallen die Parolen, die Schüler brüllen zurück. Energiegeladen geht es durch die Fußgängerzone – und dann auf den Europaring.
Mit Unterstützung der Polizei kapern die Demonstrierenden die Stadtautobahn auf einem kurzen Abschnitt. Sie wollen Aufsehen erregen, aber keine Negativ-Reaktionen auslösen. Für zehn Minuten muss der Verkehr warten und die Autofahrer dürfen sich Gedanken machen, während es im Schritttempo hinter der bannerschwingenden Menge hergeht.
Eine Stunde später kommen die Jugendlichen auf der Kölner Straße in Opladen an. Alle beginnen, auf- und abzuspringen, während sie „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle“ rufen. Verschiedene Sprecher fordern am offenen Mikrofon dazu auf, sich zu engagieren.
Realpolitische Forderungen zu formulieren und mit Eltern, ihrer Kirche, den Politikern in Kontakt zu treten. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ – dieser Spruch schallt an diesem Tag in über 250 Städten durch das ganze Land.