Leverkusen – Was bereits in der dritten Welle seinen Anfang nahm, setzt sich in der vierten Welle fort: Leverkusen hat eine der höchsten Inzidenzen in NRW und steht an vielen Tagen an der Spitze. Ist es der hohe Migrationsanteil, sind es die Testungen, gibt es überhaupt Leverkusen-spezifische Faktoren? Wir haben zwei Experten um ihre Einschätzung gebeten.
Hans-Martin Schulze Uphoff, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie in Schlebusch:
Neben dem Faktor des dichteren Besiedlungsraums sieht Schulze Uphoff einen Wandel, dass gerade bei jüngeren Menschen (von Schülern bis Mitte 40) die Zahlen hochgehen. Das sei auch bundesweit zu sehen: Die Spitze schiebe sich nach unten, was die Altersstruktur angeht. „Das ist die Gruppe, die sich bislang noch nicht durchgerungen hat, sich impfen zu lassen.“ Ob aus Unwille oder Angst, da gebe es verschiedene Gründe. Aber wenn die Infektionen dann in der Schule ankämen, „ist es wie ein Lauffeuer“.
Das sind die Zahlen der Stadt:
Die Stadtverwaltung veröffentlicht die Altersstruktur der Fälle in ihrem wöchentlichen Lagebericht. 28 Prozent aller Neuinfektionen wurden in der vergangenen Woche bei den 31- bis 50-Jährigen festgestellt. Dann folgen bei den Angaben der Stadt die 51- bis 70-Jährigen (18 Prozent), dann die Sechs- bis Zehnjährigen (16 Prozent). Insgesamt gehen aber 75 Prozent der aktuellen Neuinfektionen auf das Konto der Unter-50-Jährigen – laut städtischer Statistikstelle macht der Anteil der Unter-45-Jährigen knapp die Hälfte an der Bevölkerung aus (Stand Ende März). Insofern ist es in der Tendenz zutreffend, dass sich vermehrt die jüngere Hälfte (U 50) der Bevölkerung ansteckt.
Bei den Älteren sind viele schon mit Boosterimpfungen dran, die Seniorenheime sind laut Angaben der Stadtverwaltung so gut wie durch. Die Kassenärztliche Vereinigung zählt in der Altersgruppe 60 Plus bislang 6282 Auffrischungsimpfungen in Leverkusen. Die Stadtverwaltung spricht von einer Auffrischungsquote von 4,8 Prozent (über alle Altersklassen).
Die Tatsache, dass die jüngsten sechs Todesfälle von Über-80-Jährigen mit Covid-19 keine Bewohner von Seniorenheimen waren, wie Gesundheitsdezernent Alexander Lünenbach auf Anfrage von FDP-Politiker Friedrich Busch in der Sitzung des Gesundheitsausschusses am Dienstagabend bestätigte, weist ebenfalls darauf hin, dass Leverkusen kein Problem mit Infektionen in Seniorenzentren hat.
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordneter:
„In Leverkusen kommen viele Risikofaktoren zusammen“, erklärt Lauterbach. Zum einen in der Tat größere Familien durch einen hohen Migrationsanteil. Dann kämen die Infektionen am Arbeitsplatz hinzu: Leverkusen sei eine Stadt, in der viele Menschen arbeiten und die sehr durch Mobilität stark geprägt sei.
Dann werde hier viel getestet – „die Freitestung wird streng gehandhabt“ – und es gebe eine „konsequente Kontaktnachverfolgung“, was andere Städte wie zum Beispiel Berlin nicht mehr schaffen würden. Auch gebe es hier ein gutes Testsystem an Schulen (regelmäßige Lollitests).
„Die Dunkelziffer ist in Leverkusen niedriger als anderswo“, glaubt Lauterbach. Dass sich nun verstärkt Jüngere anstecken, habe Leverkusen nicht exklusiv, sagt Lauterbach und weist nochmal darauf hin, dass er die Abschaffung der Maskenpflicht an Schulen für einen „großen Fehler“ hält.
Das sagt die Stadt:
Die Stadt betont, es gebe aktuell kein einzelnes Ausbruchsgeschehen, keinen Hot Spot in der Stadt. Die Infektionsquellen speisen sich laut Lagebericht aus Fällen an Schulen und Kitas, haushaltsübergreifenden Kontakten, Reiserückkehrern, Mitarbeiterkontakten und Impfdurchbrüchen.
Die Maßnahmen des Gesundheitsamtes, darunter die Kontaktpersonennachverfolgung, könnten „trotz der Inzidenzsteigerung weiterhin zielgerichtet abgebildet werden“, sagt die Stadt. Sprich: Im Vergleich zu Köln gelingt es dem Leverkusener Gesundheitsamt, Kontaktpersonen zeitnah zu informieren. Der Hebel über die Quarantäneordnung mit der Möglichkeit zum intensiveren Testen ist aber weggefallen: Die angepassten Quarantäneverordnungen und -empfehlungen vom Land NRW und vom Robert Koch-Institut, die zum Beispiel Freitestungen für Kontaktpersonen ab dem fünften Tag möglich machen, ließen den Gesundheitsämtern „nur noch reduzierte Entscheidungsspielräume“, bedauert die Stadt.
98 Schülerinnen und Schüler sind aktuell infiziert, an 38 Schulen gibt es bestätigte Fälle. „Die Infektionen verteilen sich auf mehrere Klassen“, heißt es, es gebe kein Cluster. „Es ist nach wie vor festzustellen, dass es keine Ausbruchsgeschehen in Schulen gibt. Die Infektionen werden durch die Testungen in den Schulen festgestellt, in der Regel erfolgt aber keine Infektion in der Schule. Dies spricht auch für die Einhaltung der gebotenen Hygienekonzepte in den Schulen.“ An Kindertagesstätten gebe es aktuell insgesamt 21 Kinder und fünf Mitarbeitende an 16 Kitas, die sich infiziert hätten.