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Interview

Corona in Oberberg
„Wir mussten Entscheidungen treffen“

Lesezeit 10 Minuten

Ralf Schmallenbach spricht im Interview über den Ausbruch von Corona auch in Oberberg und wie der Kreis reagieren musste.

Vor fünf Jahren begann die Corona-Pandemie auch für Oberberg. Andreas Arnold sprach mit Kreisgesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach darüber, was sich bewährt hat bei der Bekämpfung und über Dinge, die man heute anders machen würde.

Erinnern Sie sich noch daran, als Corona auf einmal Thema war im Kreishaus?

Aus unserem Gesundheitsamt kam auf einmal der Hinweis, dass es in China die ersten Fälle von Corona gegeben habe. Man hat dann die damals schon gültigen Wege eingehalten, auf die Seite des Robert-Koch-Instituts geschaut, was dort kommuniziert wurde oder über die Ebenen der Gesundheitsämter kam. Diese Informationen wurden dann im Januar 2020 intern kommuniziert. Und dann ging ja alles relativ schnell.

War Ihnen und Ihrem Haus die Dimension von Corona klar, als die ersten Fälle von China nach Deutschland schwappten?

Unser Gesundheitsamt und mich als medizinischen Laien hat von Beginn beunruhigt, dass hier von einem „neuen Virus“ die Rede war. Wir haben das dann erst einmal in die Kategorie der meldepflichtigen Erkrankungen eingestuft. Und im Grunde auch gehofft, dass es in einem überschaubaren Rahmen abläuft. Trotzdem hatte man bei dem Terminus des „neuen Virus“ ein mulmiges Gefühl. Und mit Blick auf andere Erkrankungen wie etwa die Schweinegrippe hatte man ja schon einen ersten Eindruck davon, wie sich so etwas unter der Bevölkerung ausbreiten kann.

Der Kreis hat die Politik schon vor dem Jahr 2020 über Szenarien einer drohenden Pandemie informiert. Was konnten Sie bei Corona aus der Schublade holen?

Mit dem, was hier auf uns zukam, betraten wir Neuland, doch wir hatten in unserem Gesundheitsamt schon vorher den Bereich Infektionsschutz installiert, der sich genau mit diesen Fragen einer Pandemie und was zu tun ist auseinandergesetzt hat. Man war schon vorgewarnt, dass in einer globalisierten Welt ein so aggressives Virus rasch eine Relevanz haben kann. Und es gab auch Pläne dazu, wie man damit umzugehen hat. Tatsache ist aber auch, dass man zu dem Zeitpunkt bundesweit weder im Bereich der Digitalisierung noch bei der personellen Ausstattung üppig unterwegs war. Das öffentliche Gesundheitswesen war jahrelang landesweit Sparzwängen ausgesetzt.

Wie schnell wurde das Ausmaß der Pandemie und deren Gefahr für die Menschen deutlich?

Im Grunde von Beginn an, als der erste Erkrankte aus China von einer Dienstreise zurück nach Deutschland kam. Der hat die Alarmglocken überall schrillen lassen, so dass für uns eine neue Dimension dort reinkam. Schon bald kamen aus allen Landesteilen Nachrichten über weitere Infizierte, so dass uns rasch klar war, dass dieses Szenario an uns nicht vorüberzieht. Im Februar hat der Landrat dann den Krisenstab einberufen und nach einer Woche war uns klar, dass wir fortan mitunter täglich tagen werden. Und das auch am Wochenende, weil die Dynamik schon bemerkenswert war. Binnen zweier Monaten gab es bereits den ersten bundesweiten Lockdown. Das zeigt schon die Dramatik.

War der Lockdown rückblickend das richtige Mittel der Wahl?

Es war ja von Beginn an klar, wie sich das Virus verbreitet, gerade wenn Menschen in Innenräumen zusammenkommen. Das ist auch in der Nachbetrachtung nicht in Frage zu stellen. Bei den Schließungen gab es schon eine Unsicherheit. Einerseits wollte man die Verbreitung eindämmen, andererseits aber auch möglichst wenig in das öffentliche Leben eingreifen. Daher gab es die Verfügungen des Landes und juristische Hilfestellungen. Wir hatten keine umfassenden Erfahrungen, mussten aber dennoch Entscheidungen treffen.

Es gibt inzwischen viele Meinungen, dass die Schulen zu lange geschlossen waren, weil aus rein medizinischer Sicht junge Menschen eher leichte Verläufe hatten.
Ralf Schmallenbach, Gesundheitsdzernent

Zu diesen Entscheidungen gehört auch, die Schulen sehr lange zu schließen. Die Folgen werden bis heute beklagt. Was ist hier vielleicht falsch gelaufen?

Es gibt inzwischen viele Meinungen, dass die Schulen zu lange geschlossen waren, weil aus rein medizinischer Sicht junge Menschen eher leichte Verläufe hatten. Aber damals wie heute sage auch ich, dass es nicht nötig ist, dass jeder eine Infektion durchmacht, die je nach Disposition lebensgefährlich sein kann. Und über die Kinder und Jugendlichen wären die Eltern und Großeltern gefährdet worden, was man auch verhindern wollte. So gesehen halte ich die Maßnahmen nicht für unangemessen, denn die Sterblichkeit bei älteren Menschen wäre vermutlich höher gewesen. Vermutlich würde man es heute in den ein oder anderen Punkten anders machen.

Oberberg war landesweit lange Zeit an der Spitze der Inzidenz-Liste. Gibt es dafür eine Erklärung?

Bereits während der Pandemie sorgte das für Diskussionsstoff. Wir wollten ja auch wissen, warum das so ist. Man muss aber auch sehen, dass wir von Beginn an sehr intensiv getestet haben, deutlich mehr als andere Kreise. Und wer viel testet, findet auch viel. Und wir haben intensiv die Kontaktpersonenverfolgung gemacht. Prof. Nico Mutters von der Uni Bonn hat unsere Zahlen untersucht und im Gesundheitsausschuss gesagt, dass unsere Zahlen nicht überraschend seien, weil wir Sozialräume und Bedingungen haben, die eine Pandemie begünstigen. Bei diesen Rahmenbedingungen habe man diese Inzidenz sogar erwartet. Aber vorzeitiges testen und Quarantäne hätten Leben gerettet, war seine Quintessenz. Und für uns war das auch ein gutes Zeugnis.

Stichwort Sozialräume: Ein Sorgenkind waren einige Glaubensgemeinschaften, die eine Impfung ablehnten und sich trotz Verbots in ihren Gebetshäusern versammelt haben. Wie kann man der Situation Herr werden?

Natürlich waren wir im ständigen Dialog mit den Kirchen und sind hier auch nicht immer auf Verständnis gestoßen. Deshalb mussten wir in einigen Fällen auch ordnungsrechtlich eingreifen. Für mich war das überraschend, zu sehen, dass Menschen lieber ihre Gesundheit riskieren, als sich impfen zu lassen. Wobei ich damals Befürworter einer generellen Impfpflicht gewesen bin, die ja nicht gekommen ist.

Für mich war das überraschend, zu sehen, dass Menschen lieber ihre Gesundheit riskieren, als sich impfen zu lassen.
Ralf Schmallenbach über die teilweise Ablehnung von Corona-Impfungen

Ihre Impfung zu einem frühen Zeitpunkt in der Pandemie wurde Ihnen bisweilen vorgeworfen. Was sagen Sie heute dazu?

Man muss sich die Situation im Dezember 2020 noch einmal vor Augen halten. Wir mussten binnen kürzester Zeit Altenheime finden, in denen wir impfen konnten. Zwölf waren es dann bis Jahresende und für mich war es selbstverständlich, dass ich diese Termine begleitete. Und ich bin bis heute der Überzeugung, dass ich als Leiter des Impfzentrums mit zu denen gehörte, die ebenfalls zu impfen waren. Und als in den ersten beiden Einrichtungen Impfdosen übrig blieben und drohten zu verfallen, habe ich mich auch impfen lassen. Die Ärzte setzten zu Recht alles daran, dass nichts weggeworfen werden musste. Ich war stolz mit dazu beitragen zu können, dass die Pandemie bekämpft werden kann. Niemals hätte ich gedacht, dass man daran Anstoß nehmen würde.

Hätte uns die Pandemie noch schlimmer treffen können?

Ein ganz klares „Ja“. Ich erinnere mich an eine Zeit im Krisenstab, da konnten wir aufgrund der Meldungen eine Prognose erstellen, wie die Entwicklung der Pandemie ist. Im April 2020 drohte nicht nur der Rettungsdienst an Grenzen zu stoßen, auch die Kliniken standen kurz vor einer Überlastung. Laut unserer Prognose hatten wir eine Woche Zeit, bevor dieses Szenario eintreten würde. Es ist zum Glück nicht eingetreten, deshalb haben wir hier nicht so furchtbare Bilder zu sehen bekommen wie die in Norditalien.

Was ist besonders gut gelaufen?

Bei allem Stress war die Einrichtung des Impfzentrums im EKZ Bergischer Hof in Gummersbach vom Anfang bis zum Ende ein Erfolgskonzept. Wir hatten Glück, dass die Immobilie gerade frei war in einer perfekten Lage. Wir hatten Glück, dass wir mit unserem Baudezernenten Felix Ammann, der uns in kürzester Zeit eine perfekte Einrichtung hingezaubert hat. Und wir hatten Glück, dass wir die richtigen Leute an den richtigen Stellen hatten. Das ganze Team war gewillt zu arbeiten. Hier gilt ein ausdrücklicher Dank auch der Bundeswehr für die geleistete Unterstützung. So ein Zentrum würde ich sofort wieder an den Start bringen. Und die Teststraße am Gesundheitsamt war eine weitere Erfolgsgeschichte. Aber ich muss auch sagen, dass ich so eine Zeit nicht noch einmal haben will.

Wo muss man bei einer erneuten Pandemie nachjustieren?

Ich bin froh, dass es den Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst und auch den Digitalisierungspakt gibt, die bis 2026 ausgelegt sind. Ich bin aber in Sorge, dass man dann fragt, was man mit diesen 20 Stellen macht, oder wer sie künftig finanziert. In der Pandemie haben wir uns breit aufgestellt und den Infektionsschutz gestärkt, damit wir neuen Herausforderungen wie Mpox auch gewachsen sind. Da sind wir erst einmal gut aufgestellt. Übertrieben fand ich die Regelungswut des Landes mit all den Erlassen. Für die Entscheidungen, die hier vor Ort zu treffen waren, brauchten wir Freiräume, die es teilweise nicht gab. Das Land strebt aktuell ein Landesgesundheitsamt an, das die Spielräume der Kommunen weiter einschränken wird. Dabei wäre es gut, die Entscheidungen hier zu treffen.

Kann man aufgrund der Erfahrung für die Zukunft besser planen, liegt was in der Schublade?

Auf jeden Fall, wir haben uns schon während Corona organisatorisch so aufgestellt, dass wir so eine Lage nicht nur bearbeiten können, sondern inzwischen auch digitale Anwendungen haben, die zum Beispiel eine Kontaktpersonennachverfolgung automatisiert. Da hat die Pandemie für eine Digitalisierungsschub gesorgt; vom Homeoffice bis hin zu den digitalen Anwendungen. Das war ein weiter Weg, so dass unser Gesundheitsamt seinen Aufgaben nachgehen kann. Daher hoffe ich, dass mit Blick auf unser Personal der Pakt nicht nur temporär sondern dauerhaft gilt.


Daten und Fakten zur Corona-Pandemie in Oberberg

Wann war Corona erstmals Thema im Kreishaus?

Bereits im Januar 2020 war das „neuartige Coronavirus- 2019“ im Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises Thema. Die Fachöffentlichkeit wurde von Seiten des Kreises am 23. Januar 2020 durch die Amtsleitung des Gesundheitsamtes sensibilisiert. Nachdem dann am 27. Januar 2020 der „Patient Null“ in Bayern aufgetreten war, wurde der Zirkel der Informationsweitergabe in den Gremien des OBK erweitert. So wurde im Gesundheitsausschuss am 19. Februar 2020 ein Bericht zur aktuellen Situation weltweit durch die Amtsleitung des Gesundheitsamts vorgestellt. Am 26. Februar 2020 erfolgte eine Voralarmierung der beteiligten Strukturen im Krisenstab des OBK, sowie die Information der medizinischen Strukturen, aller Bürgermeister und aller Ordnungsämter. Von da an war Corona tägliches Thema im Kreishaus.

Wann hatte Oberberg den ersten bestätigen Fall?

In der Nacht des 3. März 2020 erhielt das Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises Kenntnis über die ersten beiden laborbestätigten Sars-Cov-2-Fälle im Kreisgebiet.

Wann hat der Kreis mit der Nachverfolgung begonnen?

Sofort nach Bekanntwerden der ersten beiden Fälle wurde damit begonnen, die Kontaktpersonen der Infizierten ausfindig zu machen.

Wann gab es die ersten Beschränkungen?

Am 18. März 2020 trat ein Veranstaltungsverbot in Kraft, für Reiserückkehrer aus Risikogebieten erfolgten für den Zeitraum von 14 Tagen nach Aufenthalt Betretungsverbote für bestimmte Bereiche.

Wann war der erste totale Shutdown?

Am 22. März 2020 wurde das öffentliche Leben heruntergefahren, veranlasst durch die Bundesebene.

Wann wurden die ersten Impfungen vorgenommen?

Am 27. Dezember 2020, einem Sonntag, startete der Kreis mit den Impfungen. Die ersten gelieferten Impfdosen wurden in zwei Seniorenheimen (Drabenderhöhe und Dieringhausen) durch ein mobiles Impfteam der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein verimpft.

Wann ging es mit den Impfdosen in die breite Masse?

Im Dezember 2020 wurden sukzessive allen Senioren- und Pflegeheimen ein Impfangebot gemacht, ab Januar 2021 für Personen über 80, ab Februar 2021 Sonderkontingente für bestimmte Berufsgruppen (etwa Personal von Tagespflegeeinrichtungen). Die Steuerung der Impfeinsätze und Impfstoffkontingente erfolgte nach Erlasslage des Landes.

Wo überall hat der Kreis seine Impfzentren aufgesetzt?

Das Impfzentrum des Oberbergischen Kreises war im EKZ „Bergische Hof“ (Gummersbach). Zusätzlich kamen noch zahlreiche Einsätze des Impfmobils hinzu. Nach Schließung des Impfzentrums wurde im Bergischen Hof anschließend eine so genannte Impfstelle eingerichtet. Weitere Impfstellen wurden in der Festhalle des Klinikums Waldbröl und in Räumlichkeiten der Stadt Hückeswagen aufgebaut.

Wann ist das Zentrum im Bergischen Hof gestartet?

Ab dem 25. Januar 2021 konnten sich Bürger, die über 80 Jahre alt sind und einen eigenen Wohnsitz im Oberbergischen Kreis haben, für eine Impfung im Impfzentrum des Oberbergischen Kreises anmelden. Impfstart war der 8. Februar 2021.

Wie viele Dosen wurden allein im Bergischen Hof verabreicht?

Hier kam die Zahl von 247.470 Impfdosen zusammen.

Wann gab es den ersten Todesfall?

Am 7. April 2020 starb eine 91-jährige Frau aus Hückeswagen.

Wie viele Menschen sind im Kreis an Corona gestorben?

Es waren 542 Menschen bis zum Ende der Pandemie und 564 bis zum Ende des Berichtszeitraums am 15. Juli 2024. (ar)