Die Opladenerin Swenja Geißler ist Street-Art-Künstlerin und hat einen ganz besonderen Blick auf ihre und andere Städte. Wir haben uns auf einen Rundgang mit ihr begeben.
Street Art in LeverkusenAuf Tour durch Opladen, wo feine Straßenkunst eine Heimat hat
Swenja Geißler ist keine normale Spaziergängerin. Wenn sie unterwegs ist, dann richtet sie ihren Blick nicht nur stur geradeaus – dann schaut sie überall hin. Denn es könnte ja überall etwas lauern: Eine kleine Malerei. Ein kleines Klebebild. Ein kleines, buntes Stoffstückchen. „Ich gehe anders durch eine Stadt als andere“, sagt sie. „Ich achte auf Regenrinnen und Laternenpfähle und drehe mich auch mal um.“ Das ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Das ist: der Street-Art-Blick.
Bezug auf Architekur und Menschen
Und gerade in Opladen ist es von Vorteil, den zu haben. Denn Opladen hat jede Menge Street Art zu bieten. Im Rest Leverkusens geht es nach Aussage von Swenja Geißler eher um Graffitis. Also: ausschließlich gesprühte Kunst. Großflächig. Nicht zu übersehen. Opladen dagegen ist eine Heimat der feinen Straßenkunst, die sich einfügt ins Gesamtbild der Stadt. Die Bezug auf die Architektur und die vor Ort lebenden Menschen. Bei der Street Art – ihr prominentester Vertreter ist wohl der nach wie vor anonyme Brite Banksy, dessen meist politischen und gesellschaftskritischen Motive Wände und Mauern weltweit zieren – gebe es kein „Gang-Ding“ wie beim Sprühen, sagt Swenja Geißler. Also keine Rivalitäten. Es gehe eher um Freundschaften und wirklich kreative Gedanken. Und wer sich einmal mit der 53-Jährigen zwei Stunden lang auf den Rundgang durch ihr Veedel, durch Opladen, macht, sieht das an jeder Ecke.
Am Busbahnhof wurden an einem Technikhäuschen gegenüber der Bahnsteige Schwalben und seltsam verfremdete und mit geometrischen Figuren durchzogene Tierköpfe aufgeklebt. Sie stammen von zwei Künstlern aus Köln: Onuschka und Greentaxonomy. Das sind natürlich Pseudonyme. Denn bei der Street Art sind sie immer mit eigenen Fantasienamen unterwegs. Und das nicht nur weil generell viele Menschen, die Kunst schaffen, so etwas haben. Sondern weil es bei der Street Art ja irgendwie auch um eine mitunter eher halblegale Art der Kunst geht. Eine Kunst, die eben nicht in Ateliers fürs Museum entsteht, sondern: für den urbanen Raum. Für die Straße. Für Gebäude. Für Schilder und Pfähle. Für alle Arten von, wenn man so will, gegenständlichen Präsentationsplattformen eben. Und die gehören meist Kommunen, Unternehmen oder Privatleuten. Wobei durchaus Ausnahmen gemacht werden: An neuen oder historischen Gebäuden oder auf der Vorderseite von Straßen- und Verkehrsschildern wird nichts angebracht. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.
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Papiervögel, Peanuts und Blumen
Besonders Onuschka ist – als Künstler von außerhalb – in Opladen sehr umtriebig, wie sich beim Rundgang mit Swenja Geißler zeigt: Seine auf dünnes Papier gemalten, ausgeschnittenen und aufgeklebten Vögel zieren viele Stellen. Unter anderem scheint ein Specht an die Fensterfront des Ärztehauses an der Birkenbergstraße zu klopfen und sich im Glas zu spiegeln. Ein toller Anblick, sofern man ein bisschen in die Höhe schaut. Und apropos Höhe: Wer den Kopf an der Altstadtstraße ein wenig hebt, entdeckt vielleicht einen kleinen Plastikblumenkasten – den hat Mutabel aus Düsseldorf hier angebracht. Der Kasten gehört zu ihrer Street-Art-Serie „Stadtgarten“, die sie für verschiedene Städte des Landes konzipierte. Und wer den kleinen Vogel Woodstock aus den „Peanuts“ erblickt – mal mit turmhoher „Simpsons“-Frisur an einer Wand der Kneipe „Pentagon“ knapp über dem Boden, mal mit salopp-charmantem „Vögeln“-Schild neben einem Regenrohr – der hat es mit Patricktetrapack zu tun.
Street Art als politisches Statement
Cuts And Pieces, ein weiterer Street-Art-Künstler aus der Domstadt, hat sich mit diversen an die Pop-Art gemahnenden Arbeiten unter anderem am Brückenpark der Neuen Bahnstadt verewigt. Schwarz-Weiß auf rotem Rost halten zwei Mickey-Maus-Hände ein brennendes Feuerzeug und eine Colaflasche als Molotow-Cocktail. „Zero Sugar, 100 % Riot“ – „Null Zucker, 100 Prozent Aufstand“ steht darunter. Das ist zweifelsohne politisch und kommt gerade in der Nähe eines edlen Neubaugebietes wie der Bahnstadt, die direkt an das Autonome Zentrum des Kulturausbesserungswerkes (KAW) grenzt, womöglich nicht von ungefähr.
Kunst gegen Hass
In Opladen – das auf die Street-Art-Landkarte zu setzen sich Swenja Geißler nach eigenen Worten zur Aufgabe gemacht hat – zeigte sich diese politische Seite der Kunst zuletzt auch durch die von ihr mit initiierte Aktion „Street Art against hate“. Street Art gegen Hass. Dafür schickten Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zig auf ihre Art gestaltete Sticker mit dem entsprechenden Schriftzug an die Opladenerin, die diese dann gemeinsam mit anderen Leuten aus der Szene im Veedel anbrachte. Mal einzeln – wie im Falle des Italieners Daniele Fantozzi alias Whitebody Art an einem Stromkasten an der Friedrich-List-Straße. Mal gesammelt - wie an einem leer stehenden Haus an der Münzstraße, Ecke Altstadtstraße: Dort kleben gleich Hunderte der Bildchen an der Wand und stehen für das Weltumspannende der Straßenkunst.
Ein Oktopus als Motiv
Übrigens: Swenja Geißler selbst hat natürlich auch ein Pseudonym. Sie nennt sich 8arms2hug. Das bedeutet aus dem Englischen übersetzt „Acht Arme zum umarmen“ und zielt auf ihr persönliches Motiv ab: den Oktopus. Das hat sie aus einer Zeit, in der sie Stoff-Oktopusse für Frühchen auf den Geburtsstationen der Krankenhäuser strickte und im Internet verkaufte, um das Geld, das sie seit jeher als selbstständige, mobile Friseurmeisterin verdient, aufzubessern. Als sie vor einigen Jahren dann – immer schon an Kunst interessiert und künstlerisch tätig – einen Street-Art-Rundgang in London als einer der Metropolen und Hotspots dieser Szene mitmachte, war es um sie geschehen: Swenja Geißler wurde selbst aktiv und suchte sich – neben Stoff-Schmetterlingen, die hier und da in Opladen an Laternenpfählen kleben – eben den Oktopus als ihr Ding aus.
Und den bringt sie seither regelmäßig auf. Fast immer an die Umgebung angepasst. Und in maximaler Dichte entlang der Birkenbergstraße. Dort wohnt sie. Die wird von manch einem aus der Szene schon „Oktopusstraße“ genannt.
Hier klebt ein lesender Oktopus an der Wand der Buchhandlung Noworzyn. Ein mit Wollknäueln jonglierender an einem Textilladen. Ein auf dem Fahrrad fahrender unter dem Schaufenster eines Zweiradladens. Einer mit Rezept und Stethoskop in den Armen nahe einer Arztpraxis. Ein mit Pinseln hantierender am Haus einer Restauratorin. Und ein wenig weiter weg ist da noch der Bankräuber-Oktopus, den Swenja Geißler gleich um die Ecke der Sparkassen-Filiale an der Kölner Straße platzierte und über dessen Existenz sie sich tagtäglich wie wortwörtlich diebisch freut.
Wenn sie durch Opladen geht, was „sehr oft vorkommt“, wie Swenja Geißler betont, dann hat sie auch immer eine Tube Bastelkleber auf Wasserbasis dabei. Standardausrüstung für jemanden, der mit Street Art zu tun hat, denn: Wenn sie eine Arbeit sieht, die sich an der einen oder anderen Stelle ablöst, trägt sie den Leim auf, drückt kurz – und hat ein Kunstwerk im Handumdrehen ausgebessert. „Der Kleber ist witterungsbeständig und transparent. Und er lässt sich dennoch leicht entfernen. Perfekt also für unsereins.“
Nicht jeder will ihre Kunst
Die meisten ihrer Oktopusse hat sie nach Lust und Laune auf die Wände gebracht. Am liebsten tagsüber und so auffällig wie möglich, denn: „Dann ist es hell, ich kann alles sehen - und die Leute denken, ich tue etwas Offizielles.“ Nur wenige sind auf gezielte Anfrage hin entstanden. Und meist freuten sich die Menschen auch darüber, sagt sie – schließlich wird nichts verunstaltet, sondern liebevoll-charmant kommentiert. Ab und an kommt es allerdings doch vor, dass Anwohnende Swenja Geißler beim Aufbringen ihrer Bilder entdecken und ihr sogar mit der Polizei drohen.
Was sie dann macht? „Ich versuche, mit den Menschen zu reden und ihnen zu erklären, was ich da tue.“ Und wenn das nichts nützt? Kommt das Bild eben woanders hin. Und zwar endgültig. „Einmal wollte ein Kritiker plötzlich doch einen Oktopus auf der Wand bei sich haben – weil ich ihm sagte, dass der womöglich Teil einer Ausstellung werde.“ Aber demjenigen erteilte sie dann eine Abfuhr. Er hatte seine Chance. „Dann sollen sich andere über die Kunst freuen.“
Kunst für den Moment
So wie Swenja Geißler und ihre Freundinnen und Freunde aus der Szene sich freuen. Denn darum gehe es neben der Kunst und dem Spaß an der Kreativität: um Freude. Und um Gemeinschaft. „Wenn wir Bilder aufbringen, dann treffen wir uns meist mit in der Gruppe, lassen uns Zeit und trinken hinterher noch ein Bierchen zusammen an dem jeweiligen Ort.“ Ein Prost darauf quasi, dass der Stadt ein neues Stückchen Kunst beschert wurde. „Das, was wir tun, ist ja letztlich für den Augenblick“, sagt Swenja Geißler. Soll heißen: „In dem Moment, in dem ich ein Bild angebracht habe, gebe ich es weg. Dann gehört es nicht mehr mir. Dann gehört es: der Straße. Und somit den Menschen.“