Leverkusen – Der damalige Bayer-Chef, der gebürtige Opladener Werner Wenning, war schlecht beraten, als er vor 15 Jahren verkündete, das Bayer-Kreuz solle abgebaut werden – das kam in der Stadt gar nicht gut an.
Stattdessen sollte Bayers altes Hochhaus zur „Medienfassade“ werden. Dazu sollte der 122 Meter hohe Bau entkernt und mit rund dreieinhalb Millionen Leuchtdioden bestückt werden – ein riesiger Bildschirm. Auf der so entstandenen Werbefläche von 17.500 Quadratmetern sollten, so der erste, am 15. Mai 2007 veröffentlichte Plan, permanent zwei Bayer-Kreuze eingespielt werden.
Eine Marktforschungsstudie habe gezeigt, dass das Projekt „positive Resonanz hervorruft“, schrieb Bayer. Wo genau die Marktforscher gefragt hatten, ist nicht bekannt. In Leverkusen jedenfalls vermutlich nicht, denn hier brach angesichts der geplanten Virtualisierung ihres Kreuzes eine wahre Explosion der Entrüstung, des Entsetzens und des Widerspruchs aus.
Ahnen konnte man es immer, aber 2007 wurde nochmal klar: Was dem Kölner sein Dom ist, ist dem Leverkusener das Bayer-Kreuz. Nämlich viel mehr als bloß eine Firmenreklame mit 51 Metern Durchmesser, sondern eine Landmarke, Orientierung, ein Wert, ein Gefühl.
Trotz Energiekrise: Das Bayerkreuz soll leuchten
Das Bayerkreuz wird vorerst nicht aus Energiespar-Gründen abgeschaltet oder zu reduzierten Zeiten betrieben. Anders als der Wasserturm, der seit Donnerstag nicht mehr beleuchtet wird. Bayer-Sprecher Hans-Bernd Schmitz betonte, dass man im Kreuz ständig verbesserte LED-Lampen nutze, zur Zeit haben sie vier Watt Leistung. Zusammen verbrauchen die 1712 Lampen etwa so viel Strom, wie sieben Heizlüfter. Die ursprüngliche Bestückung des Kreuzes in der aktuellen Größe waren 40-Watt-Lampen, die verbrauchten 68 Kilowatt, weshalb das Kreuz früher auch nicht einfach angeschaltet wurde, sondern mit einem Dimmer langsam angefahren wurde.
Abhängig vom Umgebungslicht wird die Leuchtreklame automatisch an- und ausgeschaltet; es leuchtet also die ganze Nacht durch, wenn nicht gerade Vogelzug-Zeit ist oder eine Wartung notwendig ist. Es gab Versuche, die Konstruktion unter Denkmalschutz zu stellen, aber die schlugen alle fehl. (rar)
Für die Fußball-Fans plante Bayer 04 im neuen Stadion-Dach ein riesiges, quasi über dem Fußballfeld schwebendes Bayer-Kreuz mit dem riesigen Durchmesser von 200 Metern. Aber davon ließen sie sich nicht ablenken.
Die Idee der Demontage der Reklame an der B8 kam bei den stets traditionsbewussten Fußballfans besonders schlecht an. „Das Kreuz muss bleiben“, lautete die Überschrift der Fan-Initiative. Die Aufkleber waren allgegenwärtig, zum Teil kann man sie noch heute an Rückseiten von Verkehrsschildern sehen. In der Stadt standen der Abbruch des grünen Rathauses, des Bayer-Kaufhauses und des Stadthauses zugunsten der nüchternen Rathaus-Galerie an, das alte Stadion sollte zur Arena umgebaut werden. Das war vielleicht zu viel für Leverkusen.
Schon vier Tage nach der Pressekonferenz protestierten 400 Fans am letzten Bundesliga-Spieltag gegen den geplanten Abriss. Sie zogen in einem Protestmarsch hinter einem Banner mit der Aufschrift „Pro Bayerkreuz – Stadtgeschichte darf nicht sterben“ durch die Stadt. Solche Banner hingen auch im Stadion am Spielfeld-Zaun.
Beileid aus Costa Rica und Kalifornien
Alleine für Leserbriefe mussten ganze Seiten freigemacht werden. Selbst aus Costa Rica und Kalifornien erreichten den „Leverkusener Anzeiger“ Beileidsbriefe. Das Bayer-Vorhaben blieb über den ganzen Sommer das Stadtgespräch, aber der Konzern blieb dabei – vorerst noch.
Eine Rettungs-Webseite entstand, ein Benefizkonzert wurde anberaumt, ein Lied getextet. In mehr als 200 Leverkusener Geschäften lagen Unterschriftenlisten aus. Mehrere Schulen initiierten Unterschriftensammlungen. In vielen Firmen, wohl auch bei Bayer und den diversen Ausgliederungen, gingen die Listen durch die Belegschaft.
Die Strahlkraft der 1712 40-Watt-Glühlampen endete nicht an der Stadtgrenze. Auch in Burscheid, Langenfeld, Monheim und Bergisch Gladbach wurden Unterschriften gesammelt.Das Ziel: Das Bayer-Kreuz sollte unter Denkmalschutz gestellt werden, um es vor dem Abbruch zu retten. Bis heute ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung.
Die Vorarbeiten für die Medienfassade am entkernten alten Hochhaus W11 begannen im Sommer. Ab Oktober beherrschten Schutt, Bauzäune und Abbruchbagger das Bild der City, der zweite Verlust eines Rathauses in der kurzen Stadtgeschichte und der gewohnten City zugunsten eines Einkaufscenters wurde den Leverkusenern erst jetzt so richtig bewusst.
21.000 Unterschriften gegen den Abriss des Bayer-Kreuzes kamen zusammen – zu spät. Denn sie wurden erst abgegeben, nachdem Bayer-Chef Wenning am 11. Dezember 2007 anlässlich eines Besuchs von Vertretern der Stadt erklärt hatte: „Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten gelernt, wie sehr die Menschen in und um Leverkusen offensichtlich an unserem Bayer-Kreuz hängen. Das hat uns natürlich sehr gefreut“, sagte Wenning, der wegen der heftigen Zuneigung der Protestler zum Firmenemblem komplett ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauskam. Das alte Kreuz sollte bestehen bleiben und der Plan der Medienfassade dennoch verfolgt werden.
Die Nachricht verbreitete sich unverzüglich in der Stadt. Spontan bildeten sich Autokorsos rund ums Werk und auf der Kaiser-Wilhelm-Allee. Ein Pförtner sagte: "Die fuhren hier auf und ab und hupten." Nächtliche Feiern gab es auf dem Parkplatz zwischen Carl-Duisberg-Straße und Bundesstraße 8, quasi zu Füßen der großen runden Leuchtreklame.
2011 scheiterte der Plan mit der Medienfassade und den virtuellen, sich drehenden Bayerkreuzen endgültig aus technischen Gründen; die Bildstörungen auf der riesigen Leinwand bekam man nicht in den Griff.