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25 Jahre nach erstem WM-SiegWie Michael Schumachers Heimat langsam verschwindet

Lesezeit 6 Minuten
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Michael Schumacher bei seinem ersten WM-Sieg 1994

  1. Vor 25 Jahren wurde Michael Schumacher der erste deutsche Formel-1-Weltmeister überhaupt.
  2. Sein Ruhm machte auch seine Heimat, Kerpen-Manheim, berühmt.
  3. Heute findet man dort nur noch wenig Spuren aus Schumis Vergangenheit, denn die RWE-Bagger haben sie fast alle zerstört.

Kerpen – Die Kartbahn, auf der alles anfing und mit der natürlich auch diese Geschichte anfangen muss, sie liegt an diesem Montagmorgen dort, als hätte sie jemand erdolcht und einfach zurückgelassen.

Während sich zwei Kilometer entfernt die RWE-Bagger an den letzten Gebäuden vergehen von dem, was mal Manheim war, jetzt Manheim-Alt ist und bald nichts mehr sein wird, zieht sich hier still der Asphalt durch die Landschaft, zehn Kurven und 1,1 Kilometer lang. Alte Reifen umrahmen die Strecke, angesprüht in Rot und Weiß, die Farben verblassen.

Niemand fährt. Heute ist Ruhetag im Kartklub Kerpen-Manheim. Nur eine Frau kommt aus der Geschäftsstelle, geht zum Auto, schaut irritiert. Gucken dürfe man zwar, mahnt sie. Aber keine Aufnahmen, bitte. Man kann sie verstehen. Genau wie man die anderen verstehen kann, die in diesen Tagen lieber nicht über den bekanntesten Sohn des Orts sprechen möchten. Über einen, der aus einfachen Verhältnissen kam und hier begann mit dem Aufstieg, der ihn am Ende auf eine Stufe brachte mit Sportlern wie Steffi Graf, Max Schmeling oder Franz Beckenbauer.

Als Michael Schumacher am 13. November 1994, vor 25 Jahren, in Australien zum ersten Mal Formel-1-Weltmeister wird, als erster Deutscher überhaupt, klingeln noch in der Nacht die Kamerateams an den Häusern. In den folgenden Tagen muss von Bäckerin bis Metzger jeder einmal ins Mikro sagen, wie er denn so ist, der Schumi. Jede Anekdote eine Mythenerklärung. Die Geschichte von Michael Schumacher ist nun eine bundesdeutsche Erzählung.

Das Grab von Schumachers Mutter wurde umgebettet

Die des Jungen aus Hürth, der im Kindesalter auf der Kart-Rennstrecke, die Erftlandring heißt, schneller und besser seine Runden drehte als alle anderen. Mit sechs Jahren wird er Klubmeister, wenig später kauft Gerhard Noack, heute Vereinspräsident, ihm ein Kart für die Wettkämpfe. Mit den Jahren kommt er immer weiter und bleibt doch hier. Die Mutter betreibt die Gaststätte auf dem Gelände, Bruder Ralf ist noch immer Jugendleiter des Vereins. Wenn der Mythos Michael Schumacher einen Anfang hat, dann auf dieser Kartbahn. Nur ist davon bald nichts mehr übrig.

Der Braunkohle-Tagebau verschluckt den Ort. Im Eiltempo wird abgerissen. Zwei Drittel der Gebäude sind zerstört, nur noch 20 Anwesen bewohnt, der Rest der Bevölkerung umgesiedelt. Das Ortsschild ist abmontiert, die Kirche entweiht. Der Friedhof, auf dem Schumachers Mutter Elisabeth lag, umgebettet. Die Kneipe, in der die Familie regelmäßig Skat gespielt haben soll, steht noch. Ist aber zu. Man kann sie als eines der letzten Fragmente einer Legende sehen. Oder als weitere Ruine, die sich bald den Maschinen ergeben muss.

Niemand will die Kartbahn

Die Kartbahn liegt außerhalb, direkt am Bürgerwald Steinheide. Auch sie muss weichen, wenn es nicht noch einen überraschenden Beschluss zum Erhalt des Hambacher Forsts gibt. Der Klub hat an RWE verkauft. Hätte man sich nicht mit dem Energiekonzern geeinigt, heißt es aus der Vereinsführung, wäre man eben enteignet worden. Im Oktober 2020 ist Übergabe des Geländes. Einen neuen Standort gibt es nicht. „Niemand will uns, wir sind zu laut“, sagt Vize-Vorsitzender Leo Stein. „Mit Michael wäre das anders. Dann würde sich jede Stadt in der Umgebung um die Kartbahn reißen – des Namens wegen.“

Die Kartbahn, auf der Michael Schumacher seine ersten Runden drehte. Im Oktober 2020 wird das Gelände an RWE übergeben, dann muss die Strecke dem Tagebau weichen.

Stein ist der einzige Weggefährte Schumachers, der reden möchte. Viele andere lehnen heute Interviews ab. Schutz der Privatsphäre oder schlechte Erfahrungen mit der Presse. Der Autohändler, mit dem Schumachers Vater früher Karts zusammenschraubte, sagt höflich aber bestimmt ab. Auch Noack, der Entdecker, will nichts sagen. „Der Rummel nervt einfach mit der Zeit“, sagt Stein. „Stellen Sie sich vor, ihr langjähriger Kumpel wird Formel-1-Weltmeister. Auf einmal will jeder was von dir. Ich habe ihn immer als den Michael gesehen, nie als Übermenschen, zu dem er von manchen gemacht wurde.“

Der erfolgreichste Pilot

Michael Schumacher ist bis heute der erfolgreichste Formel-1-Pilot der Geschichte. Insgesamt 17 Jahre fuhr er für vier verschiedene Teams in der höchsten Motorsportklasse. 1994 wurde er als erster Deutscher Weltmeister, es folgten noch sechs weitere Titel: 1995, 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004. Als er 2009, drei Jahre nach seinem ersten Karriereende, ein Comeback ankündigte, blockte die Stadt Kerpen umgehend für ein Public-Viewing die Jahnhalle, den Ort, an dem viele Einwohner seiner Heimatstadt schon die anderen Erfolge live verfolgt hatten. Im Dezember 2013 erlitt Schumacher bei einem Skiunfall ein Schädel-Hirn-Trauma. Seitdem befindet er sich in Rehabilitation. Die Familie teilt nur wenig über seinen Zustand mit der Öffentlichkeit. (jl)

Stein und Schumacher kennen sich seit sie Teenager waren, sagt er. Wenn Michael mal wieder Formel-1-Weltmeister wurde – und das ist ja immerhin sieben Mal passiert – habe man kurz telefoniert. Wichtiger war dann, wann er mal wieder zum Fußballspielen nach Hause kommt. Zwei Drittel des Geländes unter der Kartstrecke gehörten Schumacher. Wäre alles anders gekommen, der Abriss des Orts gar zu verhindern gewesen, wenn er noch mitreden könnte? „Michael hat sein Haus hier als einer der ersten verkauft, er lebt schon lang in der Schweiz. Also: nein“, sagt Stein. Nur für die Zukunft der Kartbahn hätte es wohl Perspektiven gegeben.

Ein privates Schumi-Museum

Reiner Ferling ist eigentlich ein sehr gelassener Mann, aber bei diesem Thema wird er sauer. Dass die Stadt Kerpen Michael nicht zum Ehrenbürger gemacht habe, geschenkt. Aber dass sie sich nicht um einen Ersatzstandort für die Kartbahn bemühe, das gehe nicht. „Lange Zeit hat sich die Stadt mit Michaels Namen geschmückt, jetzt tritt sie ihm in den Arsch!“, sagt Ferling, Ende 60, kurze Haare, Schnauzer.

Zylinder, die Reiner Ferling bei den Rennen trug.

An diesem Montag trägt er Michael-Schumacher-T-Shirt, trinkt seinen Kaffee aus einer Michael-Schumacher-Tasse. Ferling ist sein bekanntester und vielleicht auch größter Fan. Er ist Vorsitzender des „Michael und Mick Schumacher Fan Club Kerpen e.V.“, betreibt eine Fangruppe auf Facebook mit fast 2000 Mitgliedern. Bekannt wurde er durch seine aufwendigen Kostüme am Streckenrand. Und durch seine Begeisterung für Schumacher.

2007 reichte er bei Bundespräsident Horst Köhler einen Antrag auf ein Bundesverdienstkreuz für seinen Helden ein. Den Ablehnungsbrief überreichte Ferling Schumacher persönlich. Der zapfte seinem Fan auch mal ein Bier in der Gaststätte der Mutter. Ferling hat unendlich viele solcher Schumi-Erlebnisse, er kann damit, so scheint es, Tage füllen. Und ein Zimmer.

Reiner Ferling ist der bekannteste Schumacher-Fan.

In seiner Wohnung in Düren hat er sich auf zehn Quadratmetern ein eigenes Schumacher-Museum eingerichtet. Michael-Schumacher-Teddybären, Michael-Schumacher-Cola-Dosen, Michael-Schumacher-Puppen. Alles da. Es wirkt auch wie eine Dokumentation des absurden Personenkults, der Anfang der 2000er Jahre um Schumacher entstand. Das wichtigste aber, sagt Ferling, seien zwei Briefe. Der eine kam zum Geburtstag, seine Frau hatte ihn organisiert. „Für Reiner, alles Gute zum 60., Michael Schumacher“ steht da. Der andere kam vor zwei Jahren, als Corinna Schumacher erfuhr, dass Ferling Krebs hat. Nur den letzten Satz verrät er: „Keep Fighting Reiner!“

Wunderheiler wollten Ferling bestechen

Ferling kennt die Familie, kennt auch Sabine Kehm, die Managerin von Schumacher, die dafür sorgt, dass nach dessen Skiunfall nichts Privates an die Öffentlichkeit dringt. Immer wieder, erzählt Ferling, versuchten Menschen über ihn an Schumacher heranzukommen. Wunderheiler, die ihm Geld für einen Kontakt boten. Macht er natürlich nicht. „Wir als Fans müssen die Entscheidungen der Familie respektieren.“

Der 13. November 1994, was für ein Tag, sagt Ferling. Ganz Manheim habe sich wie ein Weltmeister gefühlt. Er spricht in der Vergangenheitsform.