Düsseldorf – Die kurzfristigen Änderungen beim Corona-Testverfahren für Grundschüler in NRW haben Verwirrung, Frust und viel Kritik ausgelöst. Die neuen detailreichen Test-Regelungen gelten seit Mittwoch für die Primarstufe, waren als „Strategie 2.0” aber erst am späten Dienstagabend bekanntgemacht worden.
Neu ist im Kern, dass bei Grundschülern nach einem positiven Pool-Ergebnis der Klasse bei den Lolli-PCR-Tests nur noch mit einzelnen Schnelltests nachgetestet wird. Bisher hatten Schüler zusätzlich noch einzelne PCR-Rückstellproben abgegeben, die bei einem positiven Pool-Ergebnis rasch in einem zweiten Schritt in den Laboren überprüft worden waren, um infizierte Kinder zu identifizieren.
Das entfällt nun - laut Schulministerium wegen der sprunghaft angestiegenen Infektionszahlen, der starken Labor-Belastungen und der von Bund und Ländern beschlossenen Konzentration von PCR-Testungen auf bestimmte Gruppen (Priorisierung). PCR-Tests gelten als besonders genau.
Aus Lehrer- und Elternverbänden sowie der Opposition kam scharfe Kritik. Der SPD-Oppositionsführer im Landtag, Thomas Kutschaty, warf Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) und Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein „Kommunikationschaos” vor. Die Bund-Länder-Pläne zur Priorisierung bei den PCR-Tests seien bereits am Montag bekannt gewesen. „An unseren Grundschulen ist das Testregime regelrecht zusammengebrochen”, sagte Kutschaty im Landtag. „Kinder konnten nicht zur Schule, Eltern nicht zur Arbeit.” Grünen-Fraktionschefin Josefine Paul monierte, die NRW-Regierung lasse „klare Kommunikation und gutes Krisenmanagement” vermissen.
Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) verteidigte die kurzfristigen Änderungen. Zum einen seien die Infektionszahlen sprunghaft gestiegen und die Labore an ihre Grenzen gekommen. Zum anderen müsse sich NRW an den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) von Montag halten. Demnach muss bei den als besonders genau geltenden PCR-Tests eine Konzentration auf bestimmte sensible Bereiche wie Krankenhäuser und Pflege erfolgen. Sie hätte sich gewünscht, dass auch Schulen als systemrelevant eingestuft worden wären, sagte Gebauer.
Das bisherige Testsystem habe zu viele Labor-Kapazitäten gebunden, sagte Gebauer. Das hochwertige PCR-Pool-Testverfahren sei für die Grundschüler aber trotzdem teilweise und für die Förderschüler vollständig erhalten geblieben. Außerdem könne durch den Verzicht auf die Rückstellprobe das Ergebnis der Pool-Testung noch am gleichen Abend vorliegen, sagte die FDP-Politikerin in einer Fragestunde im Landtag.
Vorwürfe zur Kommunikation wies die Ministerin auch im Landtag zurück. Die Landesregierung habe nicht einmal 24 Stunden nach dem Bund-Länder-Beschluss gehandelt. „Die Pandemie verlangt oft Entscheidungen in Echtzeit”, sagte Gebauer. Ihr sei bewusst, dass der Zeitraum sehr kurz gewesen sei. Aber die Landesregierung habe auch nicht vor dem Bund-Länder-Beschluss das Testsystem ändern können, sagte Gebauer zur Kritik der Opposition, nicht schon früher gehandelt zu haben, obwohl sie schon vergangene Woche von drohenden Engpässen gewusst habe. Erst am vergangenen Montag habe es zudem von allen Laboren die gemeinsame Anzeige gegeben, dass sie die Einzel-PCR-Tests nicht mehr schafften.
Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp nahm seine Parteikollegin in Schutz. Das Testsystem sei nicht zusammengebrochen, sondern Gebauer habe eine Lösung vorgelegt. Die SPD habe dagegen permanent PCR-Pool-Tests nicht nur für Schulen, sondern auch für alle Kitas gefordert. „Wir hätten einen Zusammenbruch der Laborkapazitäten bekommen, wenn wir (...) Ihrem völlig absurden Vorschlag gefolgt wären”, sagte Stamp im Landtag.
Die angepasste Testregelung sieht vor: Schüler eines positiv getesteten Klassen-Pools dürfen nur am Unterricht teilnehmen, wenn sie vorher noch ein negatives Schnelltestergebnis oder ein „anderweitig eingeholtes” negatives PCR-Testergebnis vorweisen können. Oder wenn sie zum Unterrichtsbeginn einen Schnelltest mit negativem Ergebnis in der Schule durchführen.
Sobald sich ein Corona-Schnelltest als positiv erweise, müsse sich der Schüler umgehend in häusliche Isolation begeben. Es muss dann eine Kontrolltestung „außerhalb des Schulsystems durch eine Teststelle mindestens als Corona-Schnelltest” erfolgen. Fällt auch dieser Schnelltest positiv aus, gilt der Schüler als infiziert und kann sich erst nach sieben Tagen an einer offiziellen Teststelle oder über einen PCR-Test freitesten. An Förderschulen bleibt das bestehende PCR-Testsystem erhalten.
Grundschulen in Düsseldorf und Wuppertal machten am Mittwoch mit weißen Fahnen und Tüchern, die sie aus den Fenstern hängten, auf ihre angespannte Lage aufmerksam. Holger Thrien von der Gewerkschaft GEW forderte unter anderem Fachpersonal für die Corona-Tests vor Unterrichtsbeginn und einen reduzierten Lehrplan.
Die GEW befürchtet, dass es mit dem geänderten Verfahren zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko für Schüler und Lehrer kommen kann. Die Landesschülervertretung forderte das Land auf, den Präsenzunterricht sofort auszusetzen. Der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Stefan Behlau, sagte, die erneute kurzfristige Umstellung habe vielerorts Frust und Ärger hervorgerufen. Schulen wünschten sich endlich wieder Zeit für die Kinder, für Unterricht und schulisches Leben. Der Elternverband LEiS bezeichnete die Teststrategie als „krachend gescheitert”.
Der Verband Lehrer NRW verwies auf eine rasche Zunahme auf aktuell 6349 Lehrkräfte, die wegen einer Infektion, Quarantäne oder aus Fürsorgegründen nicht im Präsenzunterricht einsetzbar seien. Flächendeckender Präsenzunterricht sei unter der Wucht der Omikron-Welle nicht aufrecht zu erhalten. Derzeit sind laut Ministerium rund 80 Prozent der Pool-Tests negativ. Diese Schülerinnen und Schüler können am Folgetag wie gewohnt am Unterricht teilnehmen.
© dpa-infocom, dpa:220126-99-856184/5 (dpa/lnw)