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Blick in die GeschichteUnd plötzlich gehörte Marienberghausen zu Nümbrecht

Lesezeit 5 Minuten

1969 kam Marienberghausen zu Nümbrecht.

  1. Birgit Ludwig-Webers Vater war der letzte Bürgermeister von Marienberghausen.
  2. Sie wirft einen Blick in die 60er Jahre und erzählt, warum die Gemeinde auf einmal zu Nümbrecht gehörte.
  3. Dieter Hüschemenger, Geschäftsführer des Heimatvereins, erzählt von den Verlustängsten der Bürger zu dieser Zeit.

Nümbrecht – Den Zorn und die Wut ihres Vaters hat Birgit Ludwig-Weber noch genau vor Augen und auch im Ohr. „Die wollen uns Waldbröl zuschlagen!“, habe er gerufen. „Am Mittagstisch ist er regelmäßig ausgeflippt“, erinnert sich die Schönhausenerin. Damals ist sie 15 Jahre jung und ihr Vater, Herbert Ludwig (1916 – 1997), ist Bürgermeister der Gemeinde Marienberghausen. Und als feststeht, dass es diese nach der kommunalen Gebietsreform nicht mehr geben wird, stellt sich die Frage: Zu welcher Nachbarkommune wird Marienberghausen künftig wohl gehören?

Eine Idee ist zu jener Zeit, dass die fast 3,75 Hektar große Gemeinde mit 4490 Einwohnern (1967) im Jahr 1969 eben an die Stadt Waldbröl gehen soll. „Und das kam für meinen Vater überhaupt nicht in Frage“, sagt Ludwig-Weber. Den Waldbröl-Plan erdacht hatte Oberkreisdirektor Dr. Friedrich-Wilhelm Goldenbogen (1914 – 1982). „Wohl aus wirtschaftlichem Interesse“, überlegt Ulrich Runkel.

Oktober 1964: Herbert Ludwig (r.) wird als Bürgermeister vereidigt.

Der frühere Tageszeitungsredakteur und Sprecher des Oberbergischen Kreises von 1975 bis 2003 hat sich mit der Geschichte der Gemeinde Marienberghausen zur Zeit der Neuordnung auseinandergesetzt und diese für die Dezember-Ausgabe der Nümbrechter „Heimatklänge“ aufgeschrieben. „Goldenbogen wollte wohl, beginnend mit dem Bröltal, eine Art Industrieregion schaffen und streckte seine Hände auch in Richtung Ruppichteroth und einiger Orte wie Oeleroth, die zur heutigen Gemeinde Ruppichteroth gehören, aus.“

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Ängste und Vorbehalte gegen Nümbrecht

Was Runkel für die Schriftenreihe des Nümbrechter Heimatvereins recherchiert hat, ist noch ein streng gehütetes Geheimnis, doch wird sein Essay auch ein persönlicher sein: Runkel hat von 1983 bis 2013 in Marienberghausen gewohnt. „Selbst in diesen Jahren waren Ängste und Vorbehalte gegen Nümbrecht noch zu spüren“, erinnert er sich. Zu Nümbrecht kommt Marienberghausen schließlich, denn die Politik ist sicher: Dies ist die vernünftigste und unkomplizierte Lösung unter allen Konzepten zuvor. „Alles andere wäre doch wirklich bescheuert gewesen“, sagt Runkel heute und lacht.

Am 14. September 1967 wird auf Schloss Homburg der sogenannte Gebietsveränderungsvertrag unterzeichnet, noch sitzen damals Marienberghüser und Nümbrechter getrennt. „Und während die Menschen hier schon zueinander fanden, kloppten sich die Wiehler und die Bielsteiner immer noch.“

Mit dem Lachen tut sich derweil Dieter Hüschemenger, gebürtiger „Beerchüser“ und Geschäftsführer des Heimatvereins, immer noch schwer. Obwohl auch er seine Befürchtungen von einst nur schwer in Worte fassen kann: „Es ging um das Gefühl von Heimat und um die Angst, diese Heimat zu verlieren“, schildert Hüschemenger und erzählt von dem Chaos, das er damals erlebt habe: Er ist Elektriker und arbeitet bei RWE. „Und wenn Verträge aufgesetzt wurden, mussten wir immer die zum Wohnort gehörige Gemeinde aufschreiben. Und manchmal wusste niemand mehr, welcher Ort wohin gehörte.“

Im Nümbrechter Archiv gehören die Schrankreihen 10 und 11 allein Marienberghausen: Birgit Ludwig-Weber und Dieter Hüschemenger machen sich auf Spurensuche in den Aktenstücken zum Zusammenschluss mit Nümbrecht, der 1967 auf Schloss Homburg (Foto oben) besiegelt wurde.

Unterdessen konzentrieren sich die Politiker aus Nümbrecht und Marienberghausen gemeinsam auf die Arbeit. „Kooperationen hatte es ja früher schon gegeben“, weiß Ulrich Runkel. „So gab es beispielsweise Pläne, eine gemeinsame Mittelpunktschule zu bauen – übrigens in Nümbrecht.“ Runkels Meinung nach waren es auch ganz pragmatische Gründe, die zu einer friedlichen Verschmelzung führten: Marienberghausens Gemeindedirektor Erich Ruland ging im Februar 1968 in den Ruhestand.

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Für nur ein Jahr durfte aber kein neuer Gemeindedirektor bestimmt werden, da die Vereinigung seit dem Vertrag von 1967 bereits besiegelt war. So habe es die Bezirksregierung gefordert. „Also wurde Nümbrechts Gemeindedirektor Friedrich-Wilhelm Schütz auch Gemeindirektor von Marienberghausen.“

Eine reiche Gemeinde

Diese Gemeinde mit Orten wie eben Marienberghausen, Lindscheid, Schönhausen, Loch, Neuroth, Berkenroth oder Benroth ist übrigens eine sehr reiche: Die Papierfabrik Guxmühlen gehört damals ebenso zu ihr wie die Schnitzmühle Voß und die Homburgische Papiermühle, um nur drei der großen Betriebe dort zu nennen. In der Homburgischen Papiermühle absolviert in jener Zeit ein gewisser Dieter Hüschemenger seine Lehre. „Als erster Lehrling überhaupt“, erinnert er sich.

Seit 50 Jahren ein Golddorf

Nicht nur der Wechsel Marienberghausens in die Verwaltungsobhut Nümbrechts jährt sich jetzt zum 50. Mal: Vor fünf Jahrzehnten wurde der malerische Fachwerkort im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ mit der Goldmedaille ausgezeichnet, der zweite Goldtitel folgte dann 1991. Heute heißt diese Kür „Unser Dorf hat Zukunft“.

Das feiert der Heimatverein des Ortes mit einem Straßenfest am Samstag, 24. August, ab 15 Uhr: Dazu haben die

„Beerchüser“ unter anderem die Original-Naafbachtaler Musikanten eingeladen, auch der MGV 1854 Marienberghausen wird singen. Und wenn es dunkel wird, sollen die Fachwerkhäuser, die Kirche und das frühere Bürgermeisteramt in bunten Farben leuchten. (höh)

Die Chefs solcher Unternehmen kandidieren gern für den Posten des Bürgermeisters in Marienberghausen, zum Beispiel Wilhelm Degenring von der Homburgischen Papiermühle, im Amt von 1911 bis 1929. Von ihm ist überliefert, dass er ein Bürgermeistergehalt aus der Gemeinde Marienberghausen mit dem Blick auf lukrative Geschäfte in Nümbrecht und den Worten ablehnte: „Ihr müsst mich nicht bezahlen, das machen schon die Nümbrechter.“

Auch Herbert Ludwig, letzter Bürgermeister von 1964 bis eben 1969, ist Fabrikant. Er führt einen Betrieb in der Holzverarbeitung. Irgendwann sei sein Unmut verflogen gewesen, erinnert sich die Tochter Birgit Ludwig-Weber, deren Familie seit 1881 in Schönhausen beheimatet ist. Einig sind sich Ludwig-Weber, Dieter Hüschemenger und Ulrich Runkel, dass die Nümbrechter und Marienberghausener Vereinigung eine am Ende sehr friedliche war – vielleicht sogar die friedlichste im gesamten Kreisgebiet.