Waldbröl – Das erste Zimmer ist eingerichtet, nur zwei Stühle fehlen noch. Aber auch die haben Sven Schuh und sein Kollege Peter Klinkhammer rasch herbeigeschafft. Ab dem 25. Oktober sollen zwölf junge Oberberger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in dem Schieferhaus von 1786 für zehn Monate ihr Zuhause haben – und dort so manches erleben.
Denn am Bitzenweg im Waldbröler Stadtzentrum richtet das Institut „Erleben – Lernen – Weiterbilden“ keine gewöhnliche Wohngemeinschaft ein: „In dieser Zeit wollen wir die jungen Menschen auf das Leben als Erwachsene vorbereiten“, erklärt Geschäftsführer Schuh.
Wohnprojekt in Waldbröl will Lücke nach der Schulzeit schließen
„Freischwimmer“ heißt das Projekt, das nach vielen Jahren des vehementen Drucks in der Schule den Teilnehmern für das Leben danach Orientierung bieten und den Einstieg in die Berufswelt erleichtern soll. „Zwischen Schule und Lehre, Ausbildung oder Studium ist heute eine Kluft, weil die Wehrpflicht fehlt und der Zivildienst freiwillig geworden ist“, führt der 47-Jährige aus.
„Man kann sich nicht mehr ausprobieren. Genau diese Lücke wollen wir schließen.“ Denn bei einer Bewerbung seien dem Arbeitgeber von morgen die Persönlichkeit und der Charakter des Kandidaten längst wichtiger als die Noten auf dem Zeugnis. „Aber die Schule qualifiziert vor allem für den Job, die sogenannten Softskills kommen dabei oft zu kurz“, urteilt der Reichshofer.
Das ELW-Institut
Das Institut „Erleben – Lernen – Weiterbilden“ wurde 2009 in Waldbröl als Verein gegründet. Dieser organisiert Fortbildungen im Bereich der Erlebnispädagogik, dabei liegt der Fokus auf einer engen Vernetzung von wissenschaftlicher Theorie und der täglichen Praxis.
Diese Vernetzung soll stets fachübergreifend erfolgen, sodass Ideen und Inspirationen auch aus anderen Bereichen des täglichen Lebens in diese Fortbildung einfließen – mit dem Ziel, die Persönlichkeits einer Trainerin oder eines Trainers weiterzuentwickeln. (höh)
Rundumprogramm für 950 Euro Monatsmiete
Wer in der WG für eine monatliche Miete in Höhe von 950 Euro eingecheckt, der bekommt etwa die Möglichkeit, einen Führerschein für die Motorsäge zu erwerben, sich zum Fitnesstrainer mit B-Lizenz schulen zu lassen oder auch den Tauch- oder Kletterschein zu machen. Schuh: „Beim Umgang mit der Motorsäge geht es zum Beispiel darum, die jungen Leute für Gefahren und die Verantwortung zu sensibilisieren. Viele sind wohlbehütet aufgewachsen – ferngehalten von gefährlichen Dingen.“
Und wer etwa Fitnesstrainer werden möchte, der soll lernen, nicht nur für sich selbst das richtige Programm zu entwickeln, sondern eben auch für andere Menschen. „Wir wollen unseren Teilnehmern Raum geben, sich selbst zu finden und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.“
So sei auch der Alltag in der WG mit fünf Zimmern als Herausforderung gedacht: „Es geht darum sich zu arrangieren, Konflikte zu bewältigen und lösen, gemeinsam gesund zu kochen, einen Haushalt zu führen, die Wäsche zu machen“, zählt Sven Schuh auf. „Natürlich wird es auch um Sex und die Diversität gehen.“ Die Idee zum Projekt sei schon vor Jahren gereift. „Zuletzt hat uns Corona ausgebremst.“
Bewohner können in Werkstatt im Erdgeschoss handwerkliches Geschick testen
Weil aber auch die berufliche Perspektive nicht aus dem Blick geraten soll, gehören Berufspraktika und Workshops ebenso zum „Freischwimmer“-Programm. Da kommt der Fliesenleger und Bautechniker Klinkhammer ins Spiel, er hat im Erdgeschoss des Hauses eine Werkstatt aufgebaut. „Ich möchte die jungen Leute an Handwerkliches, an die Technik und an Arbeitsgeräte heranführen“, sagt der 51-jährige Bergneustädter. „Wir könnten etwa Seifenkisten bauen oder die Geräte auf Spielplätzen reparieren.“
Zertifikate und ein ausführliches Portfolio werden die Teilnahme am Ende dokumentieren, das soll den WG-Mitgliedern bei späteren Bewerbungen helfen.
WG-Zeit endet mit Reise nach Skandinavien
Zuletzt führt eine dreiwöchige Erlebnisreise die Gruppe nach Mora in der schwedischen Provinz Dalarnas. „Dort gilt es weitere Aufgaben zu meistern, tief im dichten Wald und auch auf dem Wasser“, kündigt Sven Schuh an. Und auch ein Outdoor-Erste-Hilfe-Seminar – Dauer: eine ganze Woche – sei in Waldbröl zuvor Teil des Projekts.
Bewerbungen für einen Platz in der WG werden ab sofort per E-Mail entgegengenommen. Mit der Monatsmiete von 950 Euro sind laut Sven Schuh alle Kosten abgedeckt. www.stromaufwärts.de