Ein Polit-Talk in Oberberg sollte im Wahlkampf 2021 offenbar Ziel eines Anschlags werden.
Sevim Dagdelen (Linke) war Hinweisen zufolge ins Visier einer Person aus dem nationalistischen türkischen Graue-Wölfe-Milieu geraten.
Gummersbach – Es war eine skurrile Situation an jenem 23. September. Nur wenige Besucher, etwa 50 bis 60, fanden sich wenige Tage vor der Bundestagswahl zur Wahlkampfveranstaltung der Linken mit der Duisburger Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen in der Gummersbacher Halle 32 ein. Demgegenüber stand aber eine massive Polizeipräsenz. Sowohl am Vordereingang als auch im hinteren Bereich der Veranstaltungshalle standen mehrere Streifenwagen, Polizisten hielten Wache und ein genaues Auge darauf, wer sich auf dem Gelände bewegt.
Im Foyer der Halle 32 gab es Einlass nur nach einer gründlichen Personenkontrolle: Wachleute tasteten die Besucher ab und schauten in mitgebrachte Taschen. Mehrere bewaffnete Personenschützer des Bundeskriminalamts, die Dagdelen zu ihrem Auftritt begleiteten, wichen der Politikerin nicht von der Seite, bis sie auf der Bühne Platz nahm. Im Saal hielten sie die Besucher im Blick.
Ins Visier des Graue-Wölfe-Milieu geraten
Wie sich jetzt herausgestellt, hatte das auch einen guten Grund: Auf die 46-jährige Dagdelen sollte im Umfeld der Veranstaltung in der Halle 32 in Gummersbach ein Attentat verübt werden. Wie die Tageszeitung „Die Welt“ jetzt berichtet, war Dagdelen offenbar ins Visier einer Person aus dem nationalistischen türkischen Graue-Wölfe-Milieu geraten.
Demnach habe das Bundeskriminalamt (BKA) vor der Veranstaltung eine Warnung erhalten, wonach es einen konkreten Anschlagsplan auf die Kritikerin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gebe.
BKA riet der Linken zur Ansage der Veranstaltung
„Die Bedrohung war natürlich ernstzunehmen“, erzählt Dagdelen auf Nachfrage. Damals, als das BKA ihr und den Veranstaltern um den Direktkandidaten der Linken, Diyar Agu, zur Absage in Gummersbach geraten habe, sei spürbar gewesen, dass es keine alltägliche Gefahrenlage ist. „So angespannt habe ich die Beamten sonst nur selten erlebt.“ Sie habe keinen Schritt alleine machen können.
Agu und die Gummersbacher Polizei erklären, dass sie damals von einem gezielten Anschlag auf Dagdelen nichts gewusst hätten. Polizeisprecher Michael Tietze sagt: „Wir haben am Tag vor dem Auftritt von Sevim Dagdelen vom Staatsschutz in Köln lediglich erfahren, dass es vage Hinweise auf eine Störung der Veranstaltung gebe.“ Von einem geplanten Attentat sei nicht gesprochen worden. Dennoch habe auch die Polizei vor Ort ihre Präsenz deutlich erhöht.
„Man muss die Anfeindungen, Attacken und Drohungen stets politisch einordnen. Man darf das nicht auf die persönliche Ebene holen.“ Sevim Dagdelen
Ein besonderer Alltag, wie sie ihn seit fünf Jahren kennt. Die gebürtige Duisburgerin, die nach eigenen Angaben regelmäßig nicht nur von türkischen Nationalisten und Islamisten, sondern auch von deutschen Nazis bedroht wird, steht seit 2016 unter Polizeischutz. Eine permanente Ausnahmesituation also, über die sie aber sagt: „Man muss die Anfeindungen, Attacken und Drohungen stets politisch einordnen. Man darf das nicht auf die persönliche Ebene holen.“
Für den 22-jährigen Studenten Diyar Agu, der 2021 bereits zum zweiten Mal für die Linken in Oberberg kandidiert hat, war die Situation noch weniger alltäglich. Das sei schon ein Schock für ihn gewesen, als er am Tag der Veranstaltung davon erfahren habe, erzählt er. Gemeinsam mit Dagdelen habe man lange beraten, ob die Veranstaltung trotzdem stattfinden kann. Auch die Bundestagsfraktion in Berlin war einbezogen. Man sei sich einig gewesen, dem politischen Einschüchterungsversuch zu widerstehen und den Diskussionsabend mit einer erhöhten wie sichtbaren Präsenz der Polizei durchzuführen.
Auf die Schnelle musste Agu dann zusätzlich auch noch private Sicherheitsfirma engagieren. Schließlich sei alles aber völlig ruhig verlaufen. Agu: „Als ich in der Halle 32 auf der Bühne neben Sevim Dagdelen saß und die Menschen im Publikum sah, von denen ich viele kannte, da wusste ich: Hier passiert nichts.“ Sorgen habe er sich da ohnehin nicht gemacht: „Ich habe mich auch vom BKA sehr gut beschützt gefühlt.“
Hintergrund des geplanten Anschlags unbekannt
Wer hinter dem Anschlagsplan, für den es die ganz konkreten Hinweise gegeben haben soll, gesteckt hat, wissen weder Dagdelen noch die oberbergische Polizei. Anhaltspunkte dafür, dass die Bedrohung aus der Region selbst gekommen sein soll, habe man der Polizei hier jedenfalls nicht mitgeteilt, erklärt Polizeisprecher Tietze auf Nachfrage.