Interview mit dem Imam von Bergneustadt„Das war ein Affront des Bürgermeisters“
In einem Bericht über das hohe Infektionsgeschehen in Bergneustadt hatte Bürgermeister Matthias Thul (CDU) dieser Zeitung gesagt, es habe den Anschein, als spiele die türkischstämmige Gemeinschaft in der Stadt dabei eine Rolle. Darauf hin suchte der Moscheeverein das Gespräch.
Das Ziel: Stigmatisierung verhindern. Imam Recep Ali Özaydin und Recep Özgül, Vorstandsmitglied der Moscheegemeinde, sagen, die türkischstämmige Bevölkerung in der Stadt spielt keine größere Rolle für die Höhe der Infektionszahlen als die übrige Bergneustädter Bevölkerung auch.
Warum wollen Sie mit uns sprechen?
Recep Ali Özgül: Weil der falsche Eindruck entstanden ist, als hätten die hohen Infektionszahlen in Bergneustadt etwas mit der Moschee zu tun.
Haben sie nicht?
Özgül: Nein. Wir haben strengste Hygienevorschriften in der Moschee.Imam Özaydin: In der Pandemie ist die Moschee der sicherste Ort überhaupt. Sauberkeit und Hygiene sind Voraussetzungen für die Religionsausübung. Wer gegen die Hygienevorschriften verstößt, schadet der Gesundheit anderer.
Das gilt für die Moschee, die gerade ohnehin geschlossen ist. Aber was ist im privaten Bereich?
Imam Özaydin: Auch bei der Religionsausübung im privaten Bereich muss jeder gläubige Muslim fünf Mal am Tag vor jedem Gebet die rituelle Waschung vornehmen, sonst ist das Gebet nicht gültig. Vor Allah muss man körperlich rein sein und frei von Sünden – also sauber im doppelten Sinn.
Trotzdem sagt Bürgermeister Thul, es habe den Anschein, dass die muslimische Bevölkerung ihren Anteil am hohen Infektionsgeschehen hat.
Özgül: Das war ein Affront, der ganz schnell zur Stigmatisierung eines ganzen Teils der Bevölkerung führen kann. Das sollte ein Bürgermeister nicht tun. Solche Aussagen werden schnell instrumentalisiert. Bundesweit sind in der Pandemie die Fälle von Diskriminierungen im vergangenen Jahr bereits deutlich gestiegen. Wir haben ansonsten ein gutes Verhältnis zu Herrn Thul, er hat unsere Gemeinde als vorbildlich bezeichnet. Aber das hätte er nicht sagen sollen.
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Aber war es denn falsch?
Özgül: Unseres Wissen gibt es in den Informationen des Kreises an die Bürgermeister keine Angabe zum Migrationshintergrund von Infizierten. Und der Bürgermeister hätte den Hintergrund erklären sollen: Zum einen machen die Migranten in Bergneustadt einen großen Anteil an der Bevölkerung aus. Auch ihre Wohnverhältnisse spielen eine Rolle, sie leben enger zusammen. Viele arbeiten in großen Firmen und Fabriken. Die können kein Homeoffice machen, um sich vor dem Virus zu schützen. Und es sind viele junge Menschen darunter. Die können Überträger sein, ohne überhaupt zu wissen, dass sie selbst infiziert sind. Das sind alles Fakten, die man berücksichtigen muss. Und ich frage mich, warum die Fallzahlen in Nümbrecht gemessen an der Einwohnerzahl sogar noch höher sind als in Bergneustadt.
Sind die Menschen nicht genug informiert über die Infektionslage sowie die Maßnahmen und Beschränkungen dagegen?
Özgül: Auf keinen Fall. Wer darüber nicht Bescheid weiß, ist naiv. Informationen gibt es genug. Auch das türkische Fernsehen berichtet ja viel. Dort sind die Beschränkungen noch viel strenger als hier bei uns.
Wie können Sie auf die türkischstämmigen Bergneustädter einwirken?
Özgül: Schon zu Beginn der Pandemie hat unser Imam in einer in allen Moscheen in Deutschland verbreiteten Rede erneut dazu aufgerufen, sich an die Corona-Regeln zu halten. Wir können nur appellieren, aber es wird immer Menschen geben, die sich nicht daran halten. Und im privaten Bereich kann es niemand kontrollieren. Und wer sich nicht daran hält, der muss bestraft werden. Das gilt für alle.
In den Altenheimen ist mit dem Impfen begonnen worden. Bald kommt auch die übrige Bevölkerung an die Reihe. Wie schätzen Sie die Impfbereitschaft unter Ihren Landsleuten ein?
Imam Özaydin: Wenn Experten nachweisen, dass es hilft und dass es vor dem Virus schützt, dann muss man es machen. Dann ist es eine Pflicht.Özgül: Die Corona-Pandemie ist eine Aufgabe, die wir nur alle gemeinsam bewältigen können.