Morsbach – Mitte Dezember gehen im Morsbacher „Gasthaus an der Seelhardt“ die Lichter aus – ob für immer, das steht noch nicht fest. Sicher aber ist, dass gleich drei Chöre den Saal im Obergeschoss im kommenden Jahr nicht mehr für ihre Proben nutzen dürfen. Mieter der früheren Gaststätte ist der Männergesangverein „Eintracht“. „Dass es das Haus bald nicht mehr geben könnte, das macht mir ein mulmiges, ein sehr beklemmendes Gefühl“, sagt Manfred Hammer. Der Morsbacher ist 87 Jahre alt, mit 15 ist er bei der „Eintracht“ eingestiegen. „Ich singe also seit 72 Jahren in der Seelhardt.“
Denn die Seelhardt, so nennen die Morsbacherinnen und Morsbacher die gute Stube oberhalb der Ortsmitte, könnte auch dem Abbruchbagger zum Opfer fallen. Im vergangenen Dezember hat der MGV erfahren, dass er das historische Gebäude räumen muss, inzwischen liegt die Kündigung vor. „Wir sind immer noch geschockt“, sagt Frank Rinscheid (56), Vize-Vorsitzender. Und Vorsitzender Daniel Schneider ergänzt: „Mir geht das unglaublich nahe.“ Denn gleich gegenüber steht das Elternhaus des 48-Jährigen, er kennt die Seelhardt sein ganzes Leben. Neben den 45 Sängern der Eintracht proben dort zurzeit auch der Frauenchor „Cantabile“ und der Morsbacher Singkreis.
Morsbach: Verpachtung an Chor ist Zuzahlungsgeschäft
Neuer Besitzer des wohl mehr als 150 Jahre alten Gasthauses ist David Stricker, er vertritt die dritte Generation der Eigentümerfamilie. „Noch ist kein Plan zu Ende gedacht“, betont der Bielsteiner auf Anfrage. Er sagt aber auch: „Das Modell der Verpachtung an den Chor ergibt wirtschaftlich keinen Sinn, es ist ein Zuzahlungsgeschäft.“ Zudem sei jedes Vorhaben dort am Ende ein rein privates Projekt. „Damit ist auch der Abbruch eine von vielen Möglichkeiten.“
Wann das Gasthaus auf dem Hang oberhalb von Morsbach, der Seelhardt, errichtet worden ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Es dürfte aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut worden sein.
Das zweitälteste, erhaltene Foto ist aus dem Jahr 1888: Es zeigt das freistehende Gebäude auf nahezu auf einer Höhe mit der Basilika St. Gertrud. 1902 wurde dort die erste Kegelbahn Morsbachs angebaut, zur gleichen Zeit gründeten sich die ersten Kegelvereine im Dorf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gasthaus saniert und erhielt sein heutiges Aussehen mit Schiefer und Fachwerk. Der Saal, in dem heute die Chöre proben, ist als „Schukos Säälchen“ bekannt. Der Name erinnert an einen Gastwirt aus der Familie Stausberg, der dem Genuss von Schokolade verfallen war.
Um würdig Abschied zu nehmen, laden die Chöre für Samstag, 24. September, ab 14 Uhr zu einem großen Fest mit vielen Erinnerungen ein. (bu, höh)
Stricker erinnert sich an Gespräche mit dem Gemeindekulturverband und der Gemeinde Morsbach aus der 2016 geschlossenen Gaststätte eine „Heimat der Chöre“ zu machen, dafür habe er die Immobilie angeboten. „Interesse bestand aber offenbar nicht.“ Bürgermeister Jörg Bukowski und Tobias Schneider, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes, sehen das anders. Bukowski: „Wir haben einen Ankauf damals durchaus in Betracht gezogen, aber als Gemeinde wollten wir nicht in Konkurrenz zu anderen Gaststätten und Kneipen treten.“
Chöre suchen neuen Ort zum Proben
Für den Gemeindekulturverband, führt derweil Schneider aus, wäre ein Pachtverhältnis finanziell nicht zu stemmen gewesen. „Heute blutet mir das Herz, wenn ich daran denke, dass die Seelhardt bald verschwinden könnte.“ Den Vorstand der „Eintracht“ um Daniel Schneider und Frank Rinscheid treibt zudem eine andere Sorge um: Sie halten Ausschau nach einem neuen Ort für ihre Proben. „Aber kein Raum bietet so großen Chören Platz genug“, sagen sie und hoffen auf das Gertrudisheim.
Am 31. Oktober 2018 aber hat dort ein Feuer gewütet, das Ende der Sanierung des Saals ist zurzeit nicht abzusehen. Schneider: „Eine Lösung könnte ein Raum im Erdgeschoss der Jugendherberge sein.“ Die wurde jedoch – ebenfalls am 31. Oktober 2018 – vom Landesverband Rheinland im Deutschen Jugendherbergswerk dichtgemacht, seither sind die Gebäude an der Oberen Kirchstraße dem Verfall preisgegeben.
Verständnis für das drohende Aus haben Schneider und Rinscheid nicht: Seit dem Abschied des letzten Wirtepaares 2016 hält der MGV das Haus in Schuss, hegt und pflegt den Biergarten, hält alles sauber. „Und dann sind da noch die vielen Familienfeiern, die Feste, die Versammlungen“, sagt Frank Rinscheid mit Blick auf den prallgefüllten Vermietungskalender. „Die Seelhardt ist beliebt – und immer noch die gute Stube Morsbachs.“