Nach 32 JahrenBergneustädterin hatte als Hebamme die halbe Stadt auf dem Arm
Wiedenest – Wenn Rita Mißmahl in Bergneustadt unterwegs ist, dann fühlt sie sich „wie in einer großen Familie“. Überall wird sie herzlich begrüßt. Rund 1500 Frauen hat die Hebamme in der Schwangerschaft und nach der Geburt betreut, seit sie vor 32 Jahren nach Wiedenest kam. „Inzwischen werden die Babys von damals selbst Mütter, und ich begleite sie dabei. Das ist einfach wunderbar!“
Aus jedem Wort spricht ihre Leidenschaft für ihre Arbeit. „Das ist meine Berufung“, sagt die 58-Jährige. „Und Wiedenest ist meine Heimat.“ Elf Jahre war sie alt, als sie zusammen mit ihren Eltern als Spätaussiedlerin aus Kasachstan über Estland nach Deutschland kam. Die Umsiedlung erlebte sie als Kulturschock, vor allem aber als „großes Abenteuer“.
Selbst Mutter von vier Kindern
Dass sie Frauen bei der Geburt helfen wollte, stand für Mißmahl schon früh fest. Nach der Ausbildung zur Hebamme arbeitete sie zwei Jahre lang in einer großen Klinik in Düsseldorf. „Das war toll, die kleinen Erdenbürger als erste Frau begrüßen zu dürfen“, erinnert sie sich. Doch auf die Geburtshilfe verzichtete sie, als sie mit ihrer jungen Familie nach Wiedenest zog. Ihre vier Kinder sollten im Grünen aufwachsen.
„Als selbstständige Hebamme mache ich die Betreuung vor der Geburt, auch Vorsorge – außer Ultraschall – und die Nachsorge. Aber die ,Mitte’, die Geburt selbst, fehlt natürlich.“ Ein bisschen klingt dabei immer noch Wehmut durch. „Vor Kurzem hat mir eine Frau gesagt, ihr sei es wichtiger, zehn Monate lang super betreut zu werden. Die paar Stunden bei der Geburt käme sie auch ohne mich zurecht.“ Das habe ihr gutgetan.
Anfangs war die Arbeit eine Belastung für die ganze Familie. Wenn das Telefon Tag und Nacht klingelte. Wenn Frauen, weil Mißmahl gerade nicht zu Hause war, dann eben von ihrem Mann wissen wollten, wie sie sich bei Schwangerschaftsproblemen verhalten sollten. Und als ihre kleinen Kinder schon sagen konnten, was Stillprobleme sind. „Da musste ich eine Grenze ziehen, das habe ich mit der Eröffnung meiner Praxis getan.“
Anspruch auf Begleitung durch eine Hebamme
Zwölf Jahre lang bis 2019 beriet sie werdende Mütter und Väter in eigenen Räumen, gab Geburtsvorbereitungskurse. „Am Ende war der bürokratische Aufwand aber oft zeitintensiver als die eigentliche Arbeit, ich habe mich wie eine Bürokraft und nicht mehr als Hebamme gefühlt“, resümiert sie. „Heute bin ich nur noch Hebamme ,to go’ und mache Hausbesuche.“
Hausgeburten betreut sie nicht. Wie den meisten selbstständigen Hebammen ist ihr die enorm hohe Berufshaftpflichtversicherung zu teuer. Aber auch so mangelt es nicht an Aufregung.
„Da fühlte ich bei der Untersuchung plötzlich Wochen vor dem Termin ein paar Füßchen in der Scheide. Höchste Zeit fürs Krankenhaus!“, erzählt sie. „Zum Glück ist alles gut gelaufen.“ Wie fast immer. Es gibt aber auch Fehlgeburten. Totgeburten. Schock und Trauer. „Viele Frauen wissen nicht, dass sie auch dann Anspruch auf die Begleitung durch eine Hebamme haben. Da muss man dann weniger tun, mehr einfach nur da sein.“ Auch sonst sei es manchmal wichtiger, als Seelsorgerin, Eheberaterin oder Erziehungsberaterin bei Problemen mit Geschwisterkindern zur Seite zu stehen denn Ratschläge zu geben, wie das Neugeborenen gebadet werden soll.
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Einmal noch würde sie gern einem Baby auf die Welt helfen. „Wenn auf einem Parkplatz, im Supermarkt oder im Flugzeug plötzlich eine Geburt einsetzt, dann dürfte ich notfallmäßig helfen. Da wäre ich gern die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
Wer mal in die Zeitung gehört? Rita Mißmahl meint: der Filmemacher Thomas Meyerhöfer.