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Im GesprächWarum es in Oberberg an Bewerbern für Ausbildungen mangelt

Lesezeit 5 Minuten
OB Ausbildung

Wilfried Holberg diskutierte mit Lara Heitz (l.) und Charleen Jonen.

  1. Die Industrie- und Handwerksbetriebe schlagen Alarm. Nicht zum ersten Mal, aber lauter denn je.
  2. Es fehlt an Bewerbern für ihre Lehrstellen.

Oberberg – Im Gespräch mit den Redaktionspraktikantinnen Lara Heitz (22) und Charleen Jonen (21) sucht Wilfried Holberg, Vorsitzender der Oberbergischen Koordinierungsstelle Ausbildung, nach den Ursachen der Ausbildungsmisere.

Herr Holberg, woran liegt es, dass viele junge Leute sich nicht für eine Ausbildung in einem oberbergischen Betrieb entscheiden wollen?

Holberg: Dass es zu wenige Bewerberinnen und Bewerber gibt, liegt zum einen am demografischen Wandel. Es gibt immer weniger junge Leute für den Ausbildungsmarkt. Worüber wir vor zehn Jahren gesprochen haben, findet heute statt. Zudem zeigt sich, dass viele Schülerinnen und Schüler zum Ende ihrer Schullaufbahn bei der Zukunftsplanung uninformiert, verunsichert und hilflos sind.

Heitz: Den jungen Leuten geht es wie in einem Restaurant, das eine zu große Speisekarte hat: Wegen der vielen Optionen können sie sich nicht entscheiden.

Jonen: Man erlebt eine regelrechte Reizüberflutung. Ausbildung, Studium, Duales Studium, Auslandsjahr – das breite Angebot kann einen überfordern. So war es bei mir jedenfalls.

Heitz: Wir beide haben uns dann erst einmal für Studiengänge entschieden, die noch keine berufliche Festlegung für die kommenden 20 Jahre bedeuten.

Holberg: Ich glaube, da sind wir schon beim Kern des Problems. In vielen Elternhäusern hören die Schulabgänger: Ohne Studium kannst Du nichts werden. Dabei gibt es in Deutschland mit der Dualen Ausbildung, die die Lernorte Betrieb und Berufsschule kombiniert, einen hervorragenden Berufseinstieg. Die Ausbildung ist nur der Anfang. In Deutschland kann man als gelernter Installateur immer noch Arzt werden.

Ausbildungsmarkt in Not

Wilfried Holberg (67) war von 2014 bis 2020 Bergneustädter Bürgermeister, zuvor war er in der Wirtschaftsförderung des Oberbergischen Kreises tätig. Im Februar 2022 ist er zum ehrenamtlichen Vorsitzenden der Oberbergischen Koordinierungsstelle Ausbildung (OK Ausbildung) gewählt worden. Die Koordinierungsstelle hat sich 2006 das Ziel gesetzt, die Chancen der Schulabgänger auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern. Schule und Wirtschaft sollen enger verzahnt, die Berufswahlkompetenz der Schüler soll verbessert werden.

Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer nennt Holberg „erschreckend“, zumal diese von den oberbergischen Mitgliedsunternehmen des Vereins „OK Ausbildung“ bestätigt würden. Noch nie war es demnach schwieriger für die Betriebe, geeignete Azubis zu finden. Mehr als vier von zehn IHK-Ausbildungsbetrieben konnten nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen – ein Allzeithoch. Und von diesen Ausbildungsunternehmen hat mehr als jedes dritte keine einzige Bewerbung erhalten. (tie)

Wie war es bei Ihnen selbst?

Holberg: Ich bin das beste Beispiel: Ich war Hauptschüler, habe später Vermessungstechniker gelernt und nach der Fachoberschule schließlich noch Geodäsie studiert.

Heitz: Ich war erst auf der Realschule und habe dort gelernt, mich in drei Sprachen zu bewerben. Nachdem ich aufs Gymnasium gewechselt bin, gab es so etwas nicht mehr. Die Schülerinnen und Schüler wurden auf ein Studium vorbereitet.

Jonen: Auch an meinem Gymnasium haben die Lehrer vorausgesetzt, dass man studiert.

Zugleich steigt seit vielen Jahren der Anteil der Abiturienten unter den Schulabgängern. Sind also die Lehrer schuld?

Holberg: Nein, so würde ich es nicht ausdrücken. Die Lehrer haben genug zu tun, sie müssen ja heute oft noch Teile der Erziehungsarbeit der Eltern übernehmen. Das Problem ist wohl eher, dass die Gymnasien so ausgelegt sind, nur auf ein Studium vorzubereiten. Als Bürgermeister habe ich einmal in einer Rede vor den Abiturienten für die Duale Ausbildung geworben. Das hat damals nicht jedem gefallen. Man muss aber doch berücksichtigen, dass 45 Prozent der Arbeitsplätze in Oberberg zum produzierenden Gewerbe gehören und es dort die besten beruflichen Perspektiven gibt! Dort entsteht ein großes Fachkräftedefizit, wenn die Babyboomer in Ruhestand gehen. Natürlich kann man auch gleich studieren, wenn man gute Gründe hat. Hauptsache, man trifft eine souveräne, gut informierte Entscheidung. Entscheidend ist die Antwort auf die Frage: Was verschafft mir Zufriedenheit?

Jonen: Die Berufsbildung sollte auch im Gymnasium zum Lehrplan gehören.

Heitz: Ich glaube, dass es den Schulabgängern helfen würde, wenn sie die Betriebe besser kennen gelernt hätten.

Holberg: Das ist sicher richtig. Deshalb gibt es zum Beispiel den Berufswahlparcours für die achten bis zehnten Klassen, auf dem sich die örtlichen Unternehmen mit ihren Berufsbildern vorstellen. Und danach bietet sich natürlich ein Praktikum an.

Ein Praktikum verschafft Einblick

Heitz: Nach den ersten Wochen hier in der Redaktion habe ich ein viel realistischeres Bild vom Journalismus gewonnen.

Holberg: Die schlechteste Lösung ist, wenn jemand aus Ratlosigkeit eine Fachschule nach der anderen besucht. Denn dann besteht die Gefahr, dass er am Ende für den Arbeitsmarkt komplett verloren geht.

Auf die jungen Leute zu schimpfen, hilft ja nicht weiter. Was können die Unternehmen besser machen?

Heitz: Viele Personalchefs formulieren sehr hohe Anforderungen.

Jonen: Ich hatte in der Schule nicht so gute Noten in Mathe. Dann hat man bei vielen Lehrstellen schon schlechte Karten. Ich habe mich als Tourismuskauffrau beworben und bin abgelehnt worden.

Holberg: So wie ich Sie hier erlebe, hätte ich Sie auch mit einer schlechten Mathenote eingestellt. Mit dieser Nase-hoch-Attitüde haben die Unternehmen heute keine Chance mehr. Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Inzwischen müssen sich die Unternehmen bei den Schülern bewerben und nicht mehr umgekehrt. Aber diese Zäsur fällt vielen nicht leicht. Kleinere und mittlere Unternehmen sind oft schon überfordert bei ihren Bemühungen, die junge Leute über die digitalen Medien zu erreichen.

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Was machen die großen Unternehmen besser?

Holberg: Ich weiß von einer Firma, die auf ihren üblichen Einstellungstest verzichtet hat, weil sie fürchtete, dass auch die an sich die geeigneten Bewerber wegen ihrer Defizite nach dem Corona-Lockdown durchfallen könnten. Stattdessen wurden die Kandidaten mit praktischen Übungen und Gesprächen getestet. Und gegebenenfalls bekommen sie zusätzliche Unterstützung während der Ausbildung.

Jonen: Prüfungen sagen nicht unbedingt aus, ob jemand geeignet ist oder nicht. Das war auch schon vor Corona so.

Holberg: Unternehmen, Schulen und Eltern müssen dazu beitragen, dass die Duale Ausbildung in der öffentlichen Wahrnehmung den gleichen Stellenwert erhält wie ein Studium. Noch einmal: Die Duale Ausbildung muss nicht das Ende einer Karriere sein, sondern ist in den meisten Fällen der Anfang.