Kampf gegen rechte Gewalt„Oberberg ist bunt, nicht braun!“ wird 15 Jahre alt
Gummersbach – Ein Tier hat wohl auf dem Balkon einen Blumentopf umgestoßen. Gudrun Martineau dachte sich nichts dabei, als es in der Nacht klirrte. Erst am Morgen entdeckte sie die Scherben auf dem Wohnzimmerfußboden. Und den Stein, der durch Fenster geflogen und auf dem Plattenspieler gelandet war.
Der nächtliche Anschlag 2019 war nicht der erste ungebetene Besuch, den Martineau und ihr Ehemann Gerhard Jenders bekommen haben. Jahre zuvor hatten Unbekannte die Haustür mit einem Hakenkreuz beschmiert und ein rechtsextremes Plakat auf ihr Auto geklebt. Die 67-jährige Gummersbacherin gibt zu, dass ihr „etwas mulmig“ wurde. „Aber ich lasse mir keine Angst machen“, sagt sie ruhig. „Das ist ja, was sie beabsichtigen.“
Anlass vor 15 Jahren war Pro NRW
Des Beweises, dass von den Rechtsextremen Gefahr ausgeht, hätte es für Martineau und Jenders nicht bedurft. 15 Jahre ist es nun her, dass sie am Esszimmertisch ein paar Bekannte versammelten und den Grundstein für die Initiative „Oberberg ist bunt, nicht braun!“ legten. Dass die rechtsextreme Partei Pro NRW ihre Kandidatur bei den Kommunalwahlen in Oberberg angekündigt hatte, habe damals den Anlass gegeben, erinnert sich Gerhard Jenders.
„Wir dachten: Wir müssen etwas tun.“ Es folgten eine erste Veranstaltung im Bruno-Goller-Haus und eine Aktion zum 70. Jahrestag der Machtübertragung an Adolf Hitler. Vereinszweck ist laut Satzung „die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens sowie die Mobilisierung des öffentlichen Bewusstseins gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt“.
Zahl der rechtsradikalen Strafanzeigen ist gesunken
Wie groß ist das Problem in Oberberg? Hat sich die Lage verändert? Laut Kriminalstatistik ist die Zahl der rechtsradikalen Strafanzeigen gesunken, von 72 im Jahr 2018 auf 21 im Jahr 2021. Die einst aktiven „Freien Kräfte Oberberg“ seien von der Bildfläche verschwunden, berichtet Jenders. „Aber heute gibt es die Populisten von der AfD, und es ist unklar, wie viele Rechtsradikale es in deren Reihen gibt.
Dazu sind Reichsbürger und Selbstverwalter mit antisemitischen Tendenzen gekommen.“ Manche dieser Leute hätten lange Haare und betrieben Biolandbau, weiß Jenders . „Wir müssen aufklären, damit neue und alte Nazis keinen Zulauf bekommen.“ Auch die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sehen die beiden kritisch, weil dort Rechtsextreme mitmarschierten.
Existenzberechtigung nicht verloren
Hat der Verein etwas bewirkt? Gerhard Jenders zögert. „Man weiß ja nicht, wie es sich entwickelt hätte, wenn wir nichts gemacht hätten.“ Ein Meilenstein, der auf eine Initiative von „Oberberg ist bunt“ zurückgeht, war sicher der Kreistagsbeschluss zur Gründung des „Netzwerks gegen Rechts“. 2011 waren die NSU-Morde bekannt geworden und es war eine Todesliste aufgetaucht, auf der auch oberbergische Politiker standen. Mit dem Netzwerk, zu dem heute 80 Institutionen gehören, sei die kritische Perspektive breiter worden, sagt Martineau. Der Verein habe seine Existenzberechtigung dennoch nicht verloren, weil er freier, flexibler und ohne politische Rücksichten arbeite.
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Gudrun Martineau leitete bis 2020 die Koordinierungsstelle des Netzwerks. Zuvor war sie Vorsitzende des Vereins. Heute liegt diese Aufgabe bei ihrem Mann. Ist es ein Problem, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus zur Familienangelegenheit geworden ist? „Es ist nicht gut, wenn das Thema zu Hause nicht aufhört“, sagt sie mit Blick auf ihren Mann. Jenders lächelt und gibt zu: „Ich muss darauf achten, dass ich auch die anderen Vorstandsmitglieder an den Entscheidungen beteilige.“
Für Gudrun Martineau ist die kritische Haltung gegen Rechtsextreme kein „linker“ Aktivismus, viele Jahre lang hat sie beruflich für die liberale Naumann-Stiftung gearbeitet. Und obwohl Gerhard Jenders durchaus eine linke politische Vergangenheit hat, zitiert er auf die Frage nach seinem Motiv Marlene Dietrich: „Aus Anstand.“