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Verhalten der Fahrer oft „katastrophal“Rettungsgasse ist überlebenswichtig

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Um am Unfallort helfen und womöglich Leben retten zu können, brauchen die Rettungskräfte eine freie Zufahrt. Doch auch bei Unfällen auf der A4 hängen Notarzt oder Feuerwehrleute oftmals im Stau fest.

Oberberg – Die Scheibenwischer schmieren immer neue Schlieren auf der Frontscheibe, der Gegenverkehr blendet, Nebel und Schneeflocken behindern in der Dunkelheit zusätzlich die Sicht auf die Straße. Das Thermometer zeigt null Grad. Schmieriges Laub, Schlaglöcher oder Eisplatten sind unter der Schicht Schneematsch kaum zu erkennen. Nicht auszudenken, wenn hinter der nächsten Kurve ein Ast auf der Straße liegt oder ein Reh die Fahrbahn kreuzt. Mit diesen Verhältnissen sehen sich derzeit Autofahrer am Abend oder in der Nacht auf den oberbergischen Landstraßen konfrontiert.

Bei ähnlichen Witterungsbedingungen ist kürzlich ein Autofahrer auf der A4 hinter der Abfahrt Eckenhagen kurz vor dem Kreuz Olpe-Süd tödlich verunglückt. Nach einem Überholvorgang auf schneeglatter Straße ist sein Wagen beim Wiedereinscheren in den Graben geraten und hat sich dort mehrfach überschlagen, bis er auf dem Dach liegenblieb. Obwohl Zeugen mit dem Notruf sofort einen großangelegten Rettungseinsatz einleiteten, gelangte der Notarzt erst relativ spät zu dem Schwerverletzten. Der Mann starb später im Krankenhaus.

Erste Hilfe trotz Corona

Vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ist bei der Leistung von Erster Hilfe jetzt in Corona-Zeiten auch die Sicherheit des Ersthelfers zu berücksichtigen. So sei es notwendig, sagt Dr. Ralf Mühlenhaus, den Eigenschutz mit Handschuhen und möglichst einer FFP2-Maske zu sichern. Bei einem Verletzten ohne Atmung sei die Herzdruckmassage, die den Kreislauf in Gang hält, wichtiger als eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Er möchte, dass sich Ersthelfer sicher fühlen, um Erste Hilfe leisten zu können: „Wer eine FFP2-Maske trägt, hat sich ausreichend geschützt. Selbst bei einem verletzten Infizierten geht dann das Infektionsrisiko gegen Null.“ (kup)

„Das war nicht die Schuld des Notarztes“, sagt Einsatzleiter Georg Neumann, Chef des Reichshofer Feuerwehr-Löschzugs Eckenhagen-Hespert. Vielmehr habe sich die Rettungsgasse nur sehr schlecht formiert. Neumann war einer der ersten am Einsatzort. Er sorgte nach einer Schnellrettung zusammen mit dem dann eintreffenden Rettungsdienst durch Beatmung und Herzdruckmassage für den Kreislauf aufrechterhaltende Maßnahmen, um das Überleben des Schwerstverletzten bis zum Eintreffen des Arztes zu sichern.

Doch der steckte im Stau, der sich mittlerweile mehrere Kilometer lang bis zur Auffahrt Eckenhagen gebildet hatte. Die Autofahrer hatten keine durchgehende Rettungsgasse geschaffen, die der Notarzt hätte nutzen können. Nach Angaben der Polizei hätten vor allem mehrere Lastwagen die Durchfahrt verhindert, die Reaktion der Autofahrer sei durchweg besser gewesen. „Die Feuerwehr und der Rettungswagen sind anfangs noch ganz gut durchgekommen“, schildert Neumann. „Bis wir die Autobahn sperren mussten, hat sich der Verkehr einspurig an der Unfallstelle vorbei gedrängelt.“

Dr. Ralf Mühlenhaus, medizinischer Leiter des Oberbergischen Rettungsdienstes, nimmt diese bedenkliche Situation zum Anlass, noch einmal auf die elementare Bedeutung der Rettungsgasse hinzuweisen. Bevor darauf seit etwa zwei Jahren in Medien und durch Hinweisbanner an den Brücken verstärkt aufmerksam gemacht wird, sei das Verhalten der Autofahrer ganz „katastrophal“ gewesen. Oft sei der Rettungsdienst nicht durchgekommen, da manche Fahrzeugführer von Blaulicht und Martinshorn paralysiert einfach stehengeblieben seien. Andere hätten die freie Gasse gar zum Überholen genutzt.

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Zwar habe sich die Lage seitdem gebessert, doch immer noch bestehe Aufklärungsbedarf. Besonders appelliert Mühlenhaus an die Lkw-Fahrer, den Rettungsfahrzeugen eine freie Durchfahrt zu gewährleisten. Denn es könne immer sein, „dass da vorne einer mit dem Leben ringt und dann entscheidet jede Sekunde über Leben und Tod“. Dr. Mühlenhaus appelliert an alle Autofahrer, sich in die Lage eines Verunglückten zu versetzen: „Bei schwerwiegenden Verletzungen wie etwa arteriellen Blutungen oder Bewusstlosigkeit ohne Atmung verschlechtern sich die Überlebenschancen mit jeder Minute – oder es entstehen bleibende Schäden.“

Besonders schlimm sei es, wenn es mehr als einen Verletzten gebe und die Unfallstelle sich auf einer größeren Strecke verteile. Dann sei zusätzliche Orientierungszeit notwendig, um den am schwersten Verletzten zuerst helfen zu können. Diese Zeit dürfe nicht wegen einer blockierten Rettungsgasse verloren gehen.