„Tuppes vum Land“ im InterviewEs gibt auch noch richtig schönen Karneval
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Loope – Als Tuppes vum Land feiert der Looper Jörg Runge (46) große Erfolge im Karneval. Seit dem ersten Vorstellabend 2006 in Hürth ist er durchgestartet. Der Karneval ist das große Hobby des gelernten Betriebswirts, der bei der Arbeitsagentur in Bergisch Gladbach als Qualifizierungsberater und Seminartrainer arbeitet. Sein Engagement im Karneval geht weit über seine Auftritte hinaus. Darüber sprach Andrea Knitter mit dem Redner.
Sie haben die Idee zu einer Interessengemeinschaft (IG) Wortbeitrag, die dafür sorgen soll, dass die Rede im Karneval weiterhin Bestandteil der Sitzungen bleibt. Was ist die Idee dahinter?
Die IG soll in erster Linie den Fortbestand des Redebeitrages im Rheinischen Karneval sichern, unterstützen und fördern. Viele Vereine veranstalten inzwischen Sitzungen, die diesen Begriff nicht mehr verdienen, weil das Programm zum größten Teil nur noch aus Musiknummern besteht und beinahe reflexartig behauptet wird, das Publikum wolle das so. Das sehe ich anders.
Sie ist das Salz in der Suppe auf jeder Sitzung und hat nach wie vor einen hohen Stellenwert und wird von einem Großteil des Publikums weiterhin sehr geschätzt und gewünscht. Allerdings glaube ich, dass die Veranstaltungen zielgruppengerechter werden müssen. Soll heißen: Wer Party will, soll Party bekommen, wer eine echte Sitzung möchte, soll aber ebenso auf seine Kosten kommen.
Welche Rolle soll dabei die IG Wortbeitrag spielen?
Sie kann kreative Ideen entwickeln und unter anderem Vereine auch dabei unterstützen, neue Formate wie Flüstersitzungen oder Kneipensitzungen zu etablieren. Da neue Formate zumeist in einem kleineren Rahmen erprobt werden, ist meine Philosophie die, dass man den Vereinen auch in punkto Gage entgegenkommt, damit es finanzierbar bleibt. Das habe ich persönlich – so wie viele meiner Kollegen – aber auch in der Vergangenheit schon so gehandhabt. Wer 1000 Gäste im Saal hat, kann anders kalkulieren, als der, der bei 250 Gästen schon ausverkauft ist.
Wie war die Reaktion auf Ihren Vorstoß?
Es ist ordentlich Bewegung in die Diskussion gekommen, und das ist gut so.
Gibt es überhaupt noch genug gute Redner im Karneval, und was macht den Erfolg eines Redners aus?
Die gibt es definitiv, und es lohnt sich auch, diese zu buchen. Im Karneval hat ein Redner dann Erfolg, wenn er den Nerv seines Publikums trifft. Und zwar von der ersten Sekunde bis zur letzten. Bei einem 20-minütigen Auftritt muss du eine starke Bühnenpräsenz haben und bekommst nichts geschenkt. Wenn du gerade den Gürzenich abgerissen hast, darfst du dir darauf im nächsten Saal nichts einbilden, sondern musst wieder von vorne aufbauen. Außerdem brauchst du ein dickes Fell und darfst nicht in Selbstzweifeln versinken, wenn beispielsweise Brings vor dir gespielt haben und erstmal 50 Frauen den Saal verlassen, nur um mit däm Pitter ein Selfie zu machen.
Wie sehen Sie als Redner die Entwicklung des Karnevals?
Meine Sichtweise als Redner hat mich ja auf die Idee der IG Wortbeitrag gebracht. Ich denke, dass man in den vergangenen Jahren viele Sitzungsgäste verloren hat, die sich inzwischen erst gar keine Eintrittskarte mehr kaufen, weil es ihnen in den Sälen zu laut und auch zu beliebig geworden ist. Diese Menschen haben den Spaß am ursprünglichen Karneval ja nicht verloren, finden aber häufig nicht mehr das geeignete Format für sich. Ich glaube auch, dass dem Karneval wieder etwas mehr Kultur gut zu Gesicht stünde. Mit einem Sitzungsformat, welches zu 80 Prozent aus Musiknummern besteht, lockt man eine Zielgruppe in die Säle, die sich genau von einem solchen Format angesprochen fühlt. Alle anderen, die gerne eine traditionelle Sitzung erleben möchten, mit einer ausgewogenen Mischung aus Musik, Tanz und Rede, gehen auf diesem Weg verloren. Und mit ihnen unser Fastelovend.
Eklat um Bernd Stelter
Am Freitagabend hatte eine Frau bei Redner Bernd Stelter die Bühne gestürmt und ihn wegen der Verhonepipelung von Doppelnamen verbal zur Rede gestellt. „Ich habe direkt an das Attentat auf Oskar Lafontaine 1990 in der Mülheimer Stadthalle gedacht“, sagt Jörg Runge. Es könne jetzt aber auch keine Lösung sein, vor der Bühne Security zu positionieren oder jede Rede bis ins einzelne zu überprüfen, ob sich jemand auf den Schlips getreten fühle, führt der Redner aus. Vor allem aber hofft er, dass nach all der Öffentlichkeit für die Frau, das Bühnestürmen nicht zum Volkssport werde. (ank)
Wer bestimmt darüber?
Ich bin davon überzeugt, dass das, was in den Sälen passiert, eng verknüpft ist mit der Frage, welche Kultur und Haltung die jeweilige Karnevalsgesellschaft hat. Setzt man auf Remmidemmi, wird man genau das bekommen und darf sich nicht wundern, wenn das Publikum nur noch auf den Stühlen steht. Und schon gar nicht darüber, dass die einzigen noch verbliebenen Redner kein Gehör mehr finden.
Vom Festkomitee Kölner Karneval kommen die Forderungen, dass Tanzcorps bei den Sitzungen ebenso dabei sein müssen wie Redner, um den traditionellen Karneval hoch zu halten. Muss der traditionelle Karneval gerettet werden?
Diese Forderungen begrüße ich ausdrücklich und ich habe auch selbst noch mal das Qualitätssiegel ins Gespräch gebracht, welches schon vor einiger Zeit diskutiert wurde. Der Kunde, sprich der Sitzungsgast, soll wissen, was er von einer Veranstaltung erwarten darf. Wenn auf einer Sitzung zum Beispiel das Prädikat „echt kölsch“ klebt, dann sollte auch „echt kölsch“ drin sein. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Party und denke auch, dass man das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Aber der Partycharakter hat einfach überhandgenommen. Über den Straßenkarneval müssen wir an der Stelle gar nicht erst reden. Oder vielleicht doch und gerade deshalb?! Was sich an den tollen Tagen abspielt, hat mit Karneval nicht mehr viel zu tun. Daher beantworte ich Ihre Frage, ob der traditionelle Karneval gerettet werden muss, mit einem klaren Ja.
Gibt es dazu noch weitere Vorschläge von Ihnen?
Ich meine, dass man noch mehr für den Nachwuchs tun muss. So könnte es doch zu einer schönen Einrichtung werden, wenn die jeweils erste Programmnummer einer Sitzung dem Nachwuchs gewidmet wäre, egal ob Musik, Tanz oder Rede. Auf diese Weise ließen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der Veranstalter bekäme einen günstigen Programmpunkt und dürfte sich plakativ „Nachwuchsförderung“ auf die Fahne schreiben. In etwa so wie Handwerksbetriebe, auf deren Tür das Logo prangt „Wir bilden aus“.
Sie standen bei der Prinzenproklamation in Köln auf der Bühne, treten bei allen großen Gesellschaften auf, aber eben auch beim Seniorenkarneval in Lindlar. Brauchen Sie die Erdung im heimischen Karneval?
Ich finde es sehr wichtig, dass man seine Wurzeln nicht vergisst und sich daran erinnert, wo man mal angefangen hat. Ich finde zudem, dass der Karneval eine hohe soziale Verantwortung trägt. Viele Senioren haben nicht mehr die Möglichkeit, eine große Sitzung zu besuchen. Entweder macht die Gesundheit nicht mehr mit oder die Rente reicht nicht, um sich eine teure Eintrittskarte zu kaufen. Vor allem aber macht es Spaß. In Lindlar bin ich schon vor 15 Jahren aufgetreten und meine „Gage“ hat sich seitdem nicht geändert.
Als man mich damals fragte, was ich für meinen Auftritt nehmen würde, habe ich geantwortet, dass ich gerne trockenen Rotwein trinke. Und so handhabe ich es mit dieser Veranstaltung heute noch.
Wie groß sind denn die Unterschiede zwischen den Sitzungen im Oberbergischen und in Köln?
In Köln finden an einem einzigen Abend so viele Sitzungen statt wie im gesamten Oberbergischen an zwei Wochenenden. Die Säle sind größer und das Bier teurer. Sofern es überhaupt Bier gibt und kein Weinzwang besteht. Von der Stimmung her stehen die oberbergischen Sitzungen den Kölner Veranstaltungen aber in nichts nach. Und so freue ich mich schon sehr darauf, in der kommenden Session wieder auf der Prunksitzung meiner Heimat-Gesellschaft, der KG Närrische Oberberger, zu Gast zu sein und auch sehr auf meinen Auftritt beim Ründerother Karnevalsverein.
Woher kommen Ihre Ideen?
Die besten Geschichten schreibt das Leben, und es ist die Aufgabe eines Redners, aufmerksam und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. In diesem Jahr habe ich mich sehr am Kölner Sessionsmotto „Uns Sproch es Heimat“ orientiert. Mein Anspruch ist es, keine Witze zu erzählen, sondern der Gesellschaft ein wenig den Spiegel vor die Nase zu halten.
Gibt es immer nur eine Rede?
In dieser Session bin ich tatsächlich mit zwei unterschiedlichen Reden unterwegs, die ich manchmal auch einfach kombiniere. Welche ich davon nehme, entscheide ich oft erst auf dem Weg zur Bühne. Daher hat es mich besonders gefreut, dass ich für meine urkölsche Version am vergangenen Sonntag bei der Sitzung der Große Kölner von 1882 von Sitzungspräsident Dr. Joachim Wüst mit der Präsidentenfeder für die beste Rede der Session ausgezeichnet wurde.
Woher nehmen Sie die Ideen?
Ich sammle das gesamte Jahr über Ideen. Häufig sind es nur einzelne Worte oder Redewendungen, die mich irgendwie faszinieren. Daraus wird dann wie in diesem Jahr das kölsche Chinesisch „Ding Sching, ming Sching“.
Wie halten Sie sich fit, um eine so lange Session wie die aktuelle zu schaffen?
In der Session braucht man sowohl körperliche als auch mentale Fitness. Ich treibe gerne Sport, bin mit dem Rennrad oder Mountainbike unterwegs oder schnüre die Laufschuhe. Besonders wichtig erscheint es mir jedoch, dass man sich trotz allen Trubels Zeitfenster schafft, um zwischendurch auch mental die Reset-Taste zu drücken. Neulich hatte ich zum Beispiel an einem Montag auftrittsfrei. Da habe ich den kompletten Tag im Neptun-Bad in Ehrenfeld verbracht und mehrere Saunagänge absolviert. Ruhe und Stille sind dann ein großer, aber auch sehr wohltuender Kontrast. Zwischendurch habe ich gelesen, einen leckeren Salat gegessen und auf der Dachterrasse ein Nickerchen in der herrlichen Frühlingssonne gehalten. Danach fühlte ich mich wie neugeboren und hatte schon wieder Lust auf den Gürzenich.
Wann haben Sie in der Session Ihren letzten Auftritt?
Meinen letzten Auftritt habe ich am Karnevalssonntag um 22 Uhr in Blankenheim in der Eifel.
Sind Sie dann urlaubsreif oder feiern Sie selber Karneval?
Rosenmontag werde ich dieses Jahr auf jeden Fall feiern und zwar bei der Kajuja in Köln. Dort gibt es im Dom-Forum für die Kajuja-Mitglieder eine geschlossene Gesellschaft, leckere Erbsensuppe und belegte Brötchen, Bier vom Fass – vor allem aus dem Glas, statt aus dem Plastikbecher. Und ganz wichtig: saubere Toiletten. Bis der Zoch kütt, wird unter Freunden und Karnevalisten gefeiert, dann geht’s raus auf die Tribüne.
Was mögen Sie am Rosenmontagszug?
Ich liebe den Kölner Rosenmontagszug. Er ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, meine Session noch einmal Revue passieren zu lassen. Wenn die Gesellschaften vorbeiziehen, erinnere ich mich gerne an meine Auftritte bei ihnen. An der Kajuja-Stimmung schätze ich sehr, dass man dort mit Kind und Kegel feiern kann und es ausgelassen, aber niemals ekelhaft alkoholisiert zugeht. Da gibt’s noch richtig schönen Karneval, statt Krawall.