- Beim TV Großwallstadt endet heute für Gudjon Valur Sigurdsson seine erste Saison als Trainer des VfL Gummersbach.
- Es gibt zwar rechnerisch noch eine Chance auf den Aufstieg, doch hat es der VfL nicht mehr in der eigenen Hand, sondern muss auf eine Niederlage des TuS N’Lübbecke hoffen.
- Über die abgelaufene Saison sprach Andrea Knitter mit dem 41-Jährigen.
Gummersbach – Mit welchen Erwartungen fahren Sie heute zum letzten Saisonspiel gegen den TV Großwallstadt?
Sigurdsson: Ich freue mich auf ein gutes Spiel. Großwallstadt gehört im Angriff zu den drei besten Teams der Liga. Sie spielen einen schnellen und guten Handball.
Schwingt da nicht Frust mit über den wahrscheinlich vergebenen Aufstieg?
Nicht mehr. Das hatte ich nach der Niederlage in Aue. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu bleiben. Natürlich bin ich enttäuscht, aber ich kann es eben auch nicht mehr ändern.
Glauben Sie noch an die kleine rechnerische Möglichkeit, dass Lübbecke gegen Ferndorf verliert und Ihr Team gegen Großwallstadt gewinnt und aufsteigt?
Natürlich ist im Sport alles möglich, doch ich erwarte es nicht. Trotzdem müssen wir mit einem Sieg die Voraussetzung schaffen, die bestmögliche Leistung auf die Platte bringen, um mit einem guten Gefühl aus der Halle zu gehen. Auch wenn wir nicht aufsteigen.
Wie erklären Sie es sich, dass Ihre Mannschaft stark in die Saison gestartet ist, souverän antrat und bis zum Jahreswechsel nur ein Spiel verloren hatte, dann nach der WM-Pause aber nicht mehr so richtig in Tritt kam?
Wir sind eigentlich gut ins neue Jahr gestartet, haben gegen Aue, Konstanz und auch Lübeck gewonnen. Doch dann kamen die Spiele gegen Fürstenfeldbruck, Rimpar und Ferndorf, die wir nicht verlieren durften. Da bin ich immer noch enttäuscht von der Leistung meiner Spieler und meiner eigenen. Denn ich verstehe mich als Teil der Mannschaft, die so aufgetreten ist.
Wo sehen Sie die Gründe?
Sie sind vielschichtig. So sind wir in der Breite nicht optimal besetzt und man kann sich fragen, was gewesen wäre, wenn Fynn Herzig, der eine starke Vorbereitung absolviert hatte, anschließend nicht nur in 15 Spielen angetreten wäre. Oder Alexander Hermann sich nicht so schwer verletzt hätte – oder auch Ellidi Vidarsson, der uns sechs Wochen gefehlt hat. Natürlich aber auch, was gewesen wäre, wenn Julian Köster nicht gekommen wäre. Er hat deutlich mehr gezeigt, als wir uns von ihm erhofft hatten, und es hat sich gezeigt, dass er trotz seines jungen Alters bereit ist, viel Verantwortung zu übernehmen. Es war keine einfache Saison. Aber mit Verletzten hatten auch andere Mannschaften zu kämpfen und das soll überhaupt nicht als Entschuldigung rüberkommen.
Spielen Sie da auf Corona an?
Durch Corona war die Saison in der Dritten Liga abgebrochen worden. Damit fehlte es den Nachwuchsspielern an Spielzeit. Die kann ich ihnen in der Zweiten Liga nur begrenzt geben. Nehmen wir das Beispiel Julius Fanger, der gegen den HC Elbflorenz eine Superleistung gezeigt hat, die er gegen die HSG Konstanz nicht wiederholen konnte. Das gilt auch für Mathis Häseler, der nächste Saison noch einen Riesensprung machen wird, oder Tom Kiesler, der ein guter Abwehrspieler ist. Für sie wäre es gut gewesen, wenn die zweite Mannschaft angetreten wäre und sie 60 Minuten hätten durchspielen können. Dann hätten sie noch mehr Druck auf die anderen Spieler machen können.
Das alles erklärt aber nicht, warum die Mannschaft bis auf die knappe Niederlage gegen den TV Großwallstadt alle ihre Heimspiele gewonnen, auswärts aber sieben Spiele verloren hat.
Wir sind auswärts mental nicht stark genug. Man muss auswärts antreten wie in der eigenen Halle. Da hat mir oft bei meinen Spielern der Mut gefehlt. Nehmen wir das Spiel in Aue, da wurden alleine in der ersten Halbzeit mehrere freie Chancen vergeben. Gegen Konstanz haben wir alleine neun technische Fehler in der ersten Halbzeit gemacht. Da haben wir zwar trotzdem gewonnen, aber am Ende steigen die Mannschaften mit den wenigsten Fehlern auf, und das sind nicht wir.
Trotzdem hatten Sie mehr als gute Chancen auf den Aufstieg.
Mit den vielen Fehlern, die wir machen, sind wir aber keine Spitzenmannschaft. Ich habe das Gefühl, dass manchen Spielern nicht bewusst ist, welche Bedeutung der VfL Gummersbach hat. Was es bedeutet, hier zu spielen. Und das tut mir weh.
Sehen Sie die Gründe für die verlorenen Spiele vor allem im Angriff?
Ja, denn die Abwehr mit Timm Schneider, Tin Kontrec, Ellidi Vidarsson, Julian Köster, Alexander Hermann und dahinter Torhüter Matthias Puhle hat meist sehr gut funktioniert, das gilt auch für die zuletzt gewählte 3:2:1-Variante. Vorne vergeben wir zu viele freie Chancen und laden den Gegner zu Gegenstößen ein. Wir sind im Angriff zu langsam, zu statisch und der Mut, sich Würfe zu nehmen, hat in entscheidenden Situationen manchmal gefehlt. Auswärts ist unser Rückzugsverhalten nicht gut genug – auch das hat uns manchmal gefehlt. Daran müssen wir arbeiten, denn das Potenzial haben wir.
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Meinen Sie damit die jungen Spieler?
Nein! Sie können noch nicht die Hauptverantwortung tragen. Ich stelle mich vor sie, wenn sie Fehler machen, und hoffe, dass sie daraus lernen. Die älteren und erfahrenen Spieler tragen da die Verantwortung. Alles, was die jungen Spieler uns bringen, ist ein Bonus. Wenn sie Fehler machen, ist das ein Teil deren Entwicklung.
Wie ist Ihr Fazit nach einem Jahr als Trainer?
Im Nachhinein ist es einfach zu sagen, was man anders hätte machen können. Ich habe meine Entscheidungen so getroffen, wie ich sie zum jeweiligen Zeitpunkt für richtig gehalten habe. Aber ich habe auch meine Fehler gemacht und werde daraus lernen. Durch die Einschränkungen durch Corona war es nicht einfach, nicht nur weil die Fans fehlten. Alle haben gut mitgezogen, und ich bin da sehr zufrieden mit den Jungs. Wir waren zwar im Gegensatz zu anderen Mannschaften kaum von Quarantäne betroffen, außer dass unsere jungen Spieler öfter mal in Quarantäne mussten. Die Sorge vor einer möglichen Infektion belastet aber, alleine schon durch die vielen Tests. Wir haben auch gemeinsam diskutiert, was man im Rückraum besser machen kann. Mir hat das Jahr einen Riesenspaß gemacht, auch wenn ich jetzt akzeptieren muss, dass wir wahrscheinlich nicht aufsteigen. Man muss sich meiner Meinung nach hohe Ziele setzen und man wird die nicht alle erreichen. Wenn alle Ziele erreicht werden, sind die wahrscheinlich zu niedrig.
Bleibt nicht trotzdem die Frage, warum der VfL sich auswärts so schwer tut? Das ist ja kein neues Phänomen.
Stimmt. Wir haben auch vieles ausprobiert, sind schon am Tag zuvor gefahren, waren in einem Tageshotel oder haben unseren Athletiktrainer Johannes Scheidgen für Einheiten mitgenommen. Wir werden weiter daran arbeiten, und ich hoffe, dass es nächstes Jahr besser wird.
Wie blicken Sie auf die kommende Saison und die Neuzugänge?
Ich finde, da sind wir sehr gut aufgestellt. Aus unserer finanziellen Situation heraus brauchen wir hungrige talentierte Handballer, die noch unter dem Radar sind. Weltklasse können wir uns nicht leisten. Mit Torhüter Tibor Ivanisevic, Kreisläufer Stepan Zeman, Linksaußen Hakon Dadi Styrmisson und Szymon Dzialakiewicz für den rechten Rückraum haben wir uns schon gut verstärkt. Geschäftsführer Christoph Schindler, der in den letzten Jahren unglaubliche Arbeit geleistet hat, um den Club wieder finanziell gesund zu machen, Co-Trainer Anel Mahmutefendic, Akademieleiter Jörg Bohrmann und ich beobachten seit Monaten den Markt und versuchen Spieler zu finden, die uns verstärken können und gleichzeitig die Akademie, die uns auch für die erste Mannschaft in den letzten Jahren einige Spieler aus der eigenen Jugend gebracht hat, noch besser zu machen. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir noch ein oder zwei weitere Spieler verpflichten werden.
Wird die Zweite Liga durch die vier Absteiger aus der Bundesliga nicht viel stärker?
Sicher, aber wir müssen nur auf uns schauen. Ich arbeite sehr eng mit meinem Co-Trainer Anel Mahmutefendic zusammen. Wir haben einen sehr guten Athletiktrainer und Torwarttrainer. Ich bin sicher, wir werden den nächsten Entwicklungsschritt machen. Wir werden konstanter und abgezockter auftreten.