„Wollte Tod nicht akzeptieren“15-jähriger Bergneustädter berichtet vom Krieg
Bergneustadt – Er war neun, sein Bruder elf und seine kleine Schwester fünf, als das bis dahin gesicherte Leben der Familie zerbrach. Er hat alles aufgeschrieben, was er erlebt hat auf dem langen Weg in die Sicherheit Oberbergs. „Ich heiße Mounir Mohamad und ich bin ein Flüchtling aus Syrien. Ich erzähle dir meine Geschichte, meine Flucht aus Syrien bis nach Deutschland. Ich bin in Aleppo geboren. Wir hatten alles, mein Vater war Chef vom Verkehrsamt, meine Mutter Apothekerin. Damals konnte mein Leben nicht besser werden, ich musste mir keine Sorgen um irgendwas machen. Bis es kam. Die Proteste, anfangs friedlich, bis Waffen ins Spiel kamen.“
Mounir beschreibt die Situation in der Stadt, die sich immer mehr zuspitzt, den Tod des Vaters, die Kämpfe, die Schüsse, die auch die Fenster ihrer Wohnung treffen.
„Ich habe nicht geweint. Ich konnte und wollte nicht, wahrnehmen, dass sich mein Leben ändert. Ich wollte es nicht. Ein Soldat hat uns raus geführt. Es war an einer Kreuzung, die gefährlichste Stelle, die es in der Schlacht gab. Die eine Hälfte war von der Freien Armee eingenommen worden und die andere von unserer Regierung. Alles war sehr laut, Panzer, Bomben, Granaten, Schüsse, ich habe alles hautnah miterlebt, die Schreie von Menschen. Ein Kommandant sagte, wir müssten uns über die Straße in Sicherheit bringen, wenn der Panzer schießt. An dieser Stelle habe ich den Tod gespürt, es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Der Kommandant schreit ,Eins, zwei, drei, Feuer!’ Der Panzer schießt und meine Mutter, meine beiden Geschwister, meine Oma liefen, so schnell sie konnten, zur anderen Seite. Sie haben es geschafft.
Erster Fluchtversuch wird verhindert
Ich bin nicht gelaufen, ich hatte Angst, ich wollte meinen Tod nicht akzeptieren, wenn er kommt. Es wird wieder gezählt, der Panzer schießt, die zweite Gruppe läuft, doch einer wird vom Kreuzfeuer getroffen. Ich habe es mit eigenen Auge gesehen, seine Augen offen, das Blut wie es rauskommt. Ab dem Moment war ich komplett verloren. Ich konnte nichts mehr denken, ich war sprachlos, geschockt, ich hatte Angst. Ich wollte nur eins. Meine Familie. Der Panzer schießt. Ich war schnell wie nie zuvor. Jeden einzelnen Schuss habe ich hautnah gefühlt. Ein Schuss hat Haare von mir weggeschnitten, er hat fast meinen Kopf getroffen. Ich kam an, auf der anderen Seite. Ich habe nichts gefühlt, keinen Schmerz, nichts. Ich war innerlich zerstört, so etwas hatte ich noch nie erlebt.“
Mounir sucht und findet schließlich seine Familie. Er beschreibt einen ersten Fluchtversuch in die Türkei, der von Grenzsoldaten gewaltsam verhindert wird. Über qualvolle Stunden in einem Transporter bei schrecklicher Hitze, den Aufenthalt in einem Flüchtlingscamp, schließlich, nach einem ersten gescheiterten Versuch, die Bootsfahrt übers Meer Richtung Griechenland.
„Wir sind losgefahren mit dem Schlauchboot, wir sind die einzigen Kinder. Wir sind mitten im Wasser, es ist dunkel, sehr dunkel, zehn Uhr Nachts, windig und kalt. Der Motor ist kaputt, wir können uns nicht fortbewegen. Das Schlauchboot hat ein Loch, Wasser füllt sich langsam rein und die Stimmung ist erschreckend. In dem Moment kam es wieder, mein Tod-Gefühl. Ich habe es gefühlt und mir überlegt, will ich meinen Tod akzeptieren? Ich wollte es nicht, habe alles versucht, was helfen könnte.“
„Heute geht es mir gut“
Sie werden von einem norwegischen Schiff gerettet, flüchten weiter über Mazedonien, Serbien, landen schließlich mitten im Winter auf einem Autobahnparkplatz in Passau. Über ein Flüchtlingslager in München kommen sie nach Nümbrecht.
Mounir beschreibt, wie schwer es ist, sich zu integrieren. Von Mobbing und von Isolation, von Fremdheit und seinen heftigen Aggressionen, auch von der Hilfe, die er erhält bei der Verarbeitung seiner Erlebnisse.
„Heute geht es mir gut“, sagt er im Gespräch. „Ich bin aufgewacht. Wir wohnen in Bergneustadt in einem Haus mit Garten, ich habe deutsche Freunde und lerne, was man im Umgang mit Deutschen sagen und vor allem nicht sagen darf.“ Was das sein könnte? „Zum Beispiel fragt man auf keinen Fall, wie viel jemand verdient!“ Mounir besucht das Lindengymnasium in Gummersbach, spielt Handball und ist Schiedsrichter in der Nordrheinliga. „Ich möchte etwas zurückgeben“, sagt er.
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Seine Geschichte, so hofft er, kann mehr Verständnis für Geflüchtete bewirken. Deshalb hat er sie aufgeschrieben und „Danke, Deutschland“ genannt. „Deutschland ist meine neue Heimat“, schreibt Mounir. „Ich kann Verantwortung tragen, ich bin ein ganz normaler Mensch auf dieser Erde. Wir sind geboren, um miteinander zu arbeiten und nicht dafür, uns gegenseitig zu hassen.“
Die komplette Geschichte von Mounir Mohamad und weiterer Geflüchteter sollen demnächst in einer Broschüre zu lesen sein. Sie stehen schon jetzt im Internet. www.tdh-ag.de/oberberg