110 Millionen Tonnen Kohle liegen unter Lützerath. Ob sie überhaupt noch gebraucht werden, ist umstritten. Die NRW-Grünen stehen in der Kritik.
Wird die Kohle gebraucht?RWE, Politik, Protest: Darum geht es bei der Räumung Lützeraths
Die Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier galt als einer der größten, schwierigsten und teuersten der vergangenen Jahre für die NRW-Polizei. Mittwochmorgen ging es los.
Wie viele Polizeikräfte konkret im Einsatz waren, wollte der Polizeipräsident aus einsatztaktischen Gründen nicht sagen. Wie lange sich die Räumung hinziehen würde, war zunächst unklar, die Polizeikräfte seien zunächst für vier Wochen angefordert worden. Das sind die Hintergründe zum Konflikt um Lützerath.
Brauchen wir die Braunkohle, die unter Lützerath liegt, überhaupt noch?
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Die NRW-Landesregierung und RWE Power sagen, in der aktuellen Energiekrise könne man auf die Kohle unter Lützerath nicht verzichten. Weil das Erdgas aus Russland für Deutschland seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr zur Verfügung steht, haben sich das NRW-Wirtschaftsministerium und das Bundeswirtschaftsministerium mit RWE im Oktober darauf verständigt, kurzfristig mehr Braunkohlekraftwerke ans Netz zu nehmen. Darunter sind auch die beiden Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die ursprünglich Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, aber nun bis Ende März 2024 weiterbetrieben werden – mit der Option auf ein weiteres Jahr.
Im Gegenzug wird NRW 2030 und damit acht Jahre früher als geplant aus der Kohle aussteigen. Die Vereinbarung sieht auch vor, die noch zur Verstromung verfügbare Braunkohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf rund 280 Millionen Tonnen zu halbieren und fünf bis noch von der Umsiedlung zu erhalten.
Auf welcher Grundlage ist die Landesregierung zu der Erkenntnis gelangt, dass Lützerath nicht zu retten ist?
Das Wirtschaftsministerium hat dazu mehrere, nach eigenen Angaben unabhängige Gutachten in Auftrag gegeben. „Alle kommen zu dem Schluss, dass eine Landzunge oder Insellage der Siedlung Lützerath nicht zu rechtfertigen ist“, sagt Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne).
„Damit die Energieversorgung in diesem und im nächsten Winter gewährleistet werden kann, muss Lützerath geräumt und die Kohle darunter zur Verfügung gestellt werden.“ Die Kohlegegner kritisieren, dass die Gutachten alle auf Basiszahlen des RWE-Konzerns beruhen.
Hat RWE denn mit Zahlen belegt, warum Lützerath nicht zu retten ist?
Direkt nicht. RWE hat aber errechnen lassen, dass sich aus dem Tagebau Garzweiler II auch ohne Lützerath noch rund 170 Millionen Tonne Kohle gewinnen lassen. Das reicht nicht, sagt der Konzern. Man sei auf die 110 Millionen Tonnen angewiesen, die unter Lützerath liegen.
Stimmt das?
Schwer zu sagen. Mehrere Studien von Instituten, die den Kohlegegnern nahestehen, kommen zu einem anderen Ergebnis. Das Beratungsunternehmen Aurora Energy Research hat in einer Analyse des Energiemarkts herausgefunden, dass die Kohle unter Lützerath energiewirtschaftlich nicht mehr notwendig sei.
Die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin haben die Auswirkung der angekündigten Reaktivierung von Kohlekraftwerken sowie staatliche Pläne etwa für den Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Kohleausstieg untersucht.
Danach werden bis zum Ende der Kohleförderung in NRW noch maximal 271 Millionen Tonnen Braunkohle aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II gebraucht. „Dem gegenüber sind noch 300 Millionen Tonnen in den aktuell genehmigten Bereichen beider Tagebaue förderbar, ohne dass Lützerath zerstört werden muss“, erklärten die Forscher.
Durch die Schließung der Brikettfabrik in Frechen Ende 2022 fielen zusätzlich jährlich erhebliche Kohlemengen weg. Im Übrigen stünden die Kohlemengen unter Lützerath erst in drei Jahren zur Verfügung. Die Laufzeitverlängerung der beiden Kraftwerke ende aber spätestens im März 2025.
Die Klimaaktivisten behaupten, dass Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens auf dem Energiesektor verfehle, wenn Lützerath abgebaggert wird.
Prinzipiell gilt: Je weniger Braunkohle verbrannt wird, desto weniger CO₂ gelangt in die Atmosphäre. In den vergangenen Jahren hat Deutschland die Klimaschutzziele bei der Stromerzeugung verfehlt. Aber die Behauptung der Kohlegegner, es liege allein an der Kohle unter Lützerath, wenn Deutschland sein Budget überschreite, stimmt so direkt nicht. Der europäische Handel mit CO₂-Zertifikaten sorgt dafür, dass an anderer Stelle weniger Kohle verbrannt wird. RWE muss auf diesem Markt Verschmutzungsrechte kaufen, um die Kohle zu verbrennen.
Gibt es noch Bewohner in Lützerath, die in ihren alten Häusern leben?
Nein. Als letzter Bewohner hat der Landwirt Eckardt Heukamp im Oktober 2022 seinen Hof geräumt und an RWE übergeben, nachdem er im März vor dem Oberverwaltungsgericht Münster seinen Prozess gegen RWE Power verloren hatte. Der Bauernhof und zwei Hallen sind alles, was von der Ortschaft noch übriggeblieben ist. Das gesamte Dorf ist Eigentum von RWE und wird seit zweieinhalb Jahren von Klimaaktivisten und Umweltschützern besetzt gehalten.
Wie sehen die verbliebenen Bewohner der fünf geretteten Dörfer Keyenberg, Kuckum, Holzweiler, Ober- und Unterwestrich den Konflikt um Lützerath?
Sehr unterschiedlich. Es gibt mindestens zwei Strömungen. Die einen wollen sich vor allem auf die Zukunft ihrer Dörfer konzentrieren, in denen fast 90 Prozent der ursprünglichen Einwohner längst umgesiedelt. Andere sehen Lützerath wie den Hambacher Forst als Symbol der Klimabewegung und wollen es zu einem Dorf der Zukunft machen.