Zoë Ruge, Aktivistin der Letzten Generation, und der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach kamen in der Thomas-Morus-Akadmie zusammen.
„Macht keinen Spaß“Aktivistin trifft in Bergisch Gladbach auf Aachener Polizeipräsidenten
Die Bullen und die Klimakleber: Die einen sind davon überzeugt, zur letzten Generation zu gehören, die die Katastrophe noch abmildern kann, die anderen sind sich sicher, dass sich jeder an die Regeln zu halten hat, damit nicht am Ende das Recht des Stärkeren regiert. In der Bensberger Thomas-Morus-Akademie proben beide Seiten den Dialog. Ergebnis: Kein Konsens, aber viel Verständnis.
Auf der einen Seite der Bühne steht an diesem Abend der Aachener Polizeipräsident Dirk Anspach, bundesweit bekanntgeworden durch Polizeieinsätze im Rheinischen Braunkohlenrevier, im Hambacher Forst und in Lützerath. Auf der anderen Zoë Ruge, 23 Jahre alte Klima-Aktivistin aus Bonn. Zugeschaltet ist der Bonner Geowissenschaftler und Klima-Aktivist Professor Nikolaus Froitzheim.
Zwei zu eins, unfair? Nicht ganz. Der Saal ist voll mit Polizisten, die an einer Extremismus-Tagung teilnehmen (wir berichteten), und sie haben Verstärkung bekommen durch Aachener Bereitschaftspolizisten, die in Lützerath noch deutlich weiter vorne gestanden haben als der Polizeipräsident.
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Wissenschaftler Froitzheim, gerade mit Studierenden in der Türkei unterwegs („Wir sind nicht geflogen, sondern zwei Tage mit zwei VW-Bussen der Bonner Uni gefahren“), erklärt ganz unakademisch den Treibhauseffekt. Der entstehe, weil Treibhausgase zwar das Licht der Sonne durchließen, die Erdwärme aber nicht: „Man kann es sich vorstellen wie eine Heizung und eine Dämmung bei einem Haus. Die Heizung ist die Sonne, die Dämmung sind die Treibhausgase. Wenn Sie immer mehr Dämmung auf das Haus packen, wird es innen immer wärmer.“
Und da seien wir mittendrin, wie man an der Rekordtemperatur von 49,6 Grad in Kanada, geografisch auf demselben Breitengrad wie Boppard, feststellen könne. „Mit jedem Zehntelgrad wird es schlimmer.“ Das Tempo stelle auch eine Klimaanpassung in Frage: Wenn heute auf Borkenkäferbrachen solide Mittelmeereichen angepflanzt würden, könne man in hundert Jahren fragen, ob man nicht besser Kakteen gewählt hätte. Leider glaubten die Menschen lieber eine beruhigende Lüge als eine unangenehme Wahrheit. Er selbst habe das 28 Jahre lang, bis 2018, so gemacht, gesteht der Mittsechziger.
Aktivistin sieht Altersgruppe in der Pflicht
Aktivistin Zoë Ruge sieht nicht nur ihre Altersgruppe in der Pflicht, sondern alle, die, anders als Babys oder Ungeborene, heute handlungsfähig seien. Anders als alle anderen Krisen „geht diese Krise nicht vorbei“, was in ihren Augen auch die Legitimierung für Straßenblockaden und Aktionen an Kunstgemälden sei. Bei Blockaden sei sie jedes Mal nervös, aufgeregt und habe Angst: „Es macht keinen Spaß!“
Die Polizei werde vorab informiert, erscheine, löse den Protest auf und „trage oder schleife“ die Protestierer weg. Ruge stellt aber auch klar: „Unser ziviler Ungehorsam ist keine verzweifelte Tat, die uns gerade eingefallen ist, sondern ein Mittel der Wahl, da eine groß moralische Krise herrscht.“
Nach so viel großem moralischen Anspruch ist es Sache von Polizeipräsident Weinspach, die Diskussion zu erden. Moral dürfe nicht über das Recht gestellt werden. Blockaden seien juristisch als Gewalt definiert. Wenn der Verdacht der Nötigung oder gar des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Raum stehe, müsse die Polizei einschreiten.
Und dann gibt der den Grünen angehörende Polizeichef eine Kurzlektion in Sachen Gewaltenteilung: „Wir als Polizei entscheiden vor Ort nicht, ob vielleicht der Verdacht einer Straftat im Raum steht, wir das aber nicht verfolgen, weil die Menschen so nett sind oder das Ziel so verständlich ist.“
Würde die Polizei so handeln, würde sie den Rechtsstaat zerstören. Als politisch denkender Mensch füge er hinzu, dass der Klimakleber-Protest spalte. Am Ende werde nur noch über die „Protestform diskutiert und nicht mehr über die Inhalte“. Anspach: „Sie müssen die Menschen mitnehmen. Mit dieser Protestform tun Sie das nicht!“
Mitunter wird die Diskussion scharf, als etwa Froitzheim den Energiekonzern RWE als „verbrecherische Organisation“ brandmarkt oder die Polizisten vor der Frage ihrer Kinder und Enkel warnt: „Was habt Ihr eigentlich damals getan?“ Oder als Ruge auf Nachfrage erklärt, wie sie trotz eigener Friedfertigkeit in Lützerath den Polizeiknüppel zu spüren bekommen habe. „Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Damit haben Sie Kräfte gebunden, die woanders fehlten“, antwortet ihr ein Beamter, der sich damals mit linksextremen Gewalttätern hat herumschlagen müssen – und erntet Applaus.
Andererseits sind Sympathien für die Ziele der Klimaprotestierer zu spüren. Nicht einmal Tempo 130 habe der Koalitionsausschuss in dieser Woche endlich beschlossen, sagte etwa der Moderator, Kripo-Mann Hermann-Josef Borjans, kopfschüttelnd. Ein NRW-Beamter weist die Klimaprotestierer aber auch darauf hin, das mit jeder Grenzüberschreitung das Risiko wachse, dass ganz woanders so etwas nachgemacht werde – wenn etwa Rechte vor Geflüchtetenunterkünften aufträten.
Balsam für die Seelen der zwischen eigenen Sorgen um die Zukunft der Erde einerseits und das friedliche Zusammenleben andererseits hin und her gerissenen Beamten sind an diesem Abend versöhnliche Worte sowohl von Zoë Ruge als auch von Rudolph Froitzheim: Beide danken der Polizei dafür, dass sie so reagiere, wie sie reagiere.