Wechsel im Gladbacher RathausBürgermeister Lutz Urbach scheidet aus dem Amt
- Nach elf Jahren scheidet Urbach freiwillig aus dem Amt aus.
- Ind dieser Zeit zeigte der 54 Jahre alte Fast-Pensionär zahlreiche Facetten.
- Und mindestens zwei Mal führte Urbach die Stadt zu richtungsweisenden, guten Entscheidungen.
Bergisch Gladbach – Ein „Harmony“-Wohnmobil steht vor der Tür des scheidenden Gladbacher Bürgermeisters Lutz Urbach. Harmony, so heißt die Linie des Herstellers. Nach elf Jahren scheidet Urbach freiwillig aus dem Amt aus. Er hat auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Wollte es nicht noch einmal wissen. Wollte nicht mehr Bürgermeister sein.
Der Wahlkämpfer
„Ich wollte nie Bürgermeister werden“, sagte er vor kurzem im Gespräch mit dieser Zeitung. Am 21. Oktober 2009 wurde er es. Um das verstehen, muss das Zeitrad allerdings noch ein wenig nach hinten gedreht werden. Im August 2007 wurde dem Beigeordneten Urbach in Hennef der Stuhl vor die Tür gesetzt. Bis heute kann er nicht nachvollziehen, was da geschah.
In der Gladbacher CDU war damals kein geeigneter Kandidat greifbar, die Partei nach internen Querelen auf der Suche nach einem Gesicht – einem freundlichen, einem frischen Gesicht. Beide Seiten entschieden: Das passt. Anderthalb Jahre machte er Wahlkampf, holte sich die FDP ins Boot und wurde 2009 mit 50,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang gewählt. 2014 brachte er es im ersten Wahlgang auf 50,73 Prozent.
Der Entscheider
Einen dicken Brocken räumte Urbach direkt nach Amtsantritt aus dem Weg. Eine überdimensionierte Regionale 2010 stutzte er zurück. Das reine Zahlenspiel gelang, die Ausführung, das Pflaster in der Fußgängerzone, weniger. Rückblickend zeigte sich beim Umgang mit der Regionale 2010 eine Stärke von Urbach: Die großen Entwicklungen verstehen. Mindestens zwei Mal führte Urbach die Stadt zu richtungsweisenden, guten Entscheidungen.
Der Kauf der Belkaw-Anteile und der Kauf der Zanders-Grundstücke. In beiden Fällen brachte er den Rat geschlossen hinter sich. Auch die härtesten Urbach-Kritiker können ihm diese Erfolge nicht nehmen. Und über all die Urbach-Jahre hinweg wurde der Löwenanteil der städtischen Investitionen in Schulen gesteckt. In elf Jahren 110 Millionen Euro.
Der Politiker
Urbach selbst meint, dass er sich über all die Jahre im Umgang mit der Politik nicht verändert habe. „Ich bin mir treu geblieben.“ Dabei reagierte der Urbach der ersten Wahlperiode auf Kritik eher unsicher, nachdenklich – der Urbach der zweiten Wahlperiode zeigte sich, obwohl doch nun länger im Amt, häufiger dünnhäutig. Das Bürgermeisterbüro, sein engstes Team, wurde so etwas wie eine Wagenburg. Einer aus seinem Team formulierte es so: „Er braucht Nestwärme, was ist daran schlecht?“ Es dauerte, bis er sich in „seiner“ Stadt wirklich auskannte.
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Bienenfleißig war er unterwegs. Jeder Stadtteil, jeder Verein wurde abgegrast. Er hatte sein eigenes Koordinatensystem. Erstaunlicherweise hat eine Verwurzelung in die CDU nie stattgefunden. Jedenfalls nicht auf Kreisebene. Für kurze Zeit warf Urbach seinen Hut in den Ring, als es um die Nachfolge von Wolfgang Bosbach als Bundestagskandidat ging. Aber der Kreisverband zeigte Urbach die kalte Schulter. Hinter den Kulissen war schon Landrat Hermann-Josef Tebroke ausgewählt. Urbach zog zurück.
Der Bürgermeister
Dabei hätte die große Bühne für Urbach toll gepasst. Als während der Flüchtlingskrise im November 2015 der Bundespräsident Joachim Gauck nach Gladbach kam, da fuhr Urbach gemeinsam mit Gauck durch die Stadt, zeigte dem Präsidenten die Unterkünfte, berichtete von der Hilfsbereitschaft der Bürger. Da passte alles.
Genau wie wie bei seinem Besuch in Beit Yala anlässlich der Unterzeichnung der Städtepartnerschaft 2011. Der damalige Ministerpräsident des autonomen Palästinensergebietes, Salam Fayyad, war Urbachs Gesprächspartner. Für einen Moment war Urbach Botschafter Deutschlands. Karnevalisten waren häufig hin und weg ob seiner Auftritte bei der Prinzenproklamation.
Der Umstrittene
Aber das alles ist für einen Bürgermeister eine Art Kür. Die tagtägliche Aufgabe bestand auch für Urbach darin, Ansprüchen aus allen Richtungen gerecht zu werden. „Die Zahl derer, denen man nicht helfen konnte und die sauer sind, nimmt im Laufe der Jahre zu“, erklärt Urbach. Und über die Jahre sei der Ton ruppiger geworden. Das Internet biete für alle eine Plattform. Ein enger Parteifreund berichtet, man sei fast verrückt geworden, wenn sich Urbach tief in der Nacht bei Facebook Auseinandersetzungen um Nichtigkeiten geliefert habe. Insbesondere beim Flächennutzungsplan. Und auf welches Niveau er sich dabei begeben habe.
Urbach heute: „Ja, das stimmt. Es fällt mir unglaublich schwer, ungerechte Angriffe zu ignorieren.“ Vieles war auch tagesformabhängig. Die Proteste gegen die Verlagerung des Nicolaus-Cusanus-Gymnasiums kamen zu einem Zeitpunkt, als Urbach einen persönlichen Verlust zu verkraften hatte. „Da habe ich nicht souverän reagiert.“ Dass die CDU heute politisch so isoliert im Rathaus sitzt, geht auch ein stückweit auf Urbachs Kappe. Das neue Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP fand sich in Abgrenzung von Urbach zusammen. Dort hat er einen Spitznamen: Diva.
Der Pensionär
Urbach hat die Entscheidung nicht mehr zu kandieren, in der Familie, mit seiner Frau abgesprochen. „Es war im Kern eine Entscheidung darüber, welche Momente in einer dritten Kandidatur, in einer dritten Amtszeit überwiegen werden. Die schönen, die neuen Momente und die Herausforderung – oder doch eher die Knochenarbeit, der Ärger, die Routine.“ Was Urbach, der Pensionär, seinem Nachfolger hinterlassen hat, wird sich erst nach und nach herausstellen.
Klar ist, dass er große Baustellen übernahm und andere hinterlässt. „Bei der Digitalisierung müssten wir weiter sein“, sagt er. Die Verkehrsproblematik ist nicht gelöst. Der Verwaltungsaufbau soll seit Jahren geändert werden. Das neue Stadthaus steht auf der Kippe. Und Zanders – das Schicksal der Papierfabrik ist ungewiss. Urbach wird das als einfacher Bürger verfolgen. „Ich werde mich nicht im Rathaus blicken lassen und Abstand halten.“ Wohin es mit dem Harmony-Wohnmobil in nächster Zeit gehen wird, ist unklar. Covid-19 stört die Harmonie – sonst nichts.