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Fünf geschenkte JahreRüdiger Thomas wollte sterben – heute ist er froh, dass er lebt

Lesezeit 4 Minuten
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Dr. Dirk Hennesser (l.) und Rüdiger Thomas (r.) führten im Hospiz lange Gespräche. 

Bergisch Gladbach – Es war dieser Themenabend im Fernsehen, der Rüdiger Thomas aufgewühlt hat: Das Recht auf assistierte Selbsttötung, verhandelt vom Autor Ferdinand von Schirach unter dem Titel „Gott“. Der Fall: Ein 78-jähriger körperlich gesunder Mann möchte sterben, weil das Leben nach dem Tod seiner Frau den Sinn verloren hat. Er bittet seine Ärztin, ihm ein tödliches Medikament zu geben, diese weigert sich, der Fall kommt vor den Ethikrat. Am Ende des Abends stimmen die Zuschauer ab: Über 70 Prozent sind dafür, dem Mann das Medikament zu gewähren.

Rüdiger Thomas hat auch schon einmal an Suizid gedacht, mit Hilfe seiner Frau aktiv recherchiert. Das war vor fünf Jahren. Gerade ist er 80 geworden. „Und ich bin glücklich, dass ich es nicht getan habe,“ sagt er heute. „Diese fünf Jahre sind ein großes Geschenk für mich. Ich erlebe jeden Tag sehr bewusst als glückliche Fügung.“ Dabei lag sein Fall anders, man könnte sagen, dramatischer, existenzieller.

Thomas hat eine seltene Krebserkrankung

Der in Schildgen wohnende pensionierte Journalist und Herausgeber politischer Zeitschriften leidet an einer seltenen Krebserkrankung der Wirbelsäule, die aus klinischer Sicht nicht heilbar ist. 2015 hatte er bereits zahlreiche, teils schwer belastende Chemotherapien hinter sich, sein Körper war ausgelaugt. „Nach einem Sturz dann konnte ich mich überhaupt nicht mehr bewegen,“ erinnert er sich. „Nichts ging mehr, ich war quasi gelähmt, es war furchtbar. Ich war völlig mutlos und hatte große Angst davor, wie das Ende in Schmerzen sein würde. In dieser Situation kam der Wunsch bei mir auf, zu sterben.“ Die Familie kann ihn nicht mehr auffangen, will ihm auch nicht aktiv beim Selbstmord helfen.

Zu diesem Zeitpunkt ist Rüdiger Thomas bereits im Hospiz. Ein Sterben ohne Schmerzen, immerhin, so hofft er. Im Hospiz des Vinzenz-Pallotti-Hospitals in Bensberg trifft er auf Dr. Dirk Hennesser, damals einer der Leiter der Onkologie und Palliativstation. Der engagierte Mediziner nimmt sich Zeit für ihn. „Wir haben viel geredet über die Krankheit, über das Sterben,“ sagt Thomas. „Er hat mich ins Leben zurückgeholt.“

Neuer Lebensmut

Mit alternativen, weniger aggressiven Medikamenten wird der Patient eingestellt, eine intensive Physiotherapie begonnen. Nach wenigen Wochen ist er körperlich wieder kräftiger, kann aufstehen, laufen, essen und trinken. „Vor allem hatte ich wieder Lebensmut gefasst.“

„Wir reden hier nicht von einer Wunderheilung,“ betont Dirk Hennesser. Die Krankheit sei nicht heilbar. Aber dass sein Patient sich dennoch „geheilt“ fühlt, habe viel damit zu tun, „dass wir heute eine Vielzahl an schonenden Therapiemöglichkeiten haben, die den Körper nicht mehr so sehr belasten“. Die Zeiten der radikalen Chemokeule seien vorbei. Antikörper- und Immuntherapien sowie ein individualisierter Medikamentencocktail sind heute die Mittel der Wahl. So wenig wie möglich, so viel wie nötig, lautet Hennessers Devise, die Krankheit in Schach zu halten. Und eine „mutige Haltung des Abwartens“, wie der Onkologe es nennt.

Auch wenn das Hospiz weithin als „Endstation“ betrachtet wird: Jeder vierte Patient verlasse die Einrichtung noch einmal lebend, berichtet Hennesser. Gleichwohl ist Rüdiger Thomas ein Glücksfall. „Es war nicht absehbar, dass er sich so positiv entwickeln würde,“ gibt Dr. Hennesser zu. Aber dass er eine Chance hatte, das ist ihm wichtig. „Viele Patienten wissen gar nicht, welche Optionen sie noch haben. Darüber müssen wir sie aufklären, dazu sind wir Spezialisten da.“ Dirk Hennesser ist beides, renommierter Onkologe und Palliativmediziner – und psychologisch geschult.

Thomas hielt sein eigenes Buch in den Händen

„Es gibt nicht nur schwarz oder weiß im Leben,“ sagt er. Auch dazwischen gebe es noch ganz viel, das das Leben bis zum Schluss lebenswert mache, „wir müssen nur die Wege dahin finden“. Das gelte im übrigen auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen, beispielsweise Depressionen. „Deshalb kann ich es schwer ertragen, wenn wie in diesem Film derart theoretisch und alternativlos über den assistierten Suizid debattiert wird.“

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Rüdiger Thomas weiß, dass sein Leben irgendwann zu Ende gehen wird. „Aber ich habe keine Angst mehr davor. Ich weiß, dass ich gut begleitet sein werde.“ Am Tag seiner Entlassung aus dem Hospiz ist sein neuestes Buch erschienen. „Frauen in Deutschland“ heißt es, eine gesellschaftspolitische Recherche im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, für die der Redakteur viele Jahre gearbeitet hat. „Dass ich es doch noch fertig in den Händen halten würde, hätte ich nie gedacht.“ Er hat es allen Mitarbeitern auf der Station geschenkt.