Odenthaler AnwältinAnwohner klagen seit Corona immer häufiger gegen Lärm auf dem Land
Odenthal – Kann ein Misthaufen Kulturgut sein? Frühmorgendliches Hahnenkrähen gesetzlich geschützes „Sinnes-Erbe“? Und sollten Kirchenglocken wieder öfter und vor allem lauter läuten dürfen? Sabine Tretter hätte nichts dagegen, wenn das, was seit kurzem in Frankreich gilt, auch im Bergischen anwendbar wäre. Ländliche Gerüche und Geräusche, zu denen auch das Zirpen von Grillen, das Knattern der Traktoren, Kuhglocken oder Gülle-Gerüche zählen, müssen dort per Gesetz akzeptiert werden, weil sie als „Sinnes-Erbe“ gelten.
Demnach sind auch Lautäußerungen wie Muhen, Blöken, oder Meckern immaterielles Kulturerbe, das es zu schützen gilt. Das soll die Klagewut vornehmlich zugezogener Städter eindämmen, die nach Ansicht der Initiatoren „aufs Land ziehen und dort entdecken, dass Eier nicht auf Bäumen wachsen“. Mittlerweile gibt es auch entsprechende Initiativen in Deutschland.
„Lärm ist nicht zu unterschätzen, und kann krankmachend sein“
Worüber man sich so alles aufregen kann, weiß Sabine Tretter aus eigener Anschauung. Die Odenthalerin führt eine Anwaltskanzlei und ist überdies eine von zwei Schiedsfrauen in der Gemeinde. Da gibt es Menschen, die sich durch den frühmorgendlichen Gesang der Vögel gestört fühlen und die per Gericht dafür sorgen wollen, dass der Gockel von nebenan Stubenarrest bekommt, bis der heimische Wecker klingelt, oder Katzen nicht zusammen, sondern nur nacheinander in den Garten gelassen werden dürfen.
„Lärm ist nicht zu unterschätzen, und kann, wie Flug- oder Baustellenlärm, auch krankmachend sein, ist aber manchmal auch Empfindungssache“, hat die 55-Jährige festgestellt. Soll heißen: Wenn der Lieblingsnachbar morgens um 7 zur Motorsäge greift, wird das eher toleriert, als wenn derjenige, mit dem man in herzlicher Abneigung verbunden ist, am frühen Abend den Holzkohlen-Grill anräuchert.
Rhein-Berg: Seit Corona liegen die Nerven blank
Auch die eigenen Interessen spielen eine Rolle. So wird sich der normale Hundebesitzer eher nicht über bellende Vierbeiner beschweren, und der Biker weniger über die Geräusche vorbeifahrender heißer Öfen. „Ich bin früher auch gerne Motorrad gefahren“, sagt Tretter, „wenn ich zu Beginn der Saison wieder mehr Maschinen draußen höre, dann denke ich „hach, ist wieder Frühling.“
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Corona habe allerdings einiges dazu beigetragen, dass vielfach die Nerven blank liegen. „Plötzlich regt man sich über Dinge auf, die einen vorher nicht gestört haben und wird der Stress, den man im Alltag hat, darauf projiziert. Da ist dann der kleinste Pieps zu viel.“ Oder der Schrei eines Esels oder besagter Hahn. „Die Leute sagen dann, ich bin extra hierhin gezogen, damit ich meine Ruhe hab.“
Odenthalerin: Diplomatie ist nicht immer das Patentrezept
Die ist dann meistens eh dahin, denn wenn beispielsweise so ein Federvieh Anwohner zu Streithähnen macht, geht es in der Regel auch verbal ordentlich zur Sache, hat man sich am Zaun nur selten noch im Zaum, hat Tretter erfahren. Und da bedarf es mitunter gar keines Lärms. Zuweilen reichen Brennesseln, die sich von einem Feldrand aus anschicken, einen Ziergarten zu erobern oder die vermeintliche Unsitte, Fallobst nicht aufzusammeln, weil das Ratten anlocken könnte.
Petition
In Frankreich hat das Parlament im Januar 2020 ein Gesetz verabschiedet, das sogenannte sensorische Erbe der französischen Landschaften definiert und schützt. Im „Umweltgesetzbuch“ ist festgeschrieben dass Geräusche und Gerüche, die Naturgebiete charakterisieren, Teil des gemeinsamen Kulturerbes der Nation sind, so der Senat.
Das möchte Silvia Stengel aus Hessen auch in Deutschland erreichen. Sie hat eine entsprechende Petition verfasst, die an die Kulturministerien der Länder übergeben werden soll. Derzeit sind knapp 32.000 Unterzeichner an Bord, 50.000 müssen es werden. Hintergrund ist die steigende Zahl von Klagen, insbesondere durch Städter, die aufs Land ziehen. Es gebe immer mehr Menschen, denen die traditionellen Geräusche auf dem Land fremd geworden sind. Stengel: „Amtsgerichte, Landesgerichte oder sogar Oberlandesgerichte müssen sich mit Dingen befassen, für welche sie eigentlich gar keine Zeit haben dürften.“ (eck)
Manches ließe sich besser regeln, wenn die Menschen miteinander reden würden, meint Sabine Tretter, die auch für die CDU im Gemeinderat sitzt. Kommen die gegnerischen Parteien erstmal an einen Tisch, könne vieles ausgeräumt werden. Allerdings gibt sie auch zu, dass Diplomatie nicht immer das Patentrezept ist, wenn es beispielsweise um Dinge geht, die eigentlich zum Leben dazugehören. Wie beispielsweise Kirchenglocken. „Man ist manchmal zu tolerant und lässt sich von anderen alles wegnehmen.“
Viel mehr als das vermeintlich laute Geläut stört sie persönlich zum Beispiel die Lichtverschmutzung auf den Balkonen und in den Gärten, in denen die ganze Nacht über Solarlampen glühen oder auch die rund um die Uhr penetrant Pieptöne von sich gebenden Geräte zur Maulwurfabschreckung. Aber auch das ist wieder eine ganz individuelle Sache. Gegen nervige Nachbarn ist indes kein Kraut gewachsen, und vielleicht schon bald auch nicht mehr gegen ländliche Geräusche und Gerüche, die dann wieder das werden, was sie seit Urzeiten sind: ortsüblich und hinzunehmen.