Philomena Franz wird 100Ein Leben nach und mit dem Grauen
Bergisch Gladbach/Rösrath – Für Diskussionen gesorgt hat die Holocaust-Überlebende Philomena Franz immer wieder.Die Kommunalpolitik in Rösrath, wo sie viele Jahre lebte, arbeitet sich bis heute an der Frage ab, wie die Stadt ihren Einsatz als Zeitzeugin und Autorin, aber auch ihr Engagement für Versöhnung angemessen würdigen soll. Die Stadt Bergisch Gladbach, wo Franz heute wohnt, ist weiter: Sie verlieh der Auschwitz-Überlebenden im August 2021 die Ehrenbürgerschaft. Am Donnerstag (21. Juli 2022) wird die verdiente Mitbürgerin, die 1922 im schwäbischen Biberach in eine Sinti-Familie hineingeboren wurde, 100 Jahre alt.
Der Rösrather Verein Philomena-Franz-Forum hat zu diesem Anlass ein Programm mit Gottesdienst, Tagung und Konzert auf die Beine gestellt.
„Philomena Franz ist ein wunderbarer Mensch“, sagte Matthias Buth, Autor und heute Vorsitzender des Philomena-Franz-Forums, im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon 2002.
Philomena Franz: „Ich möchte nicht anklagen. Ich möchte erinnern”
„Sie hat Auschwitz quasi für uns überlebt und kann so Zeugnis ablegen ohne Klage, aber mit Gefühlen, die uns erfassen.“ Das vermittelt die Zeitzeugin insbesondere in ihrer 1985 erschienenen Autobiografie „Zwischen Liebe und Hass“.
Im Vorwort schreibt sie: „Ich möchte nicht anklagen. Ich möchte erinnern.“ Es gehe darum, die Leiden der Sinti und Roma anzuerkennen, sie sollten „einen Platz in der Geschichte“ finden. Die einstigen Opfer sollten verzeihen, so Franz: „Wenn wir hassen, verlieren wir. Wenn wir lieben, werden wir reich.“
Schon als kleines Mädchen in Paris aufgetreten
Philomena Franz blickt auf ihre Kindheit und Jugend in einer Sinti-Musikerfamilie, die mit großem Erfolg auftritt. „Wir spielten Dramen, auch Operetten, heitere Stücke, aber natürlich auch den »Zigeunerbaron« und »Carmen«. Das waren Stücke, zu denen wir Zigeuner passten“, erinnert sie sich. Schon als kleines Mädchen tritt sie mit der Familien-Wanderbühne als Sängerin in Paris auf.
Teilnehmemde aus Politik und Wissenschaft
Zu der Tagung „100 Jahre Philomena Franz“, die am Donnerstag (21. Juli 2022) in Schloss Eulenbroich in Rösrath stattfindet, haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft angesagt. Angekündigt sind der Europaabgeordnete Romeo Franz (Grüne), Mehmet Gürcan Daimagüler als Antiziganismus-Beauftragter der Bundesregierung sowie Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
Fachleute aus der Wissenschaft beschäftigen sich mit Sinti und Roma in Literatur, Film und Geschichtswissenschaft, mit ihrer Selbstwahrnehmung und ihren Bildungswegen oder auch mit der Verarbeitung des Holocaust.
Schlagzeilen machte vor kurzem ein zunächst für die Tagung angekündigter Auftritt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). In einem Schreiben vom März hielt sie sich die Entscheidung über ihre Teilnahme offen, sagte aber inzwischen ab. Einen Beitrag von Roth enthält jedoch das zur Tagung erschienene Buch „Der Himmel über Philomena“, das für 19,50 Euro im Buchhandel erhältlich ist. (tr)www.philomena-franz-forum.de
Dieses Musikerleben funktioniert auch noch in den ersten Jahren der Nazi-Herrschaft. Doch 1938 muss die junge Philomena die Mittelschule verlassen, weil sie „Zigeunerin“ ist. Sie wird zur Arbeit in einer Munitionsfabrik zwangsverpflichtet, später werden Familienangehörige ins Konzentrationslager deportiert. Im März 1943 trifft dieses Schicksal auch die damals Zwanzigjährige. In „Zwischen Liebe und Hass“ beschreibt Franz ihren Leidensweg in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück, Oranienburg und erneut Auschwitz.
Sie berichtet von Flucht und erneuter Verhaftung sowie einer 1945 geglückten Flucht, bis sie bei der sowjetischen Armee schließlich in Sicherheit ist. Sie schildert Unmenschlichkeit, aber auch Solidarität: Eine Schulfreundin hält zu ihr bis zu ihrer Deportation, nach ihrer zweiten Flucht aus dem KZ nimmt ein uniformierter Mann sie in seinem Haus auf.
Philomena Franz gründete eigene Familie
Dass sie mehrfach nah am Tod war und doch überlebt hat, betrachtet Franz als göttliche „Vorsehung“: Gott habe ihr einen „Schutzengel“ geschickt, damit sie heute über ihr Leiden während der Nazi-Herrschaft berichten könne. Nach 1945 trat die glückliche Überlebende wieder in einer Sinti-Musikergruppe auf, gründete eine eigene Familie und brachte fünf Kinder zur Welt. Sie litt aber unter Alpträumen und schweren Depressionen.
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Durch die Aufarbeitung des Vergangenen fand sie einen Ausweg: „Ich musste über meine Leiden sprechen“, erklärt sie.
Inzwischen sieht sie das als Lebensaufgabe an. 2021 sagte sie im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, es sei seit Jahrzehnten ihr Anliegen, „für die jungen Menschen dazusein. Das ist sozusagen mein Beruf geworden. Deswegen gehe ich in die Schulen und erzähle von meinem Leben. Davon verspreche ich mir sehr viel.“
Ehrenbürgerin in Bergisch Gladbach
Die Debatten über weitere Ehrungen für sie betrachtet Franz gelassen. Denn schon lange vor der Bergisch Gladbacher Ehrenbürgerschaft erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande, die Europäische Bewegung Deutschland zeichnete sie mit dem Preis „Frauen Europas Deutschland 2001“ aus, zudem erhielt sie den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.