Sinkende Nachfrage und hohe Energiepreise setzen das Werk in Bergheim unter Druck. Die Belegschaft wurde vorige Woche informiert.
Neuausrichtung geplant170 Arbeitsplätze beim Martinswerk in Bergheim in Gefahr
Beim Martinswerk in Bergheim-Kenten droht rund 170 Mitarbeitern der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Wie die Geschäftsführung des Unternehmens mitteilt, ist eine Restrukturierung geplant, um langfristig rentabel zu bleiben.
„Wie viele europäische Chemieunternehmen hat auch das Martinswerk in den letzten 18 Monaten einen Nachfragerückgang und eine historisch hohe Inflation erlebt“, heißt es in einer Pressemitteilung. Hinzu kommen die hohen Energiekosten - das Werk hat einen sehr hohen Energiebedarf und bezieht für ein werkseigenes Braunkohlekraftwerk Kohle von RWE.
Nun sollen die Produktionskosten gesenkt werden. „Dadurch sollen zusätzliche strategische Investitionen in den Standort ermöglicht und der langfristige Erfolg des Standorts gesichert werden“, heißt es weiter. Und: „Die Pläne können dazu führen, dass das Martinswerk seine Belegschaft um bis zu 30 Prozent verringern könnte.“ Derzeit hat das Werk nach eigenen Angaben rund 570 Mitarbeiter.
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Verhandlungen im Bergheimer Werk noch im Dezember
Die Geschäftsführung plant, noch im Dezember Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die Umsetzung der Restrukturierungspläne aufzunehmen. Richtige Gespräche werden wir aber wohl erst im Janaur führen können, sagt Dr. Philipp Kohn, neben Martin Schulting einer der beiden Geschäftsführer des Martinswerks. Die Belegschaft sei in der vorigen Woche informiert worden.
Das Martinswerk ist ein Unternehmen der chemischen Industrie und gehört zur US-amerikanischen Huber-Gruppe. Das Werk zählt zu den weltweit bedeutenden Herstellern von chemischen Spezialprodukten auf der Basis von Aluminiumhydroxid und Aluminiumoxid. Abnehmer sind die Kunststoffindustrie, Papierindustrie, Keramikindustrie, Agrarindustrie, Lackhersteller sowie Hersteller von Feuerfest- und Poliermitteln.
Zu den erfolgreichen Spezialprodukten des Martinswerks gehört das „feinteilig gefällte Aluminiumhydroxid“, ein Flammschutzmittel, das vor allem nach dem Brand des Grenfell Towers in London mit 71 Toten im Jahr 2016 große Nachfrage erfahren hat. In vielen Ländern wurden danach die Brandschutzbestimmungen verschärft.
Aluminiumhydroxid kann nämlich nicht nur in Textilien oder Kabeln etwa im Auto-, Bahn- und Flugzeugbau verarbeitet werden, sondern auch in Fassaden. Das Flammschutzmittel aus Bergheim hat den Vorteil, dass es halogenfrei ist - bei einem Feuer werden aus diesem Mittel keine giftigen Stoffe freigesetzt.
Wahl des Standorts fiel auf Bergheim im Braunkohlenrevier
Als Tochtergesellschaft der schweizerischen Aluminium Industrie AG, später Alusuisse, wurde das Martinswerk 1913 gegründet. Benannt wurde es nach dem damaligen Generaldirektor der Aluminium Suisse, Martin Schindler. Das Werk produzierte vor allem Aluminiumoxid, auch Hüttentonerde genannt, für die Aluminiumhütten des Konzerns. Weil für die Produktion viel Dampfenergie benötigt wurde, fiel die Wahl des Standortes auf Bergheim im Rheinischen Braunkohlenrevier.
Das amerikanische Unternehmen Albemarle übernahm das Martinswerk im Jahr 2001, im Jahr 2015 verkaufte der Konzern das schwarze Zahlen schreibende Werk an die Huber Company weiter, die schon bald zweistellige Millionensummen in den Standort investierte, um die Produktionsmengen erhöhen zu können. Die Häfen Rotterdam und Antwerpen sowie der Güterbahnhof Eifeltor sind wichtige Umschlagplätze für die Produkte.