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BraunkohleDas bedeutet die Sicherheits-Bereitschaft beim Kraftwerk Frimmersdorf

Lesezeit 6 Minuten

Kein Rauch quillt mehr aus den Schornsteinen, kein Dampf steigt mehr über den Kühltürmen auf.

Grevenbroich-Frimmersdorf – Der Ofen ist aus. Der Schornstein raucht nicht mehr. Seit der Nacht zum 1. Oktober steht das Kraftwerk Frimmersdorf (Grevenbroich) still. Mit Paula (P) und Quelle (Q) haben auch die letzten verbliebenen Blöcke Ruh. Den Klimaschützern, die aus Anlass des Bonner Klimagipfels im Rheinischen Revier demonstrieren, müsste das gefallen. Allerdings: Die Blöcke sind in Sicherheitsbereitschaft und müssen für die nächsten vier Jahre jederzeit binnen zehn Tagen wieder einsatzbereit sein.

In der Turbinenhalle stehen die Maschinen still.

Tilman Bechthold ist der Herr aller Kraftwerksblöcke in Neurath und Frimmersdorf. An seinem Arbeitsfeld werde sich durch den Stillstand also nichts ändern. „Aber für die Leute, die Jahrzehnte in Frimmersdorf gearbeitet haben, ist das schon eine komische Sache. Ein bisschen Wehmut schwingt auch bei mir mit.“

Merkwürdig ist, dass ausgerechnet jetzt, in der Phase der Stilllegung, mehr Menschen im Kraftwerk arbeiten als zuletzt im laufenden Betrieb. 50 Leute sind derzeit im Einsatz, unter Dampf waren es laut Bechthold zehn pro Schicht.

Entschädigung für Energiekonzerne

Ziel der Sicherheitsbereitschaft ist die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes von Braunkohlekraftwerken. Jeder 300-MW-Block erzeugt im Betrieb etwa 2,5 Millionen Tonnen C02 jährlich.

Die Überführung der Kraftwerke in die Sicherheitsbereitschaft war eine politische Entscheidung. 2015 handelte die Bundesregierung dieses Vorgehen mit den Energiekonzernen RWE, Vattenfall und Mibrag aus. Die Energiekonzerne werden für die schrittweise Abschaltung der Braunkohlekraftwerke entschädigt, und zwar sieben Jahre lang mit insgesamt 230 Millionen Euro jährlich, also 1,61 Milliarden Euro für die Laufzeit der Sicherheitsbereitschaft. (fun)

Frietjof Wirling ist der Leiter des Projektes „Sicherheitsbereitschaft Frimmersdorf“ und kann das vermehrte Treiben erklären: „Sämtliche Teile müssen gereinigt und konserviert werden. Außerdem muss das Kraftwerk für den Winter gerüstet sein.“ Wo bisher massenhaft Strom produziert wurde, werden jetzt enorme Mengen an Energie, zum Beispiel an Fernwärme, gebraucht, damit die Temperatur in den riesigen Räumen nicht unter fünf Grad Celsius absinkt. „Zehn bis zwölf Megawatt sind permanent erforderlich, um das Kraftwerk frostfrei zu halten. Das entspricht dem Verbrauch von 1000 kleinen Einfamilienhäusern“, sagt Wirling.

Die Kühlwassersysteme müssen weiterhin ständig durchgespült werden. 10 000 Liter Wasser pro Stunde werden durch einen geschlossenen Kreislauf gepumpt, zwei Drittel weniger als im Normalbetrieb. Die Elektrik bleibt unter Strom, Pumpen laufen, Kesselrohre werden mit Stickstoff konserviert. Auch die Wellen der Turbinen müssen hin und wieder bewegt werden, damit sie sich nicht festsetzen. „Wir wollen alles 100 Prozent in Schuss halten“, sagt Wirling und verweist auf die Ehre der Ingenieure: „Ein bisschen Instandhalten gibt es bei uns nicht, alles wird so gewartet, als würde es morgen wieder in Betrieb gehen.“

„Wenn Braunkohle längere Zeit gelagert wird, neigt sie zur Selbstentzündung“, erklärt Bechthold. Also müssten aus Gründen des Brandschutzes die Kohlebunker geleert werden, und der Bodensatz, der sich nie restlos ausbaggern lasse, werde mit Sand abgedeckt, um Feuerausbrüche zu vermeiden.

Einmal eingemottet, braucht das Kraftwerk ab Ende des Jahres immer noch Betreuung rund um die Uhr: Zwei Leute in der Nachtschicht, bis zu sechs für Instandhaltungsarbeiten am Tag. 160 Positionen gilt es bei täglichen Rundgängen zu checken.

Wiederanfahren unwahrscheinlich

Das ist nichts gegen die Arbeiten, die im unwahrscheinlichen Fall eines Wiederanfahrens notwendig sind. 2200 Schritte stehen im Lastenheft, das vom Auffüllen der Kohlebunker – Paula und Quelle brauchen täglich 16 000 Tonnen Braunkohle –, über das Ablassen der Konservierungsstoffe, die Wiedervereinigung derzeit getrennter Kreisläufe und das Freiräumen der Bekohlungswege bis zum Vorheizen des Kessels reicht. Zehn Tage bleiben der Kraftwerksmannschaft dann, um die Betriebsbereitschaft herzustellen. Am elften Tag müssen die Schornsteine wieder rauchen. Die Leistung des Kraftwerks muss dem Stromnetz dann wieder zur Verfügung stehen.

Frimmersdorf wird diesen Einsatz wahrscheinlich nie erleben. Nur im Falle einer schwerwiegenden Energiekrise und aufgrund einer politischen Entscheidung sei mit der Wiederinbetriebnahme von Paula und Quelle zu rechnen. „Ein harter Winter allein würde nicht dazu führen“, erläutert Wirling. Frimmersdorf ist schließlich auch nur das erste Kraftwerk im rheinischen Revier und zudem das älteste, das in der Sicherheitsbereitschaft steht. In den nächsten Jahren folgen drei weitere 300-MW-Blöcke, und zwar 2018 zwei am Kraftwerk Niederaußem und 2019 ein Block am Kraftwerk Neurath. Sie werden jeweils vom Tag der Abschaltung an vier Jahre in Reserve gehalten, bevor sie dann endgültig stillgelegt und rückgebaut werden. Und bevor bei einem erhöhten Strombedarf einmal stillgelegte Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz gehen, werde man wohl eher auf Gaskraftwerke zurückgreifen, die ebenfalls in Reserve gehalten werden. Aber auch das sei letztlich eine Entscheidung, die in Berlin oder in Düsseldorf gefällt werden müsse und auf die das Unternehmen keinen Einfluss habe.

Ingenieur Wirling treibt es nach all der Vorrede nun aus dem Büro direkt an den Kessel. Er will zeigen, was stillsteht, wie leer Betriebsteile sein können, die praktisch ausgedient haben. Und natürlich will er vermitteln, wo und wie nun konserviert wird.

Auch wenn nichts mehr so richtig läuft, gelten die hohen Sicherheitsstandards eines laufenden Kraftwerksbetriebs: Die Besucher werden mit Helm, Schutzbrille, Sicherheitsschuhwerk und Arbeitskittel ausgestattet. Der Kittel, lang und unförmig, entspricht nicht so ganz dem Modebewusstsein der Gäste. Beim Rundgang erfahren sie aber bald, dass er seinen Zweck erfüllt: Es staubt noch mächtig im inzwischen kalten Kessel. Von einer menschenleeren Halle geht es in einen Bereich, in dem eine Fremdfirma Gerüste baut und Heizungsmonteure damit beschäftigt sind, Rohre zu verlegen. Kilometer an Leitungen und Dämmmaterial sind da notwendig, um die Räume winterfest zu machen.

Die Aufzugtüren haben mächtig Patina angesetzt und verraten auf den ersten Blick, dass hier eines der ältesten Kraftwerke der Republik in die Sicherheitsreserve geschickt worden ist. Ans Netz gegangen sind die Blöcke P und Q im Mai 1966 beziehungsweise im April 1970. Mit einer Nennleistung von jeweils 300 Megawatt wurden im Kraftwerk Frimmersdorf im Durchschnitt jährlich rund 4,4 Millionen Tonnen Kohle verfeuert.

Mit dem Aufzug geht es hinauf bis in die Turbinenhalle. Es herrscht ungewöhnliche Ruhe, nur ein Gebläse ist zu hören. Im Leitstand hört man auch davon nichts mehr. Hier überwacht Obermaschinist Erich Wirtz mit drei Kollegen am Bildschirm eine Dichtigkeitsprüfung. „Komisches Gefühl, dass die Turbinen stillstehen“, sagt er. 27 Jahre lang habe er in Frimmersdorf gearbeitet, jeden Tag habe ihn der Lärm der Turbinen begleitet, und jetzt müsse er an einem seiner letzten Arbeitstage Konservierungsprozesse beobachten und selbst an der Einmottung mitwirken. Seit dem 1. November befindet sich Wirtz in der passiven Phase seiner Altersteilzeit.

Wirling will hinauf aufs Dach. Sein Besuch soll von oben sehen, dass die Schornsteine nicht mehr rauchen und die Kühltürme keinen Dampf mehr ablassen. Der Weg dorthin führt vorbei an einem verwaisten Reversierstand zur Kontrolle der Kohlezufuhr. „Vor ein paar Wochen noch hätten wir hier mit einem Kollegen sprechen können, der Platz wäre sicher besetzt gewesen.“