Umsiedlung Alt-EtzweilerWie der Tagebau ein Dorf verschluckte
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Elsdorf – „Guck mal, irgendwo dahinten habe ich mal gelebt“, mag manch ein Etzweiler sagen, wenn er heute mit Bekannten am Forum Terra Nova steht und in Richtung Alt-Etzweiler deutet. Das geht nur noch vage. Die ehemalige Lage des Dorfes, unter dem Namen „Liucart de Wilre“ urkundlich 1141 erstmals erwähnt, ist nicht mehr auszumachen. Längst haben die gewaltigen Ausmaße des Tagebaus das von Wald und Feld umgebene Dorf mit Tante-Emma-Laden, der „Waldschänke“, einer eigenen Feuerwehr, einer Kirche und einem Kindergarten verschluckt.
In Alt-Etzweiler herrschte nicht nur „reges Vereinsleben“, an dem Anfang der 1990er-Jahre mehr als 700 der rund 1000 Einwohner – knapp 90 davon im Schützenverein – aktiv teilnahmen. „Da hat der Nachbar mittags auch gewusst, was ich koche, so eng war die Bindung im Dorf“, formuliert es Helmut Hünninghaus, Brudermeister der St.-Hubertus-Schützenbruderschaft Etzweiler.
Die Jungen zogen weg
1873 gegründet und seit 1931 Mitglied im Bund historischer deutscher Schützenbruderschaften, erlebten die Hubertus-Schützen in den 70er-Jahren ihre Blütezeit. Stets, außer während der beiden Weltkriege, feierten ihre Mitglieder am zweiten Sonntag im Juli das Schützenfest. 1997 nahmen sie mit den Feierlichkeiten gleichzeitig Abschied von ihrer Heimat. Wilhelm Kratz, 39 Jahre lang Brudermeister und heute Ehrenbrudermeister, hat das letzte Fest als „erschütternd und ergreifend“ in Erinnerung. Waren die uniformierten Schützen beim sonntäglichen Festzug gemeinsam mit Maiburschen und Frauen in prunkvollen Kleidern, mit Mitgliedern der Feuerwehr und des Fußballvereins und wie gewohnt begleitet von fröhlicher Marschmusik doch vorbeigezogen an schon leerstehenden Häusern und zugemauerten Fenstern.
20 Jahre zuvor war der Tagebau Hambach I verbindlich geworden, den Menschen in Etzweiler war nun klar, dass sie ihre Heimat verlassen mussten. Doch es blieben immerhin noch mehr als zwei Jahrzehnte bis zum endgültigen Ende. Noch 1978 legten die Schützen deshalb den Grundstein für ein Schützenhaus, das sie eigenhändig bauten und noch lange nutzten.
Die Gewissheit der Umsiedlung allerdings hatte das Dorf bald im Griff. In den Achtzigern zogen immer mehr junge Menschen weg und bauten sich anderswo ihr Leben auf. Die Einwohnerzahl und somit auch die Mitgliederzahlen des Vereins schwankten stark. Deshalb konnten die Hubertus-Schützen ihr Schützenfest nur im kleinen Saal an der Waldstraße feiern – für ein Festzelt fehlte das Geld. Die bevorstehende Umsiedlung trübte mehr und mehr auch die Stimmung bei den sonst so fröhlichen Festen, war Diskussionsthema und oft Anlass für Streit.
Kurz vor der Umsiedlung wurde es dann eng. Kratz erinnert sich: „Keiner wusste so richtig, wie es mit dem Verein weitergehen würde. Da haben wir kein Schützenfest wie bisher gehalten, sondern nur sehr klein und familiär im Schützenhaus gefeiert.“ Als 1994 schließlich in Neu-Etzweiler der erste Spatenstich getan wurde, sei ein Gefühl der Befreiung im Ort zu spüren gewesen, beschreibt Kratz in einer Chronik zur Umsiedlung. „Man hatte neue Aufgaben und neue Ziele. Hinzu kam, dass die Firma Rheinbraun die Ortsvereine finanziell unterstützte und sie in die Lage versetzte, die Feste wieder im alten Rahmen und in der gewohnten Größe zu feiern.“
1998 feierten die St.-Hubertus-Schützen zum ersten Mal im neuen Ort und richteten dort gleichzeitig das Bezirksbundesfest aus. Ein Schützenhaus sollte es in Neu-Etzweiler allerdings nicht mehr geben, und das Bürgerhaus wurde erst 2001 fertiggestellt. „Da haben wir unsere Versammlungen anfangs im Container abgehalten“, erzählt Kratz.
Gestritten wird nicht mehr
Nur ein Drittel der ursprünglichen Bevölkerung zog in den neuen Ort, Hinzugezogene fühlten sich den Vereinen zunächst nicht verbunden. Noch heute denken sich die Mitglieder deshalb immer neue Veranstaltungen aus, um „die Leute hinterm Ofen hervorzulocken“. Darauf hofft Hünninghaus auch für den 29. August, wenn ein großes Dorffest stattfindet.
Offiziell abgeschlossen war die Umsiedlung 2001, erst 2006 verließen jedoch die allerletzten Bewohner das alte Dorf, das seit 2005 von den RWE-Baggern abgetragen wurde.
Über die Umsiedlung gestritten wird beim Schützenfest heute nicht mehr – vielmehr sind Erlebnisse aus Alt-Etzweiler Anlass zur Erinnerung, auf die die Schützenbrüder noch oft zu sprechen kommen. Zwar hat sich das Schützenleben fast 20 Jahre nach dem ersten Fest im neuen Ort eingespielt. Dennoch finden die Alt-Etzweiler Schützen: „Die schönsten Dinge haben wir im alten Ort erlebt.“